Afghanistan-Desaster bei Lanz "Mit einem Schuss ging es los"
25.08.2021, 03:36 Uhr
Die Evakuierung der Ortskräfte deutscher Organisationen aus Kabul ist laut Omid Nouripour kaum noch zu schaffen.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Nach einer Sommerpause von zwei Wochen meldet sich Markus Lanz am Dienstagabend im ZDF zurück. Hauptthema der Sendung sind der Konflikt in Afghanistan und die Rettungsmaßnahmen am Flughafen in der Hauptstadt Kabul. Darüber wird auch der Bundestag am heutigen Mittwoch auf einer Sondersitzung beraten.
Es kommt selten vor, dass eine Talkshow nur zwei Wochen Pause macht - und danach hat sich die Welt völlig verändert. Das musste Markus Lanz in seiner Sendung am Dienstagabend im ZDF feststellen. In Afghanistan haben die Taliban ohne größeren Widerstand durch die reguläre Armee die Macht errungen, am Flughafen in der Hauptstadt Kabul ereignen sich dramatische Szenen bei der Rettung deutscher Bürger und afghanischer Ortskräfte. Dazu kommt am Mittwoch der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen. Die Abgeordneten wollen über den Bundeswehr-Evakuierungseinsatz beraten und ihn nachträglich beschließen. Fast alle Abgeordneten dürften dafür stimmen - bis auf die Fraktion der Linken.
Die meisten Mitglieder der Linken-Fraktion haben ihre Enthaltung angekündigt, einige wollen den Einsatz ablehnen. Dieses Verhalten könnte man positiv bewerten - immerhin sind die Linken diesmal nicht prinzipiell dagegen. Sie sind aber eben auch nicht dafür, was der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour, scharf kritisierte. Die Linken seien der Meinung, es würde die aktuelle Krise nicht geben, wenn die Bundeswehr erst gar nicht an dem Einsatz teilgenommen hätte. Dann hätten aber die Menschen in Afghanistan auch nicht die Möglichkeit gehabt, demokratische Freiheiten wie Rechte von Frauen kennenzulernen, so der in Teheran geborene Politiker.
"Die gingen durch wie Butter"
Claudia Peppmüller von der Aktion Friedensdorf International, die vor einigen Tagen schon bei ntv zu Gast war, berichtete bei Markus Lanz ausführlich darüber, wie sie den Einmarsch der Taliban in Kabul erlebte. Sie war mit einer Gruppe von Helfern knapp eine Woche vorher in der afghanischen Hauptstadt eingetroffen, um verletzte Kinder zu untersuchen und nach Deutschland zu medizinischen Behandlungen auszufliegen.
"Wir hätten niemals erwartet, dass wir einen Regierungsumsturz in einer solchen Windeseile erleben", sagt Peppmüller. "Wir konnten täglich zuschauen, wie wir umzingelt wurden. Die gingen durch wie Butter." Die Besetzung der Stadt lief innerhalb von nicht einmal 24 Stunden ab. "Es ging los mit einem Schuss. Ich dachte noch, da sei ein Reifen geplatzt. Zwei Stunden später war der Milchmann weg." Der war Claudia Peppmüller aufgefallen - wegen seiner Musik, die er immer hörte. Innerhalb von einem Tag habe sich Kabul von einer belebten Hauptstadt in eine Geisterstadt verwandelt, berichtet die Helferin. Sie wurde gerettet, weil sie die richtigen Papiere vorweisen konnte - und sie gehörte zu den ersten Deutschen, die das Land verlassen konnten.
"Die Menschen sind in Panik"
Grünen-Politiker Nouripour berichtete über die aktuelle Situation in Afghanistan. Die Taliban leisteten gute PR-Arbeit. Das hätten sie gelernt. In Kabul verhielten sie sich ruhig, doch Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen berichteten aus den Provinzstädten von Massenhinrichtungen. Die Taliban haben nach seinen Informationen schon jahrelang an Todeslisten gearbeitet, auf denen die Namen von Frauenrechtlerinnen verzeichnet sind, aber auch von Menschen, die "ungünstig" über Afghanistan berichtet oder für ausländische Medien gearbeitet haben. Nouripour beschreibt den Fall des Mitarbeiters eines Journalisten, nach dem man erfolglos gefahndet hatte. Also sei kurzerhand dessen Vater auf die Straße gezerrt und erschossen worden.
Wenn die Rettungsmaßnahmen beendet seien, dann hätten die Taliban nur noch ein Ziel: "Niemand soll raus", erklärt Nouripour. "Die Taliban sind Geiselnehmer. Sie wollen ein Volk von 30 Millionen Menschen in Geiselhaft nehmen."
"Haben uns erpressbar gemacht"
US-Präsident Joe Biden will die US-Truppen möglichst bis Ende August aus Afghanistan abziehen. Dann müssen auch die Ortskräfte aus Kabul abgezogen sein, die für deutsche Organisationen gearbeitet haben. "Das ist nicht zu schaffen", meint Nouripour. "Wir haben uns erpressbar gemacht", sagt er. Ab September müsse über jeden Menschen verhandelt werden, der das Land verlassen will, und die Taliban würden hohe Preise verlangen.
Die Schuld an der Situation gibt Nouripour den zuständigen Politikern der Regierungskoalition. Bereits im Juni hatten die Grünen im Bundestag beantragt, die Rettung von Ortskräften aus Afghanistan dringend voranzutreiben. Das hatten SPD und CDU abgelehnt. Mittlerweile gibt es erste Abgeordnete der beiden Parteien, die das Zögern vor zwei Monaten als einen Fehler und als "beschämend" bezeichnen.
Quelle: ntv.de