Im Panzer gegen die Russen Der Lieblingsgeneral der Ukrainer soll die Ostfront stabilisieren


Drapatyj ist erst 42, genießt aber bereits seit langem Legendenstatus in der Ukraine.
(Foto: By armyinform.com.ua)
Die Lage im Osten der Ukraine sieht nicht gut aus - nun soll ein neuer General den russischen Vormarsch stoppen. Mychajlo Drapatyj genießt seit Jahren Legendenstatus bei der Bevölkerung. Kann er die Wende bringen?
Die Lage in der Region Donezk ist für die Ukraine schwierig. Schwierig und nicht katastrophal - immerhin ist der russischen Armee noch immer kein strategischer Durchbruch gelungen. Aber der wichtige Ort Welyka Nowossilka ist gefallen und die Krise um die strategisch wichtige Stadt Pokrwosk ist nicht von der Hand zu weisen. Außerdem rücken die Russen immer näher an die Grenzen eines weiteren ukrainischen Regierungsbezirks heran: Dnipropetrowsk.
Chortyzja heißt die Truppengruppierung innerhalb der ukrainischen Streitkräfte, die für den aktuell mit Abstand schwersten Frontabschnitt im russisch-ukrainischen Krieg verantwortlich ist. Benannt ist sie nach der größten Insel im Fluss Dnipro, die zur Stadt Saporischschja gehört. Diese bekommt seit dieser Woche eine prominente Verstärkung: Den 42-jährigen Generalmajor Mychajlo Drapatyj, Shooting Star der ukrainischen Armee und einer der aktuell bekanntesten ukrainischen Militärs. Er soll den de facto seit Oktober 2023 andauernden russischen Vormarsch an der Ostfront endlich stoppen.
Es ist bereits die zweite prominente Beförderung Drapatyjs innerhalb kürzester Zeit. Denn schon im Dezember machte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den jungen General zum Kommandeur der Landstreitkräfte - die mit Abstand größte und wichtigste Truppengattung innerhalb der ukrainischen Armee. Somit wurde Drapatyj zum zweitwichtigsten Militär des Landes, hinter dem Armee-Befehlshaber Oleksandr Syrskyj.
Einer der begabtesten Generäle seiner Generation
Nun bekommt Drapatyj eine zusätzliche Aufgabe, die seinem Vorgesetzten Syrskyj bestens bekannt ist. Denn der selbst war Kommandeur der Landstreitkräfte und gleichzeitig Chortyzja-Kommandeur, bevor er im Februar 2024 den beliebten General Walerij Saluschnyj, inzwischen Botschafter in London, als Armeechef ersetzte. Nach Saluschnyjs Entlassung aus der Armee ist der 42-jährige Drapatyj wohl die die drittbekannteste öffentliche Figur im Militär - nach Syrskyj und Kyrylo Budanow, dem Chef der Militäraufklärung. Der ukrainischen Armee geht es aber nicht nur um die Bekanntheit des Generals, sondern um seine professionellen Qualitäten. Fachleute zählen Drapatyj zu den begabtesten Generälen der neuen Generation.
"Der neue Kommandeur genießt großen Respekt und hat ein positives Image unter den Soldaten und verfügt über die Fähigkeit, Probleme zu lösen und akute Situationen an Problem-Orten an der Front stabilisieren zu können", schreiben etwa die Analytiker des bekannten OSINT-Projekts Deep State, welches in der Ukraine als eine der zuverlässigsten Quellen zur Frontlage überhaupt gilt. Es sei eine sehr wichtige und notwendige Personalentscheidung, hieß es weiter.
Auch der Militärjournalist Jurij Butussow, einer der härtesten Kritiker des Präsidenten Selenskyj, unterstützte Drapatyj öffentlich. "Dies ist eine notwendige Entscheidung, um den russischen Vormarsch zu stoppen", schrieb er. "Sie wird das Vertrauen in das Handeln der Militärführung deutlich stärken und die Einführung der längst überfälligen systematischen Änderungen im Einsatz und der Organisation der Armee ermöglichen." Leise Kritik entzündete sich nur an der Frage, ob zwei wichtige Posten vielleicht zu viel sein könnten und ob die Erwartungen an eine einzelne Person und seinen Einfluss auf den Kriegsverlauf überzogen sein könnten. Die Person Drapatyj selbst blieb von der Kritik verschont.
Der aus dem westukrainischen Kamjanez-Podilskyj stammende Mychajlo Drapatyj erlangte im Krieg Legendenstatus - und zwar nicht erst seit der russischen Vollinvasion im Februar 2022, sondern bereits seit 2014. Ursprünglich studierte er im ostukrainischen Charkiw am renommierten Militärinstitut für Panzertruppen. Im Donbass-Krieg kam er dann gleich in den Einsatz. Als im Mai 2014 prorussische Milizen die Stadtpolizei von Mariupol gestürmt haben, war es das von Drapatyj angeführte Bataillon der 72. Brigade, die mit wenigen Schützenpanzern ukrainischen Polizisten halfen, aus einer Umzingelung zu fliehen. Der neue Chortyzja-Kommandeur und Chef der Landstreitkräfte fuhr damals im ersten Schützenpanzer der Kolonne.
Unter russischem Feuer
Schließlich wurde Drapatyjs Brigade an der Grenze zu Russland stationiert, um das Eindringen von weiteren feindlichen Kräften in die Donbass-Region zu verhindern. Dabei geriet er unter Feuer, als die russische Armee damit begann, das ukrainische Gebiet von Russland aus mit Artillerie zu beschießen. Dass Russland sich derart direkt in den Konflikt auf der Seite von sogenannten "Separatisten" einmischt, hielten damals auch in der Ukraine nur wenige für möglich. 28 Tage blieben Drapatyj und seinen Kameraden in der Umzingelung. Letztlich war es der heutige Generalmajor selbst, der über die Felder mehr als 260 Soldaten seiner Einheit und fünf andere Formationen da herausführte. Drapatyi wurde als Held gefeiert.
Seit der Vollinvasion Russlands spielte Drapatyj zunächst eine wichtige Rolle als Kommandeur der Gruppierung Süden, die letztlich entscheidend zur Befreiung der Großstadt Cherson beitragen konnte. Im Februar 2024 beförderte ihn Selenskyj im Rahmen der angepeilten Verjüngsstrategie zum stellvertretenden Leiter des Generalstabs. Schon im Mai bekam er den Auftrag, die Region Charkiw gegen die russische Offensive zu verteidigen. Tatsächlich stabilisierte er die Lage schnell. Er habe die Struktur vor Ort gleich durchschaut und sofort kompetente personelle Entscheidungen getroffen, berichten die bei der Verteidigung eingesetzte Soldaten. Seit diesem Erfolg trägt Drapatyj den Dienstgrad eines Generalmajors.
Ob der 42-jährige Drapatyj auch die Region Donezk stabilisieren kann, wird sich zeigen. Einerseits muss die russische Armee nach fast anderthalb Jahren des Angreifens irgendwann eine Pause einlegen. Andererseits ist die Lage sehr angespannt - und aus ukrainischer Sicht wird diese durch den Soldaten- und Materialmangel erschwert. Aber Drapatyj beflügelt die Hoffnung. Das ist genau das, was die Ukrainer gerade brauchen. Und Drapatyi braucht entsprechend breite Schultern, um den Druck der Erwartungen zu tragen.
Quelle: ntv.de