Kontrolle von Öltankern Nimmt die EU Russlands "Geisterflotte" ins Visier?
15.11.2023, 20:35 Uhr Artikel anhören
Schiffsversicherer dürfen Tankern nur Schutz geben, wenn der Wert des transportierten Öls 60 Dollar je Barrel nicht übersteigt.
(Foto: imago images/Westend61)
Russland hat einen Weg gefunden, Öl trotz der Sanktionen auf den Weltmärkten verkaufen zu können. Einem Medienbericht zufolge will die EU bei der Verschärfung der Sanktionen genau da ansetzen. In den dänischen Meerengen könnte es zu intensiven Schiffskontrollen kommen.
Im Vorfeld von EU-Beratungen über eine Verschärfung von Russland-Sanktionen hat ein Medienbericht über angebliche Öltanker-Kontrollen in der Ostsee für Aufsehen gesorgt. Die "Financial Times" berichtete, Dänemark solle damit beauftragt werden, Tanker mit russischem Öl zu inspizieren und gegebenenfalls zu stoppen. EU-Diplomaten erklärten jedoch, in einem aktuellen Vorschlag der EU-Kommission werde nicht auf Tanker-Kontrollen oder Dänemark Bezug genommen.
Die Regierung in Moskau erklärte, nichts von einem derartigen Vorhaben zu wissen. Sie mahnte zugleich die Einhaltung von Schifffahrtsregeln an. Stellungnahmen Dänemarks und der EU-Kommission lagen zunächst nicht vor. Die 27 EU-Länder wollen am Freitag über ein zwölftes Sanktionspaket gegen Russland beraten. Diplomaten zufolge schlug die EU-Kommission im Vorfeld verschiedene Maßnahmen vor, darunter auch eine schärfere Umsetzung des Ölpreisdeckels. Demnach sollen Reedereien aufgefordert werden, bei russischen Öltransporten die Kosten genau aufzuschlüsseln. So solle verhindert werden, dass Reedereien den wahren Preis des transportierten Öls verschleiern können.
Russland, der weltweit zweitgrößte Ölexporteur, hat den Rohstoff trotz der Sanktionen auf den Weltmärkten verkaufen können. Schifffahrtsexperten zufolge wird der Preisdeckel im großen Stil durch gefälschte Dokumente umgangen. Verschifft wird das russische Öl mit Tankern, die in Ländern außerhalb des Westens registriert und versichert sind. Branchenkenner haben bereits vor einer "Geisterflotte" gewarnt, die aus alten Schiffen besteht und das Unfallrisiko auf See erhöht. Mit Blick auf den Bericht der "FT" sagten drei EU-Diplomaten, sie hätten im Kommissionsvorschlag nichts zu Öltanker-Kontrollen oder zu Dänemark gesehen.
Laut der "FT", die sich auf drei namentlich nicht genannte Informanten beruft, ist dagegen geplant, Schiffe ohne Versicherungsschutz aus dem Westen zu identifizieren. Mit dem Hebel des Versicherungsschutzes wollen die EU, die G7 und Australien ihre Sanktionen gegen Russland durchsetzen. Demnach dürfen Schiffsversicherer Tankern nur Schutz geben, wenn der Wert des transportierten Öls 60 Dollar je Barrel nicht übersteigt. Der Preisdeckel soll russische Einnahmen aus dem Ölhandel begrenzen und damit die finanziellen Möglichkeiten für den Ukraine-Krieg einschränken. Rund ein Drittel des per Schiff ausgeführten russischen Öls passiert auf dem Weg zu den Weltmeeren die dänischen Ostsee-Meerengen. Ein Versuch, diese Exporte zu stoppen, könnte die Ölpreise in die Höhe treiben und zum Konflikt mit Russland führen. Experten äußerten Zweifel, ob das Vorgehen mit internationalem Seerecht vereinbar wäre.
"Würde einer Kriegserklärung nahekommen"
Drei Schifffahrtsexperten erklärten, eine solche Blockade würde grundlegenden Marine-Regeln zuwiderlaufen - darunter dem UN-Seerechtsübereinkommen. Unter Verteidigungsanalysten war die Meinung geteilt. "Die Blockade von Handelsschiffen in den dänischen Meerengen würde einer Kriegserklärung nahekommen", sagte der unabhängige Experte Hans Peter Michaelsen. Zudem wäre es keine leichte Aufgabe für die dänische Marine, die zwar über kleine Patrouillenboote verfüge. "Aber sie werden aussehen wie Rettungsboote neben einem Öltanker."
Dagegen geht Peter Viggo Rasmussen von der Königlichen Dänischen Verteidigungsakademie davon aus, dass sein Land eine solche Aufgabe mit Überzeugung erfüllen würde. Schließlich stehe Dänemark mit Blick auf den Ukraine-Krieg für eine harte Haltung gegenüber Russland. Aus den russischen Ostseehäfen Primorsk und Ust-Luga sollen im November mehr als 1,5 Millionen Barrel pro Tag durch die dänischen Meerengen verschifft werden. Das entspricht rund 1,5 Prozent der weltweiten Ölversorgung.
Vor Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 hatten sämtliche russischen Öltransporte über die Ostsee das Ziel Europa. Seitdem ging der Großteil dieser Ausfuhren nach China, Indien, Ägypten und in die Türkei. Für die Handelsschifffahrt gibt es im Wesentlichen zwei Routen, die zwischen Dänemark und Schweden aus der Ostsee hinaus auf die Weltmeere führen - durch den Öresund zwischen der dänischen Insel Seeland und Schweden sowie durch den Großen Belt zwischen den dänischen Inseln Fünen und Seeland.
Quelle: ntv.de, mba/rts