"Situation ist explosiv" Ökonom kritisiert Fehler im Finanzsystem
08.11.2017, 07:12 Uhr
Yunus wurde 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
(Foto: REUTERS)
Nach den Enthüllungen der "Paradise Papers" wächst die Kritik am internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem. Dieses gleiche einer "Zeitbombe", sagt Friedensnobelpreisträger Yunus. Der DGB fordert, Steuerschlupflöcher endlich zu schließen.
Der Ökonom und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus hat nach den Enthüllungen der "Paradise Papers" ein weltweites Umdenken gefordert. Das internationale Wirtschafts- und Finanzsystem gleiche einer "Zeitbombe", sagte Yunus. "Die Situation ist explosiv", stellte er fest. "Das kapitalistische System hat einen Hauptfehler: Die Konzentration des Reichtums", sagte Yunus weiter. "Je mehr jemand besitzt, desto mehr verdient er damit. Das Spiel besteht darin, immer mehr Geld zu haben." Damit seien Strategien zur legalen Steuervermeidung, wie sie die "Paradise Papers" zeigten, geradezu im System angelegt.
Yunus ruft dazu auf, das Wirtschaftssystem auf neuen Werten aufzubauen. "Der Mensch ist nicht nur egoistisch, er ist auch altruistisch", betonte er. "Wir müssen Unternehmen schaffen, die auf die Probleme der Menschen reagieren und nicht nur Geld für sich selbst erwirtschaften." Aber auch jeder Einzelne sei gefragt, betonte der Ökonom: "Das kapitalistische System macht uns glauben, jeder müsse für jemand anderen arbeiten. Das ist falsch. Wenn wir selbst zum Unternehmer werden, können wir den Gewinn unter uns aufteilen."
Auch Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, rief zum Handeln auf. "Die Politik muss endlich die Steuerschlupflöcher schließen, die so etwas möglich machen", sagte er der "Leipziger Volkszeitung". "Es kann und darf nicht sein, dass Reiche und Großkonzerne mittels spezialisierter Anwälte jede noch so kleine Lücke nutzen, um ihr Geld am Fiskus vorbei zu schummeln, während die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrem Steueraufkommen insgesamt immer mehr zum Gemeinwesen eines Staates beitragen."
Ökonom Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, ist skeptisch. Das Geld fließe nun mal dort ab, wo besteuert, kontrolliert und reguliert werde, sagte er dem MDR. Und es fließe dorthin, wo sich Staaten mit Besteuerung, Kontrollen und Regulierungen zurückhalten würden, wie zum Beispiel auf Malta oder in Panama. "Reiche Menschen und große Unternehmen können, nicht zuletzt mit finanziellen Zuwendungen für Parteien, Gesetzgebungsprozesse so beeinflussen, dass sich neue Schlupflöcher auftun, wenn alte geschlossen werden."
Die EU-Kommission dringt beim Kampf gegen Steuerflucht auf mehr Tempo. "Es ist absolut nötig, dass wir unser Programm gegen Steuervermeidung und aggressive Steuerplanung beschleunigen", sagte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici. So will die EU ihre "Schwarze Liste" der Steueroasen so schnell wie möglich fertig stellen. Die EU-Staaten arbeiten seit geraumer Zeit an einer gemeinsamen Liste von Drittstaaten, gegen die es steuerrechtliche Bedenken gibt oder die sich beim Datenaustausch unkooperativ verhalten. Nach bisherigem Plan soll die Liste Ende 2017 fertiggestellt werden. Ein Effekt dieser Zusammenstellung soll sein, bisherige Steueroasen durch das öffentliche Anprangern zu Gesetzesänderungen zu bewegen.
Quelle: ntv.de, ghö/AFP/dpa