Auf einen Tee in Holstein "Politik is' was für Schietbüddel"
07.06.2017, 13:07 Uhr
Das Dosenmoor bei Großharrie steht schon seit 1978 unter Naturschutz - Bauer Till findet das nicht gut.
(Foto: imago stock&people)
Nördlich von Neumünster gibt es keine Terroristen, keine Flüchtlinge, und Nazis schon gleich gar nicht - sagt jedenfalls Bauer Till. Warum er trotzdem seit fast 40 Jahren nicht mehr wählen geht, erklärt der alte Mann bei einer heißen Tasse Tee.
In Deutschland leben mehr als 82 Millionen Menschen - und doch kommen viel zu oft nur die üblichen Verdächtigen oder die mit den lautesten Parolen zu Wort. Um das zu ändern, reisen wir bis zur Bundestagswahl am 24. September durch Deutschland und bitten Menschen um ihre Meinung, die sonst damit hinter dem Berg halten würden. Die Artikel erscheinen immer mittwochs. Diese Woche sind wir zu Gast in Schleswig-Holstein.
Bauer Till hat ein Herz für durchnässte Radfahrer, die zitternd unter seinem Vordach Zuflucht suchen. Wortlos öffnet der alte Mann die Haustür, schaut zuerst lange in den prasselnden Holsteiner Juniregen, dann auf den Bekloppten, der anscheinend nichts Besseres zu tun hat, als in so einem Schietwetter durch die Gegend zu fahren, in das Dorf Großharrie bei Neumünster. Schließlich seufzt er kurz. "Komm rein, bevor du dich erkältest", sagt er in breitem Platt, deutet nach rechts und schlurft ohne ein weiteres Wort in die entgegengesetzte Richtung davon.
Die rechte Tür entpuppt sich als Badezimmer, der Gang nach links führt ein paar Minuten später mit trockenen Haaren in die Wohnküche, in der Bauer Till gerade einen Tee aufkocht. Der alte Mann füllt zwei Tassen mit dem nach Holunder duftenden Gebräu, deutet aus dem Fenster auf ein paar Sträucher und konstatiert: "Selbstgemacht, hilft gegen Erkältung." Was Bauer Till von Smalltalk hält, ist schon mal klar - aber wie sieht es eigentlich mit Politik aus?
Bauer Till heißt eigentlich gar nicht Bauer Till, seinen richtigen Namen möchte er aber nicht in der Zeitung lesen. Und schon gar nicht im Internet, obwohl er da mangels Anschluss ohnehin nichts liest.
"Is' was für dusselige Schietbüddel", lautet seine lakonische Antwort. Der 84-Jährige geht schon lange nicht mehr wählen, fast 40 Jahre, um genau zu sein: Damals verdiente sich der Landwirt noch etwas dazu, indem er im nahen Dosenmoor Torf stach und es in Neumünster verkaufte oder im Winter selbst zum Heizen benutzte. Dann entschied die schwarze Landesregierung, das Moor unter Naturschutz zu stellen - und Bauer Till, der bis dahin CDU gewählt hatte, fühlte sich verraten.
"Terroristen, Flüchtlinge, Nazis, Windräder: Gibt's hier nicht"
Es ist ein Gefühl, das nicht nur bis heute anhält, sondern sich in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch verstärkte: Erst bestimmten die Politiker in Kiel über seinen Kopf hinweg, dass "sein Moor" ab sofort unter Naturschutz stünde, später schüttelte Bauer Till über die Verfügungen aus Bonn und Berlin den Kopf - und irgendwann wollte ihm dann auch noch die EU vorschreiben, wie er zu wirtschaften hätte. Die Frage nach Details beantwortet der alte Mann mit einem Kopfschütteln, ein Blick in die Runde liefert aber die Antwort darauf, wie die Geschichte endet: Bauer Till wohnt in einem Haus, nicht auf einem Hof.
In der Zeitung liest der alte Landwirt vor allem den Lokalteil, nationale Themen wie die Flüchtlingskrise, die Energiewende oder die Innenpolitik sind für ihn genausowenig von Belang wie die Frage, wann die Jamaika-Koalition im gar nicht so fernen Kiel zu Ende verhandelt hat und ihre Arbeit aufnimmt. "Terroristen, Flüchtlinge, Nazis, Windräder: Gibt's hier nicht", sagt er. Und weil das alles in der Lebenswirklichkeit des alten Landwirtes nicht stattfindet, hat Bauer Till auch nicht das Gefühl, seine Stimme wegzuschmeißen, wenn er am 24. September mal wieder nicht zur Wahl gehen wird.
Auf die Frage, was passieren müsste, um ihn wieder an die Urne zu locken, antwortet Bauer Till nur mit einer deutlichen Kopfbewegung Richtung Fenster: Die Sintflut ist mittlerweile ins Nachbardorf weitergezogen, der Holundertee ausgetrunken und die Fragestunde damit vorbei. Bereits an der Haustür angekommen stiehlt sich dann plötzlich doch noch ein verschmitztes Grinsen auf das wettergegerbte Gesicht des alten Mannes: "Schreiben Sie in Ihrer Internetzeitung, dass ich mein Moor zurückhaben will, dann schauen wir weiter." Bauer Till ist klar, dass das Schicksal des Dosenmoores kein bundespolitisches Thema ist, aber: "Wann hat einen Politiker schon mal gejuckt, was ihn was angeht und was nicht? Ich mach' das ab jetzt einfach genauso."
Quelle: ntv.de