Nur jährliche Übung oder Front? Putin beruft alle Reservisten ein
10.05.2023, 19:07 Uhr
Heute Parade, morgen vielleicht die Front: Russische Kadetten am 9. Mai auf dem Roten Platz.
(Foto: picture alliance / Picvario)
Geschätzt zwei Millionen Reservisten gibt es in Russland, die jährlich an einer Übung teilnehmen. Dass Präsident Putin die Weichen für deren Einberufung kurz vor Beginn der erwarteten ukrainischen Offensive stellt, sät in Moskau Zweifel und Unruhe.
Mitten im Krieg beruft Russland seine Reservisten zu alljährlichen Übungen ein. Das von Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Dokument steht bereits im Amtsblatt. Auf der Grundlage des Dokuments lassen sich die Reservisten ab sofort zur diesjährigen Übung verpflichten. Mit diesem Erlass könne das Verteidigungsministerium entsprechende Anweisungen an die Wehrbezirksämter verfassen, die dann die bei ihnen gemeldeten Reservisten zu Übungen einberufen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass.
Angesichts des Kriegs in der Ukraine dürften viele Reservisten zweifeln, ob es sich in ihrem Fall tatsächlich nur um Übungen handelt oder ob sie an die Front im Nachbarland geschickt werden sollen. Schon bei den jüngsten Einberufungen von Rekruten hatten es viele junge Männer vorgezogen, ins Ausland zu flüchten. Russland hat nach ausländischen Schätzungen rund zwei Millionen Reservisten, von denen bereits bis zu 150.000 in der Ukraine im Einsatz sein sollen.
Nach einem Dekret Putins können russische Männer bereits seit Mitte April leichter zum Militär eingezogen werden. Die Gesetzesänderungen sorgten in der russischen Bevölkerung bereits für große Verunsicherung. Einberufungsbescheide müssen demnach nicht mehr persönlich überreicht werden, sondern können auf elektronischem Weg zugestellt werden. Online erfasste Wehrpflichtige dürfen Russland bis zur Vorstellung bei der Armee nicht mehr verlassen. Viele Russen fürchten, dass nun erneut massenhaft Männer an die Front in der Ukraine eingezogen werden sollen. Der Kreml dementierte solche Pläne.
Hunderttausende Männer ins Ausland geflohen
Im Herbst waren bei einer teils chaotisch organisierten ersten Mobilisierungswelle Hunderttausende Männer ins Ausland geflohen. Andere Russen entgingen der Einberufung dadurch, dass sie nicht an ihrer Meldeanschrift wohnten, sodass der nur in Briefform gültige Einberufungsbescheid nicht zugestellt werden konnte. Dieses Schlupfloch hat Russlands Führung damit geschlossen.
Wer sich nicht innerhalb von 20 Tagen nach der Vorladung beim Militärkommissariat meldet, muss auch im Alltag mit drastischen Einschränkungen rechnen: So dürfen Wehrdienstverweigerer nicht mehr Auto fahren oder Immobilien kaufen. Auch eine Registrierung als Selbstständiger sowie die Gewährung von Krediten sollen nicht mehr möglich sein.
Für weitere Unruhe sorgten Medienberichte Ende April, wonach Studenten in Moskau und weiteren Städten Einberufungsbefehle erhalten hätten. Präsidenten-Sprecher Dmitri Peskow sagte dazu auf Nachfrage: "Ehrlich gesagt ist es das erste Mal, dass ich davon höre. Was für Einberufungen?" Er wisse gar nicht, worum es gehe.
Quelle: ntv.de, mau/dpa