Politik

Tränen in Chicagos Gerichtslobby Richterin nimmt Trumps Anwalt auseinander, blockiert Griff nach Militär

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Nationalgardisten am ICE-Gefängnis in Chicagos Vorstadt Broadview.

Nationalgardisten am ICE-Gefängnis in Chicagos Vorstadt Broadview.

(Foto: REUTERS)

Der US-Präsident befehligt die Streitkräfte - aber im Innern nur unter Bedingungen. Trump ist das gleich, er versucht, mit der Nationalgarde in demokratisch regierten Städten einzurücken. Eine Richterin nimmt seine Argumente auseinander.

Als um 17:29 Uhr Kwame Raoul in der Lobby des Gerichts vor die Mikrofone tritt, muss der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Illinois schnell mit den Tränen kämpfen. "Ich möchte diesen Helden danken ...", beginnt er in Richtung seiner Anwälte, braucht ein paar Sekunden, um sich wieder zu fassen, und bringt den Satz mit wackelnder Stimme zu Ende, "... die sich entgegengestellt haben". Nicht nur für Illinois, sondern "für das ganze Land".

Zuvor vergingen den Großteil des Donnerstags über im 17. Stockwerk des Gebäudes in Chicagos Zentrum entscheidende Stunden. Ein möglicher Präzedenzfall in Trumps historischem Griff nach noch mehr Macht und die autokratischen Tendenzen seiner Regierung wurden verhandelt. Am Ende könnte der Supreme Court einmal mehr entscheiden, ob er Trump und folgenden Präsidenten das Recht zuspricht, das Militär im Innern mehr oder weniger einsetzen zu können, wann und wo sie wollen. Und damit wohl auch aus politischen Gründen.

Trumps Anwalt argumentierte ausführlich, der Präsident habe praktisch uneingeschränkte Autorität darüber, die Nationalgarde einzusetzen, falls er es für richtig halte. Doch die von Ex-Präsident Joe Biden berufene Bezirksrichterin April Perry verwarf die Argumente des Weißen Hauses und blockierte den Einsatz der Nationalgarde in Illinois für vorerst 14 Tage. Eine Verlängerung von weiteren zwei Wochen ist möglich. Perry sagte, sie erwarte eine Berufung des Weißen Hauses.

Konflikt um Abschiebungen

Die Stadt Chicago und der Bundesstaat Illinois hatten gemeinsam Klage gegen den Einsatz von mindestens 500 Nationalgardisten in der von Demokraten regierten Stadt im Mittleren Westen eingereicht. Anlass des Einsatzes waren Auseinandersetzungen vor einem Abschiebegefängnis in Chicagos Vorstadt Broadview und der Konflikt um die "Operation Midway Blitz" der Einwanderungsbehörde ICE, deren Mitarbeiter teilweise brutal und vermummt, mit Tränengas und Pfefferspray gegen Migranten und Demonstranten vorgehen.

Die Regierung beschrieb einen "Aufstand" von Demonstranten und Gewalttätern, die den Präsidenten und die Behörden daran hinderten, die Gesetze durchzusetzen. Deshalb dürfe der Präsident die Nationalgarden der Bundesstaaten von Washington aus befehligen, um anderen Einsatzkräften zu helfen und Bundesgebäude zu schützen, so ihre Argumentation. Doch die Beweislage gab das kaum her. "Wo ist die Rebellion? Wo sind die Rebellen?", fragte Christopher Wells, Anwalt der Anklage. Das Weiße Haus missachte die Situation vor Ort.

Das sah nach einer detaillierten Darlegung der Vorkommnisse auch Perry so. Es gebe "keine glaubwürdigen Beweise" für einen Aufstand in Illinois, urteilte sie. Höchstens 200 Demonstranten inklusive Journalisten seien gleichzeitig in Broadview vor Ort gewesen, die Behörden hätten ihre Arbeit letztendlich immer durchführen können.

Die Beschreibung der Ereignisse durch das Heimatschutzministerium, dem die Einwanderungsbehörde ICE untersteht, bezeichnete Perry als "schlicht unzuverlässig". Es war eine nette Umschreibung für maßlose Übertreibungen der US-Regierung, die spätestens seit der Ermordung des rechten Aktivisten Charlie Kirk mit Superlativen über ihre Feindbilder nur so um sich wirft, und immer wieder Kriminalität, Migration und politische Opposition vermengt. Mehrere Klagen gegen festgenommene Demonstranten wiesen Richter wegen fehlender Beweise zurück.

In einem emotionalen Eröffnungsplädoyer wies Anwalt Wells für Illinois auf die Bedeutung des Urteils für das Verhältnis zwischen Präsidentschaft und Bundesstaaten hin. Er forderte Perry auf, nicht nur offizielle Schriftstücke, sondern auch Trumps mündliche Äußerungen und die in sozialen Medien zu beachten. Das wollten die Verteidiger verhindern, aber die Richterin ließ sich nicht darauf ein. Interessiert war sie insbesondere an Trumps Rede vor der kompletten Militärführung, als er seinen Offizieren gesagt hatte, sie sollten die Städte als "Trainingsgelände" für ihre Soldaten begreifen, um den "Feind im Innern" zu bekämpfen.

Wo soll das alles enden?

Nach den Eröffnungsplädoyers fühlte Perry dem Anwalt des Weißen Hauses rund eine Stunde lang in einem Dauerfeuer an Fragen auf den Zahn. Dieser konnte einige davon nur teilweise oder gar nicht beantworten.

So hatte Trump etwa gesagt, die Nationalgarde solle "Kriminalität bekämpfen", was etwas komplett anderes als der Schutz von ICE-Einsatzkräften und Bundesgebäuden wäre. "Was sollen (die Nationalgardisten) denn tun?", fragte sie an einer Stelle den Anwalt des Weißen Hauses. "Ich weiß es nicht", so die Antwort. Immer wieder bohrte sie nach, was denn mit der Justiz sei, mit gewählten Politikern und anderen, die den Präsidenten daran hinderten, die Gesetze nach seiner Vorstellung durchzusetzen? Dies könnte das Weiße Haus ja ebenso als Aufstand der jeweiligen Personen bewerten. "Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wo das alles enden soll", so Perry.

Als Trumps Anwalt einmal mehr das angeblich gewaltsame Vorgehen der Demonstranten gegenüber den Einsatzkräften beschrieb und zum wiederholten Male erklärte, einer Person sei "der ganze Bart abgerissen worden", bohrte Perry spitz nach, wie sie sich das praktisch genau vorzustellen habe. Ein Raunen ging durch die amüsierten Zuschauer im Gerichtssaal.

Drohungen mit Staatsgewalt

Der Kontext dieser Fragen ist die verbale Eskalation der US-Regierung, die derzeit die Opposition gegen die Abschiebe- und andere Politik zur tödlichen Gefahr unter dem Sammelbegriff Antifa aufbauscht. Ihrer Darstellung zufolge steht sie rücksichtslosen Terrororganisationen und moderner Mafia in nichts nach.

Heimatschutzministerin Kristi Noem, der die ICE untersteht, sagte etwa: "Antifa ist genauso raffiniert wie MS-13, wie Tren de Aragua, wie ISIS, wie Hisbollah, wie Hamas, wie sie alle. Sie sind genauso gefährlich." FBI-Chef Kash Patel meinte, Antifa sei eine "international organisierte kriminelle Unternehmung". Das FBI werde nun die Geldströme verfolgen und "jede einzelne Person" finden, die "Ausschreitungen auf unseren Straßen finanziert". Justizministerin Pam Bondi äußerte sich ähnlich. Manches Regierungsmitglied geht noch darüber hinaus. Stephen Miller, Trumps Stratege im Weißen Haus, nannte auch die Partei der Demokraten eine "inländische Terrororganisation".

Der Präsident unterzeichnete Ende September eine Sicherheitsdirektive mit dem Titel: "Bekämpfung von inländischem Terrorismus und organisierter politischer Gewalt". Demnach sollen künftig alle Personen, Organisationen und Netzwerke aufgelöst werden, die "politische Gewalt schüren", schon "bevor sie zu politischen Gewalttaten führen", also präventiv. Auch "Einschüchterung" ist demnach schon ausreichend. Miller meinte, es sei "das erste Mal in der amerikanischen Geschichte, dass es eine regierungsweite Anstrengung gibt, Linksterrorismus zu zerschlagen".

So versucht das Weiße Haus, seine zahlreichen Schritte gegen zivilen, außerparlamentarischen Widerstand gegen seine Politik zu rechtfertigen: mit Dekreten, Ankündigungen und Rhetorik. Zu diesen Schritten gehört neben Anklagen und Drohungen per Staatsgewalt auch, die Nationalgarde in von Demokraten regierte Städte und Bundesstaaten zu schicken, wo Demonstranten gegen Trump auf die Straße gehen.

Was hat das mit der Gerichtsverhandlung in Chicago zu tun? Trump ist den Ausführungen seines Anwalts zufolge nicht nur der Meinung, die Nationalgarde im Innern einsetzen zu dürfen, wie und wo er will. Sondern auch, dies präventiv zu tun, um etwas zu verhindern, was noch gar nicht geschehen ist. Aber, und darum könnte es vor dem Supreme Court gehen, sollte der Fall dort landen, sind Trump, seine Berater und Juristen ohnehin der Ansicht, die Justiz dürfe den Präsidenten nicht daran hindern, das Militär im Innern einzusetzen. Sondern wenn, dann nur der Kongress.

Quelle: ntv.de

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