Kampf im Boden unter Awdijiwka Russen greifen aus dem Kanalsystem an
27.01.2024, 11:04 Uhr
Plötzlich den Feind im Rücken (Archivbild, hier von einer Übung): An der Front bei Awdijiwka wird die Lage ür die Verteidiger unübersichtlich.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Dramatische Entwicklungen an der Front in der Ukraine: Im Süden der von drei Seiten bedrängten Stadt Awdijiwka sollen russische Kommandos durch einen Trick hinter die ukrainischen Linien vorgedrungen sein.
An der Front bei Awdijiwka ist den russischen Streitkräften offenbar ein riskanter Überraschungsangriff gelungen: Kommandosoldaten hätten sich am südlichen Stadtrand von Awdijiwka Zugang zum Kanalisationssystem verschafft, berichtete das ukrainische Nachrichtenportal "Kyiv Post" unter Berufung auf russische Quellen. Nach wochenlangen Vorbereitungen sei ein Stoßtrupp schließlich durch einen alten Abwasserkanal unter der Front hindurch tief ins ukrainische Hinterland vorgedrungen.
Bei der gewagten Kommandoaktion im Untergrund hätten die Russen bis zu 150 Kämpfer unerkannt hinter die ukrainischen Linien geschleust, heißt es. Die Verteidiger im Süden von Awdijiwka hatten dadurch plötzlich auch starke Feindkräfte im Rücken. Der überraschende Angriff aus dem Hinterhalt hätte es den Russen ermöglicht, einen wichtigen Vorposten der Ukrainer am Stadtrand zu überwältigen. Dabei soll es sich um die zur Festung ausgebaute Stellung "Zarenjagd" an der Sobornaja-Straße gehandelt haben.
In der Region an der alten Ausfallstraße Richtung Spartak wird tatsächlich seit Tagen intensiv gekämpft. Während russische Angriffe an anderen Frontabschnitten bislang stets im Feuer der ukrainischen Verteidiger liegenblieben, hat sich an der Sobornaja-Straße Ende Januar ein auffallend tiefer Frontvorstoß gebildet. Der Überfall aus dem Untergrund könnte den Vorstoß Richtung Stadtzentrum begünstigt haben.
Die alte Ortsverbindungsstraße von Spartak nach Awdijiwka führt mitten durch gut ausgebaute ukrainische Stellungen. An dem fraglichen Frontabschnitt nordwestlich von Donezk stehen sich ukrainische und russische Kräfte schon seit 2014 gegenüber. Quer durchs frühere Niemandsland verläuft die Donezker Umgehungsstraße, deren autobahnähnlich ausgebaute Trasse seit dem Minsker Abkommen die alte Kontaktlinie bildete.
Dass sich der Kampf um Awdijiwka nun auch unter die Erde verlagert, verschafft den Verteidigern zusätzliche Probleme. Der Luftraum über der Front wird bereits intensiv überwacht. Mit Aufklärungsdrohnen halten beide Seiten das Gefechtsfeld im Blick. Jede auffällige Bewegung zieht Artilleriefeuer an. Kampfdrohnen schwirren über das Schlachtfeld. Im Erdboden unterhalb der alten Industrievororte schlummern womöglich weitere Gänge und Kanäle - vom Abwasserkanal, über Kabelschächte oder nicht mehr genutzte Fernwärmeleitungen.
Die Russen seien nahe Spartak ins ukrainische Kanalnetz eingedrungen, berichtete der Kiewer TV-Sender "Kanal 5". Mit Schneidbrenner hätten sie die stählerne Wand eines alten Abwasserrohrs geöffnet und sich anschließend einen Weg durch einen teils überfluteten Tunnel gebahnt. Russische Militärblogger zeigten russisch sprechende Soldaten, die teils durch brusttiefes Wasser waten.
Die nicht mehr genutzten Abwasserkanäle eröffneten den russischen Truppen einen gedeckten Annäherungsweg zum Angriff auf die ukrainische Stellungen. Der Bürgermeister von Awdijiwka, Witaly Barabasch bemühte sich im Gespräch mit "Kanal 5", den russischen Überraschungseingriff einzuordnen. "Wir denken, dass sich durch die Abwasserkanäle kein ernsthafter Angriff organisieren lässt", sagte er. "Sicher keine ernsthafte Offensive." Er gehe eher von einer Art Aufklärungstrupp aus, der aus dem Kanal hinter die ukrainischen Linien vorgedrungen sei.
Auch auf russischer Seite bestehen anscheinend Zweifel, ob die Kommandoaktion die Frontlinie dauerhaft verändern wird. "Der Vorstoß durch die ukrainischen Stellungen ist zu schmal, der Korridor zu lang", zitierte die "Kyiv Post" den russischen Kanal "War Gonzo". Die ukrainischen Gegenangriffe waren demnach bereits "zumindest teilweise erfolgreich".
Quelle: ntv.de, mmo