Sicherheitsexpertin über Donbass "Russland führt wirklich einen Vernichtungskrieg"
26.05.2022, 04:03 Uhr
Sicherheitsexpertin Claudia Major über die Lage im Donbass und Luhansk: "Da wird keine Rücksicht auf Infrastruktur genommen, es ist wirklich nur Vernichtung, ein Angriff ohne Rücksicht auf Verluste."
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Der Krieg in der Ukraine hat sich in den Osten des Landes verlagert. Dort führt Russland einen Vernichtungskrieg. Dennoch ist ein Sieg der Ukraine in diesem Konflikt nicht unwahrscheinlich, ist die Meinung der Gäste in der ARD-Talkshow Maischberger.
Das hatte sich der russische Präsident Wladimir Putin ganz anders vorgestellt, als er am 24. Februar die Ukraine angreifen ließ. Putin war von einem Blitzkrieg ausgegangen. Nun dauert der Krieg bereits fast drei Monate. Ein Ende ist nicht abzusehen. Der Krieg in der Ukraine war einmal mehr Thema in der ARD-Sendung Maischberger. Dabei sind sich die Diskussionsgäste in einem einig: Dieser Krieg kann noch sehr lange dauern. Denn an Friedensverhandlungen ist im Moment keine Partei interessiert.
Die Sicherheitsexpertin Claudia Major kann weder einschätzen, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauert noch wie er enden könnte. Im Moment sehe es schlecht aus für die Ukraine, weil Russland gerade kleine Landgewinne zu verzeichnen habe. Was man aber sehen könne: "Russland führt wirklich einen Vernichtungskrieg." Die Taktik, die Russland aktuell in der Gegend um die Stadt Luhansk und im Donbass anwende, sei eine totale Zerstörung der Region. "Da wird keine Rücksicht auf Infrastruktur genommen, es ist wirklich nur Vernichtung, ein Angriff ohne Rücksicht auf Verluste."
Was das aktuelle Ziel der russischen Armee ist, kann Major nicht einschätzen. Man sei eine Zeitlang davon ausgegangen, die Armee wolle sich mit den russischen Truppen in Transnistrien vereinigen. Aber offenbar habe die Armee nicht die Kraft, dorthin zu gelangen. Russland wolle jedenfalls nach wie vor die Ukraine völlig vernichten. "Die Hoffnung, dass sich die russische Armee auf den Donbass und die Krim beschränken wird, halte ich für illusorisch", sagt Major. Der Westen habe die Ukraine unterstützt und müsse dies weiter tun: mit Waffenlieferungen, finanziell und mit Sanktionen gegen Russland.
Forderung nach klarem Kriegsziel
Nikolaus Blome geht einen Schritt weiter. Der Politikchef von ntv und RTL fordert bei Maischberger, Bundeskanzler Olaf Scholz müsse endlich ein klares Kriegsziel definieren und auch für die Zukunft planen. "Was passiert, wenn die Front einbricht? Würde die Bundesregierung dann mehr und schneller schwere Waffen liefern, auch aus Bundeswehrbeständen? Das würde man formulieren können, wenn man etwas mehr nach vorne denken würde", sagt Blome.
CNN-Reporter Frederik Pleitgen, der auch sehr lange für ntv und RTL gearbeitet hat, war noch vor wenigen Wochen in der Ukraine. Er hat sowohl die russische als auch die ukrainische Armee begleitet. Die ukrainischen Soldaten seien sicher, dass sie den Krieg für sich entscheiden würden, sagt er. In der Ukraine gebe es nicht nur eine klassische Armee, sondern auch ein sehr beachtliches Guerilla-Element. Außerdem hätten sich viele Ukrainer freiwillig zur Armee gemeldet, während viele russische Soldaten eingezogen worden seien. Die Russen kämpften überdies einen Krieg wie im 20. Jahrhundert, und das mit teils sehr alten Waffen. Pleitgen berichtet über Fahrzeuge, die zusammenbrechen, und über Haubitzen, die sich nicht bewegen lassen. Die ukrainischen Soldaten seien bereits gut ausgebildet, weitere Ausbildungen vor allem an schweren Waffen liefen. Und die meisten Waffen, die vor allem aus den USA kämen, seien noch gar nicht zum Einsatz gekommen.
Pleitgen: Ukraine werde Großoffensive starten können
Die Situation für die ukrainische Armee sieht Pleitgen recht günstig. Er erklärt: In der Tat sind die Ukrainer im Donbass auf dem Rückzug. Aber in der Region Kharkiv haben sie die Russen zurückgedrängt, teilweise über die russische Grenze." Sein Fazit: "Die Ukraine wird vielleicht in den nächsten Wochen eine Großoffensive starten können."
Über die zögerlichen Waffenlieferungen aus Deutschland ist Pleitgen verärgert. Er sei deswegen in der Ukraine oft kritischen Fragen ausgesetzt gewesen, sagt er. Er verweist auf die Diskussion um die Lieferungen von "Gepard"-Panzern. "Es glaubt doch kein Mensch den Deutschen, die die besten Autos der Welt kaufen, wenn sie sagen: Wir liefern "Gepard"-Panzer, aber wir haben keine Ahnung, wo wir Munition herkriegen sollen. Immerhin sind wir Logistikweltmeister."
Claudia Major sieht das ähnlich. "Die Frage ist, wie ernst nehmen wir die Unterstützung für die Ukraine. Und die Frage ist, in welchem Europa wollen wir leben", gibt sie zu bedenken. Der Bundestag habe die Lieferung schwerer Waffen beschlossen, und die Ukraine brauche jetzt Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Flugabwehr, um zu verhindern, dass Putin den Krieg gewinnt.
"Natürlich ist das Militär nicht das einzige", sagt Major am Ende zusammenfassend. "Es gilt ein Gesamtpaket. Aber ohne das Militär wird es nicht gehen."
Quelle: ntv.de