Vorwurf: "Armee-Diskreditierung" Russland leitet Verfahren gegen Memorial-Mitarbeiter ein
22.03.2023, 07:45 Uhr
Nachdem Memorial 2022 den Friedensnobelpreis bekam, sagte Oleg Orlow, er empfinde "ständigen Schmerz und Scham angesichts der Gräuel, die die (russische) Armee in einem souveränen Nachbarland verübt".
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Am Morgen durchsuchen russische Polizisten die Wohnungen von mindestens neun Mitgliedern der Menschenrechtsorganisation Memorial. Gegen einen von ihnen, Oleg Orlow, leiten die russischen Behörden auch ein Strafverfahren ein. Der Vorwurf: "Öffentliche Aktivitäten zur Diskreditierung" der russischen Streitkräfte.
Die Behörden in Russland haben ein Strafverfahren gegen ein führendes Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial wegen "Diskreditierung" der in der Ukraine kämpfenden Streitkräfte eingeleitet. In einer auf Telegram veröffentlichten Nachricht erklärte Memorial, Oleg Orlow werde wegen "öffentlicher Aktivitäten zur Diskreditierung" der russischen Streitkräfte strafrechtlich verfolgt.
Sollte er angeklagt werden, droht ihm eine lange Haftstrafe. Zuvor hatte die Polizei der Organisation zufolge bei mindestens neun ihrer Mitglieder oder deren Angehörigen Hausdurchsuchungen vorgenommen, darunter auch bei Orlow und ihrem Vorsitzenden, Jan Ratschinski. Mehrere von ihnen seien nach den Durchsuchungen auf die Polizeiwache gebracht worden, hieß es. Dies geschah den Angaben zufolge im Zuge des Anfang März gegen Memorial eröffneten Verfahrens wegen "Rehabilitierung des Nationalsozialismus". Die russischen Behörden beschuldigen Memorial demnach, in ihre Liste der Opfer sowjetischer Repressionen die Namen von drei Nazi-Kollaborateuren aufgenommen zu haben.
Die 1989 gegründete Organisation dokumentierte 30 Jahre lang die Verbrechen der früheren Sowjetunion, indem sie Dokumente sammelte, Ausstellungen organisierte und Druck auf den Staat zur Anerkennung seiner Verantwortung ausübte. Zugleich setzte sich Memorial für die Verteidigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen in ganz Russland ein. Vor dem Hintergrund verschärfter Maßnahmen gegen kritische Stimmen kurz vor dem Angriff auf die Ukraine ordnete die russische Justiz Ende 2021 die Auflösung der Organisation an.
Ein Jahr später wurde Memorial mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Nach der Bekanntgabe des Preises 2022 hatte Oleg Orlow gesagt, er empfinde "ständigen Schmerz und Scham angesichts der Gräuel, die die (russische) Armee in einem souveränen Nachbarland verübt". Der Nobelpreis "gibt dir Möglichkeiten und Inspiration, um weiterzuarbeiten", sagte er. Er sei aber "kein Schutz".
Quelle: ntv.de, jki/AFP