Politik

Putins "rücksichtslose Aktionen" Russlands Vorrücken auf AKW besorgt die Welt

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In der Nacht kommt es zum Beschuss des Geländes des größten Atomkraftwerks Europas, inzwischen haben russische Truppen das Gebiet offenbar eingenommen. Das Vorrücken provoziert scharfe Reaktionen und Sorgen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat das Vorrücken russischer Truppen zu Europas größtem Atomkraftwerk scharf verurteilt. Die Berichte über den Angriff auf die Kernkraftanlage nahe der ukrainischen Großstadt Saporischschja zeigten die Rücksichtslosigkeit, mit der der Krieg geführt werde und wie wichtig es sei, ihn zu beenden, sagte Stoltenberg am Rande eines Sondertreffens der Außenminister der Bündnisstaaten in Brüssel. Russland müsse all seine Truppen zurückziehen und sich diplomatisch engagieren.

Nach dem Vorrücken russischer Truppen zu dem Atomkraftwerk war ein Feuer in einem Gebäude der Anlage ausgebrochen. Am Morgen wurde es nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums gelöscht. Gebrannt habe ein Trainingskomplex. Es sei keine erhöhte Radioaktivität gemessen worden, teilte die ukrainische Aufsichtsbehörde mit. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte im Laufe des Vormittags die Einnahme des Komplexes, der Betrieb laufe "normal".

"Gezielter Angriff wäre Kriegsverbrechen"

Ein gezielter russischer Angriff auf ein ukrainisches Atomkraftwerk wäre nach Einschätzung des Völkerrechtlers Claus Kreß als Kriegsverbrechen einzuordnen. "Ein gezielter Angriff auf ein zivil genutztes Kernkraftwerk, ja, das wäre ein Kriegsverbrechen", sagte der Kölner Wissenschaftler im Deutschlandfunk. Ein solcher Fall fiele in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Kreß berät dort Chefankläger Karim Khan, der offizielle Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der von Russland angegriffenen Ukraine eingeleitet hat.

US-Präsident Joe Biden hat Russland aufgefordert, seine militärischen Aktivitäten in dem Gebiet einzustellen. In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe Biden sich "über den aktuellen Stand des Brandes" in der Atomanlage erkundigt, teilte das Weiße Haus am Donnerstagabend (Ortszeit) mit.

Die "rücksichtslosen Aktionen" von Putin "könnten nun die Sicherheit ganz Europas direkt gefährden", sagte der britische Premierminister Boris Johnson am frühen Morgen bei einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj. Johnson erklärte laut einer Mitteilung seines Amtssitzes, dass er "in den kommenden Stunden" eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zur Lage in dem Atomkraftwerk erreichen wolle. Großbritannien werde alles tun, um sicherzustellen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtere, hieß es weiter.

"Zurückhaltung üben": Selbst China mahnt

Schwedens Außenministerin Ann Linde teilte ihre Sorgen am Morgen auf Twitter und forderte, dass die wirksame Kontrolle des Kraftwerks durch die ukrainischen Behörden sichergestellt werden müsse. "Die Sicherheit der Atomanlagen in der Ukraine darf unter keinen Umständen gefährdet werden." Die Ministerin verlinkte auf einen Tweet des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi. Dieser appellierte darin an alle Beteiligten, von Schritten abzusehen, die eine Gefahr für Kernkraftwerke darstellen könnten. Grossi will in Tschernobyl mit Russland und der Ukraine Sicherheitsgarantien für ukrainische Atomanlagen aushandeln. "Für uns als IAEA ist es Zeit zu handeln. Wir müssen etwas tun."

Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre sagte dem norwegischen Rundfunk, man verfolge die Situation in Saporischschja genau. Zugleich unterstrich er, dass der Vorfall die völlig inakzeptable Natur des Krieges zeige. "Das grenzt ja an Wahnsinn, auf diese Weise anzugreifen", sagte Støre dem Rundfunksender NRK.

China fordert von den Kriegsparteien in der Ukraine, die Sicherheit der Atomanlagen zu gewährleisten. "Wir werden die Situation beobachten und alle Seiten auffordern, Zurückhaltung zu üben, eine Eskalation zu vermeiden und die Sicherheit der betreffenden Nuklearanlagen zu gewährleisten", sagt der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin, bei einem täglichen Briefing.

"Russland in einer Reihe mit Nordkorea"

Die australische Regierung hat sich zutiefst besorgt gezeigt. Außenministerin Marise Payne sprach auf Twitter von "Rücksichtslosigkeit" Putins. Der von ihm ausgelöste Krieg stelle "eine direkte Bedrohung für die kritische Infrastruktur in der Ukraine, einschließlich der Atomkraftwerke, dar", schrieb die Ministerin. Premierminister Scott Morrison erklärte in einem Radio-Interview, die gezielten Sanktionen gegen Russland zeigten Wirkung. "Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass Präsident Putin von seinen mörderischen Taten abgebracht wird", sagte er. "Aber das sollte den Rest der Welt nicht davon abhalten, weiter Druck auszuüben und den Schraubstock festzuziehen." Russland habe sich durch Putin selbst zu einem Pariastaat gemacht, also einem Staat, der sich nicht an die Regeln der internationalen Gemeinschaft hält. "Wir können sie mit Nordkorea und anderen in eine Reihe stellen, und sie sollten entsprechend behandelt werden."

Das Bundesumweltministerium (BMUV) und das Bundesamt für Strahlenschutz informieren derweil auf ihren jeweiligen Webseiten fortlaufend über die Gefährdungslage. Alle radiologischen Messwerte an dem Kraftwerk bewegten sich "weiter im normalen Bereich". Deutschland verfüge seit vielen Jahren über Instrumente zur Bewertung einer radiologischen Lage, beispielsweise das Integrierte Mess- und Informationssystem IMIS, hieß es dazu. "Sollte das BMUV Hinweise haben, dass sich ein radiologischer Notfall mit erheblichen Auswirkungen in der Ukraine ereignet, würde das radiologische Lagezentrum des Bundes im BMUV die Lage bewerten, die Öffentlichkeit informieren und, soweit erforderlich, Verhaltensempfehlungen geben."

Quelle: ntv.de, ter/dpa

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