Politik

Letzte Hoffnung 3500-Euro-Möbel? SPD wirbt mit leerem Kanzler-Stuhl für Olaf Scholz

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Die SPD wirbt mit dem Bürostuhl EA119 von Vitra, wie er auch im Kanzlerbüro steht. Scholz selbst taucht in dem Video nicht auf.

Die SPD wirbt mit dem Bürostuhl EA119 von Vitra, wie er auch im Kanzlerbüro steht. Scholz selbst taucht in dem Video nicht auf.

(Foto: spd.de)

Auf den letzten Metern vor der Wahl veröffentlichen die Parteien neue Werbeclips. Der jüngste Spot aus dem Willy-Brandt-Haus ist bezeichnend: Die SPD setzt weiter darauf, Friedrich Merz als ungeeignet für das Kanzleramt darzustellen. Das tut sie seit Monaten, doch an Scholz' Zuspruch ändert das nichts.

"Das ist der Stuhl des Kanzlers", sagt im neuen SPD-Wahlwerbespot eine Stimme aus dem Off. Dass bei diesem Eröffnungssatz des Videos nicht schon alle Alarmglocken schrillten, spricht für die sittliche Reife der Kampagnenverantwortlichen im Willy-Brandt-Haus. "Sittliche Reife" ist Bundeskanzler Olaf Scholz wichtig, wie man seit dessen krachender Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner weiß. Dem Autor dieses Textes geht diese Reife ab: Er hört den Satz, denkt "höhö" und schmunzelt. Danach aber stellen sich ihm Fragen. Zum Beispiel: Was ist das für ein Stuhl? Welche Botschaft verknüpfen die Sozialdemokraten damit? Und: Fällt der Partei in historisch schlechter Lage wirklich nichts anderes ein als negative campaigning, also das permanente Kratzen am Image des aussichtsreichen Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz?

Die erste Frage ist mit Hilfe von Google schnell beantwortet. Im Video wird ein Stuhl des Schweizer Möbelausstatters Vitra gezeigt. Dessen Unternehmenserfolg geht zurück auf die Entdeckung der Designermöbel von Charles und Ray Eames, die Vitra aus den USA nach Europa brachte. 1958 entwarf das Ehepaar den "Aluminium Chair", der in der Ausführung EA 119 im Büro des Bundeskanzlers steht. Internethändler vertreiben das edle Stück für etwa 3500 Euro, je nach Ausstattung können es auch 4000 Euro sein. Die Käufer sind keine klassisch sozialdemokratische Klientel.

In dem Werbespot geht es auch nicht um die Design-Geschichte des Stuhls. "Es ist ein Stuhl, auf dem Geschichte geschrieben wird", lässt der Sprecher im zweiten Satz des Spots wissen. Auf diesem Stuhl werde über Sicherheit, Frieden und Wohlstand in Deutschland und der Welt diskutiert und entschieden. Die Menschen müssten zur Bundestagswahl entscheiden, ob jemand "mit Erfahrung und Kompetenz" auf dem Stuhl Platz nehmen soll. Jemand, der wisse "wovon er spricht, Nachfragen standhält und jederzeit besonnen handelt". Gemeint ist der "Kanzler unter den Kandidaten", Amtsinhaber Olaf Scholz. Mit ihm stünden "Besonnenheit, Erfahrung und Kompetenz" zur Wahl. Die Wiederholung dieser Eigenschaften ist natürlich Absicht.

Erfahrener Scholz oder unberechenbarer Merz?

Andernfalls könne jemand auf dem Stuhl sitzen, "der im Affekt verspricht, was er nicht halten kann", warnt die Stimme. "Jemand, der schon jetzt Wort- und Tabubruch begeht und in unsere Brandmauer Löcher reißt". Wer dieser jemand ist, lässt der Spot offen. Natürlich ist Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz gemeint. Eine Woche nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD für das "Zustrombegrenzungsgesetz" macht die SPD weiter Wahlwerbung mit diesem in der Tat bemerkenswerten Vorgang. Zumal Union und AfD zusammen mit den Stimmen von FDP und BSW in selbiger Plenarwoche erfolgreich einen Entschließungsantrag zur Migrationspolitik durchbrachten.

Aus Sicht von SPD, Grünen und Linken war das eine Zäsur. Weil Merz seine Zusage gebrochen habe, kein Gesetz zur Abstimmung zu stellen, das nur mit Stimmen der AfD zu einer Mehrheit kommt. Und weil er mit diesem Wortbruch, den Merz persönlich ausführlich begründete, die sogenannte Brandmauer zur AfD eingerissen habe. Diese besagt, dass die demokratischen Parteien in Bundestag und Landtagen aus Prinzip keine gemeinsame Sache machen mit der AfD, die nach Auffassung vieler Beobachter den freiheitlichen Rechtsstaat im Kern ablehnt.

Diese Zäsur aber war aus Sicht von SPD, Grünen und Linken aber auch eine Chance. Eine Chance, das eigene Lager zu mobilisieren. Das war ihnen am vergangenen Wochenende auch gelungen in Form zahlreicher Demonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern. Und es war eine Chance, die eigenen Behauptungen über CDU-Chef Merz zu belegen: Dass dieser unberechenbar, unzuverlässig und eruptiv sei. Diesem Kanzlerkandidaten Merz hält die SPD ihren eigenen Kandidaten entgegen. Mit dem Ruf der Erfahrung und Kompetenz wurde der schon einmal Kanzler, allen Umfragen zum Trotz - nachdem sich die Mitbewerber von Union und Grünen durch eigene Fehler selbst aus dem Rennen genommen hatten.

Die Wahlsieg-Architekten sind wieder am Werk

2021 wie heute zeichnen bei der SPD dieselben Personen verantwortlich für die SPD-Wahlkampagne: der damalige Generalsekretär und heutige Co-Parteivorsitzende Lars Klingbeil und die Agentur brinkertlück. Letztere überraschte 2021 mit prägnanten Wahlplakaten. Auf denen waren Scholz und die anderen SPD-Bundestagskandidaten als schwarz-weiße Nahporträts vor SPD-roten Hintergründen zu sehen. Klingbeil war maßgeblich verantwortlich für die Botschaften des Kanzlerkandidaten. Der versprach damals allen Menschen im Land "Respekt", ganz besonders aber den Geringverdienern mit der - dann tatsächlich erfolgten - Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Auf schier unzähligen Wahlkampfveranstaltungen platzierte Scholz beharrlich diese immer gleiche Botschaft. Den Wahlkampfberichterstattern klingelten 2021 ob der penetranten Wiederholung schon zu Beginn des Wahlkampfsommers die Ohren.

So griffig wie damals ist die SPD-Kampagne zur vorgezogenen Neuwahl nicht. Unter Mitwirkung von Matthias Miersch, der im Herbst den erkrankten SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kurzfristig ablöste, ringt die SPD-Werbung aber erneut um Aufmerksamkeit. Scholz vor den Deutschlandfarben: Die Plakate sahen eher nach CDU aus und sorgten bei Teilen der SPD-Linken für mehr als nur Stirnrunzeln. Zudem sind alle Plakate mit einem großen QR-Code versehen. Halten die Menschen ihre Handykamera darauf, öffnet sich eine SPD-Internetseite. Das kann man modern finden, aber naheliegend ist, dass viele Menschen den Code nicht als solchen erkennen und sie, wenn doch, auch nicht gerade vor Neugierde platzen.

Kompetent, erfahren und besonnen im Angesicht der vielen Krisen in der Welt, insbesondere in der Ukraine: Mit diesem Image sollte sich doch etwas anstellen lassen, überlegten sich die SPD-Verantwortlichen im Herbst vor der Neuwahl. Der Gedanke war auch naheliegend. Doch die SPD ist zwei Wochen vor dem Wahlsonntag festgetackert in den Umfragen auf 14 bis 16 Prozent. Im jüngsten RTL/ntv-Trendbarometer von Forsa rutschte Merz nach der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD zwar ab auf 28 Prozent. Doch bei der SPD: tat sich nichts. Ebenso wenig in den nachfolgenden Umfragen von Infratest dimap und der Forschungsgruppe Wahlen, während dort die Union nicht einmal an Zustimmung verlor und weiterhin haushoch führt mit 30 Prozent und mehr.

Es wird existenziell für die SPD

Zudem könnten die Grünen, die anders als die SPD seit dem Herbst langsam aber konstant wachsen, bis zum 23. Februar an der SPD vorbeiziehen. Die Sozialdemokraten steuern gerade auf das mit Abstand schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte zu. Sie drohen nur noch dritt- oder viertgrößte Fraktion im Parlament zu sein. Beinahe die Hälfte ihrer Mandate könnte verloren gehen. Es ist eine katastrophale, ja existenzielle Situation. Schließlich hatten viele Beobachter vermutet, dass die SPD zumindest auf den letzten Wahlkampfmetern noch den einen oder anderen Prozentpunkt zulegen würde. Erst recht nach dem AfD-Eklat der Union im Bundestag.

Und damit zurück zum Stuhl: Der Wahlwerbespot zeigt, dass der Kampagnenleitung auch in dieser Phase nichts anderes mehr einfällt als negative campaigning. Schon im Herbst hatte sich die SPD darauf eingeschossen, den Menschen Merz' Charakterschwächen und Unerfahrenheit in Regierungsämtern nahezubringen, ihn als abgehobenen Vertreter des Großkapitals mit vorzeitlichen Gesellschaftsvorstellungen darzustellen. Doch Monate später ist Merz' Ansehen noch immer besser als das des Amtsinhabers. Und die Union ist der SPD in den Umfragen unverändert enteilt. Es mag auch Scholz' schlechtem Image geschuldet sein, dass der Kanzler in dem Spot gar nicht erst zu sehen ist.

Auch Müntefering bezeugt Merz' fehlende Eignung

Die SPD-Spitze aber glaubt - siehe 2021 - an die Kraft der Wiederholung und setzt weiter auf die Strategie, Merz jedwede Eignung abzusprechen. In einem für soziale Medien wie Instagram entworfenen Video, das ebenfalls diese Woche veröffentlicht wurde, berichtet SPD-Urgestein Franz Müntefering von seinen Beobachtungen zu Friedrich Merz. Den habe weder Helmut Kohl noch Angela Merkel und auch keine der CDU-geführten Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen im Kabinett haben wollen. Merz seien seine Nebeneinkünfte zudem so wichtig gewesen, dass er über Jahre lieber ganz in der Wirtschaft als in der Politik gearbeitet habe, sagt Müntefering weiter. Das Video ist handwerklich gut gemacht, erzählt aber im Kern dasselbe wie alle anderen Sozialdemokraten seit Monaten.

Natürlich ist denkbar, dass die SPD-Botschaft in den allerletzten Tagen vor der Wahl noch Wähler erreicht und zum Umdenken bringt. Hinweise darauf gibt es derzeit allerdings nicht. Es ist also wahrscheinlich, dass bald Friedrich Merz im Kanzlerbüro Platz nimmt, nicht aber unbedingt auf demselben Stuhl. Der um 20 Zentimeter höher gewachsene Merz bevorzugt womöglich ein anderes Modell. Der EA119 geht in gutem Zustand auch noch gebraucht für 2000 Euro über den digitalen Ladentisch. Vielleicht kann Olaf Scholz bei so einem Schnäppchenpreis den Designerstuhl behalten, auch wenn der bald nicht mehr im Kanzleramt stehen sollte.

Quelle: ntv.de

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