Menschenrechtler sind geschockt Saudi-Arabien sitzt UN-Frauenrechtskommission vor
28.03.2024, 10:03 Uhr Artikel anhören
Bei den Vereinten Nationen kümmert sich künftig ein saudischer Vertreter um die Rechte der Frauen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die UN-Frauenrechtskommission steht künftig unter dem Vorsitz von Saudi-Arabien. In einer Wahl ohne Gegenkandidaten wird Abdulaziz Alwasil per Applaus ins Amt gewählt. Amnesty International und Human Rights Watch reagieren mit scharfer Kritik.
Die weltweite Stärkung der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter liegen künftig in der Hand von Saudi-Arabien. Abdulaziz Alwasil, seit 2016 ständiger Vertreter seines Landes bei den Vereinten Nationen, übernimmt den Vorsitz der UN-Frauenrechtskommission. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Das Königreich, das international wegen Menschenrechtsverletzungen stark in der Kritik steht, wurde vor allem von Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum unterstützt. Der 63-Jährige wurde per Akklamation, also per zustimmendem Beifall, von den Vertretern von 45 Nationen ins Amt gewählt.
Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie, in der das Königshaus mit einer ultrakonservativen Islam-Auslegung herrscht. Im Bericht der Stiftung Weltwirtschaftsforum (WEF) 2023 über die Gleichstellung der Geschlechter steht es auf Platz 132 von 146 Ländern.
Beschluss wird mit kurzem Beifall bedacht
Bei der Sitzung der Kommission hatte der derzeitige Vorsitzende aus den Philippinen, Antonio Lagamedo, den saudischen Botschafter als einzigen Kandidaten vorgestellt. "Darf ich davon ausgehen, dass die Kommission seine Exzellenz Abdulasis Alwasil aus Saudi-Arabien per Akklamation zum Vorsitzenden der Kommission auf ihrer 69. Sitzung wählen möchte?", fragte er die 45 Mitgliedsländer. "Ich höre keine Einwände. Also ist es so beschlossen." Der Beschluss wurde mit kurzem Beifall bedacht. Es kam auch aus der Gruppe "Westeuropa und andere Staaten" kein Widerspruch. Die Gruppe ist dort zurzeit mit Österreich, Israel, Liechtenstein, den Niederlanden, Portugal, Spanien, der Schweiz und der Türkei vertreten.
Lagdameo tritt bereits nach einem Jahr ab. Normalerweise sieht das Amt vor, dass ein Land für zwei Jahre an der Spitze steht. Wie der "Guardian" berichtet, geschah der Rückzug offenbar auf Druck mehrerer Länder aus dem asiatischen Raum. Eigentlich sollte Bangladesch die Nachfolge übernehmen, doch dann drängelte sich Saudi-Arabien dazwischen.
Experten sehen das als nächsten Schritt, um den eigenen Ruf aufzupolieren und sich international als mächtiger Partner anzubieten. Seit Jahren bemüht sich der Wüstenstaat bereits mit milliardenschwerem Sportswashing um Imagepflege. Zuletzt sorgten vor allem Fußballklubs der heimischen Liga mit gigantischen Stareinkäufen für Aufsehen.
"Schockierende Missachtung der Frauenrechte"
Menschenrechtsorganisationen reagierten empört. Saudi-Arabien steht international in der Kritik, weil es immer wieder gravierende Menschenrechtsverletzungen gibt und die Rechte von Frauen massiv eingeschränkt sind. Sherine Tadros, die Leiterin des New Yorker Büros von Amnesty International, sagte: "Saudi-Arabien ist jetzt an der Spitze, aber Saudi-Arabiens eigene Bilanz in Bezug auf Frauenrechte ist miserabel und weit entfernt von dem Mandat der Kommission." Zudem jährt sich im kommenden Jahr die Pekinger Erklärung, ein bahnbrechender Entwurf für die weltweite Förderung von Frauenrechten, zum 30. Mal. "Wer auch immer den Vorsitz innehat, ist in einem entscheidenden Jahr für die Kommission in einer Schlüsselposition, um die Planung, die Entscheidungen, die Bestandsaufnahme und den Ausblick zu beeinflussen", sagte Tadros.
"Für uns ist dies ein Schock, wenn auch keine Überraschung", sagte Natalie Wenger, bei Amnesty Schweiz unter anderem für Saudi-Arabien zuständig. Saudi-Arabien betreibe mit viel Geld eine Imagekampagne, um sich als modernes Land zu präsentieren. "Das sind aber Gesten, die keine Substanz haben."
Louis Charbonneau, der Direktor von Human Rights Watch bei den Vereinten Nation, schrieb bei X: "Saudi-Arabiens Wahl an die Spitze der UNO-Frauenrechtskommission zeigt eine schockierende Missachtung der Frauenrechte überall." Das Land dürfe schon einmal deshalb nicht den Anspruch auf den Vorsitz erheben, weil es Frauen für den Kampf für Frauenrechte bestrafe. Kritik übte er am Schweigen der anderen Länder, die die Wahl nicht verhindert hätten. Er rief Saudi-Arabien auf, Frauenrechtlerinnen aus der Haft zu entlassen und Frauen gleiche Rechte wie Männern zuzugestehen.
"Personenstatus"-Gesetz in Saudi-Arabien
Die saudische Vertretung reagierte nicht auf die Bitte um eine Stellungnahme zur Wahl, so heißt es beim "Guardian". Stattdessen verwiesen Vertreter auf das "Personenstatus"-Gesetz, das vor zwei Jahren im Land eingeführt wurde und als Nachweis für die Fortschritte bei Frauenrechten dienen soll.
So dürfen Frauen seit ein paar Jahren den Führerschein machen. Das Gesetz sieht indes auch vor, dass Frauen zur Heirat die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen müssen. Zudem muss sie dem Ehemann "angemessen" gehorchen. Von diesem Gehorsam hängt ihre finanzielle Ausstattung ab. Amnesty International sagt zudem, ein durchgesickerter Entwurf eines bevorstehenden neuen Strafgesetzbuchs "schützt Frauen und Mädchen nicht vor allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt".
Quelle: ntv.de, tno