Lukaschenko siegt mit 80 Prozent Straßenkämpfe nach Wahl in Belarus
09.08.2020, 23:20 Uhr
Hunderttausende Menschen demonstrierten auch nachts in den Straßen von Minsk.
(Foto: picture alliance/dpa)
Schon vor der Wahl in Belarus rechnet die Opposition mit Manipulationen, jetzt sieht sie sich bestätigt. An einen Sieg Lukaschenkos mögen auch die vielen Protestierenden nicht glauben, die in der Nacht in Minsk und anderen Städten auf die Straße gehen. Die Polizei reagiert brutal.
Nach der Präsidentenwahl in Belarus sind landesweit Zehntausende Menschen gegen Wahlfälschung auf die Straße gegangen. Dabei kam es in der Nacht zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Es gab viele Verletzte. Die Polizei ging brutal gegen friedliche Demonstranten vor. In der Hauptstadt Minsk setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten ein. Solche Proteste hat das Land noch nie erlebt. Mit Spannung wird erwartet, ob sich Staatschef Alexander Lukaschenko äußern wird. Von ihm gab es zunächst keine Reaktionen.
Die Wahlkommission erklärte am Morgen Lukaschenko zum Sieger. Der 65-Jährige habe 80,23 Prozent der Stimmen bei dem Urnengang am Sonntag erzielt, teilte Wahlleiterin Lilija Jermoschina als vorläufiges Ergebnis mit. Lukaschenkos Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, kam demnach nur auf 9,9 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung in dem zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland gelegenen Land lag nach Angaben der Wahlleitung bei 84 Prozent der rund 6,8 Millionen Stimmberechtigten.
Tichanowskaja wollte ihre Niederlage schon vor Bekanntwerden des offiziellen Ergebnisses nicht einräumen: "Es kann keine Anerkennung eines solchen Wahlergebnisses geben", sagte Sprecherin Anna Krasulina. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die staatlichen Prognosen Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen zuschreiben würden. "Das ist fern jeder Realität." Von Lukaschenko gab es nach der Abstimmung keine Reaktion. Stattdessen kam im Innenministerium ein Krisenstab zusammen. Die Lage sei unter Kontrolle, teilten die Behörden staatlichen Medien zufolge mit.
Bis zu 100.000 Menschen demonstrieren in Minsk
Wie viele Menschen festgenommen wurden, ist bislang unklar. Die Menschenrechtsorganisation Wesna sprach in der Nacht von zunächst mehr als 50 Festnahmen allein in Minsk. Landesweit sollen es demnach 120 gewesen sein. Diese Zahl dürfte weiter steigen. Nach Angaben von Beobachtern sollen sich in der Hauptstadt bis zu 100.000 Menschen an den Demonstrationen beteiligt haben. Auf Videos war etwa zu sehen, wie Demonstranten aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. Menschenmassen zogen durch die Straßen - auch in anderen Städten des Landes.
In sozialen Netzwerken wurden immer wieder Videos veröffentlicht, wie Polizisten brutal auf Menschen einprügelten. Auch Demonstranten attackierten Polizisten, um Festnahmen zu verhindern. Es gab viele Bilder von blutüberströmten Menschen. Tichanowskaja rief die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Gewaltverzicht auf. "Ich möchte Polizei und Militär daran erinnern, dass sie Teil des Volkes sind", sagte sie nach Angaben ihres Wahlkampfstabs. An ihre Anhänger appellierte sie, Provokationen zu unterlassen. "Ich weiß, dass die Menschen in Belarus morgen in einem neuen Land aufwachen werden", meinte Tichanowskaja.
Lange Schlangen vor den Wahllokalen
In einzelnen Orten kam es auch zu ersten Siegesfeiern für die Oppositionskandidatin. Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen. Weil viele Sicherheitskräfte nach Minsk verlagert worden seien, habe die Polizei in manchen Orten kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Portale im Internet, das landesweit zeitweise nicht funktionierte.
Einzelne örtliche Wahlkommissionen traten am Abend vor die Menschenmengen und verkündeten Ergebnisse, nach denen Staatschef Lukaschenko eine schwere Niederlage erlitten habe. Teils kam Tichanowskaja demnach auf zwischen 80 und 90 Prozent der Stimmen. Vor den Wahllokalen hatten sich am Sonntag teils lange Warteschlangen von einigen Hundert Metern gebildet. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie. Nach Angaben der Wahlkommission stimmten 84 Prozent der Wahlberechtigten ab.
Schon am Wahltag und in den Wochen davor gab es viele Festnahmen. Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. In Belarus wird noch die Todesstrafe vollstreckt.
Ziel Tichanowskajas war es im Wahlkampf, die Abstimmung zu gewinnen, als Präsidentin alle politischen Gefangenen freizulassen und dann freie Neuwahlen anzusetzen. Sie kandidiert anstelle ihres Ehemanns Sergej Tichanowski. Der regierungskritische Blogger sitzt wie der frühere Banken-Chef Viktor Babariko in Haft - wegen Anschuldigungen, die als politisch inszeniert gelten.
Quelle: ntv.de, ino/dpa