Ex-Minister bei Markus Lanz Theo Waigel: "Dilettantisch war viel, was in der letzten Zeit passiert ist"
12.12.2024, 05:49 Uhr Artikel anhören
Theo Waigel war von 1988 bis 1999 Bundesfinanzminister.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nur noch sehr selten gibt Theo Waigel Interviews. Markus Lanz räumt ihm gleich eine ganze Sendung frei. Und die nutzt der frühere Bundesfinanzminister unter anderem, um mit der gescheiterten Ampelregierung abzurechnen.
Vor 26 Jahren hat sich Theo Waigel aus der Politik zurückgezogen. Interviews gibt er nicht oft. Für Markus Lanz macht er an diesem Mittwochabend eine Ausnahme. Eine volle Dreiviertelstunde steht der 85-Jährige dem Talkmaster im ZDF Rede und Antwort. Dabei geht es auch um die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation in Deutschland.
Das Ampel-Aus sei fällig gewesen, sagt Waigel, für die FDP und für das Land. "Denn das ist das Problem in einer so schwierigen Situation, wo die Welt im Umbruch ist, dass da Deutschland als Führungsmacht in Europa ausfällt." In Frankreich und Deutschland gebe es eine Regierung ohne Mehrheit. "Da bin ich heilfroh, dass sich wenigstens die EU-Kommission etabliert hat und als handlungsfähig dasteht und ein Mercosur-Abkommen abschließt, das ganz wichtig wäre für die deutsche und für die europäische Wirtschaft." Schwierig wäre, wenn dieses Abkommen, das über eine lange Zeit verhandelt worden sei, nicht zum Tragen käme, sagt Waigel.
Auf die Ampelregierung ist der langjährige Finanzminister nicht gut zu sprechen: "Dilettantisch war viel, was in der letzten Zeit passiert ist." So habe es die Bundesregierung nicht hinbekommen, zum richtigen Zeitpunkt zu sparen und zu investieren. Zudem habe es Bundeskanzler Scholz nicht geschafft, die richtigen Prioritäten zu setzen, als es nötig war.
Die FDP habe "suboptimal" reagiert, als sie die Ampelkoalition verlassen habe. "Wenn man sieht, dass es so nicht weitergeht, dann muss man sich hinstellen und sagen, aus dem und jenem Grund können wir so nicht weitermachen. Das haben Genscher und Lambsdorff 1982 getan. Sie haben sich nicht rausschmeißen lassen, sondern sind gegangen, mit erhobenem Haupt. Auch das hätte Lindner mit seinen Mannen tun müssen, zu sagen: Mit euch geht es so nicht mehr weiter; wir müssen einen Trennstrich vollziehen." Man hätte sich friedlich voneinander trennen müssen. Das wäre ein Beispiel für politische Kultur gewesen, sagt Waigel.
Waigel vermisst ehrliche Ansagen
Über die Rede von Bundeskanzler Scholz zum Ampel-Ende sagt Waigel: "Das ist mangelnder Stil. So geht man miteinander nicht um." Doch Waigel ist mit der gesamten Ampel-Performance nicht einverstanden. Die FDP habe den Fehler gemacht, mit der SPD und den Grünen zu koalieren, die völlig andere finanz- und wirtschaftspolitische Vorstellungen gehabt hätten. Da habe FDP-Chef Lindner versagt.
Scholz wiederum habe sein Führungsversprechen nicht eingehalten: "So wenig politische Führung war nie in Deutschland." Darin sieht Waigel das Versagen des Bundeskanzlers. Und Wirtschaftsminister Habeck? "Der hat natürlich als Wirtschaftsminister versagt. Nicht nur wegen des Heizungsgesetzes. Aber dass wir im Moment an letzter Stelle stehen aller Industrieländer, dass Deutschland den Durchschnitt der EU-Länder nach unten zieht, das hat es noch nie gegeben. Und dafür muss ein Wirtschaftsminister natürlich auch gerade stehen."
Vor allem versagt habe aber die Kommunikation der Regierung. "Man hätte den Menschen sagen müssen: Das, was jetzt passiert, Corona-Krise auf der einen Seite und dann vor allem der Ukrainekrieg, kann nicht ohne Opfer abgehen. Man hätte den Menschen sagen müssen, wir können nicht alles kompensieren, wir können nicht alles ersetzen, was dadurch verloren gegangen ist. Und man hätte den Menschen stärker sagen müssen: Das Wichtigste ist, dass wir Arbeitsplätze erhalten, was zum Teil auch gelungen ist, und dass wir schauen, dass Deutschland wettbewerbsfähig bleibt."
Das sei nicht gelungen, andere hätten das besser gelöst. Von diesen Ländern hätte Deutschland lernen müssen, dass zum Beispiel Lohnerhöhungen in einer Wirtschaftskrise ein falscher Weg seien, so Waigel.
Eine nächste Regierung werde möglicherweise Steuern erhöhen, sagt Waigel. Doch das empfiehlt er nicht. Zunächst sollte es darum gehen, Subventionen zu kürzen. Jeder Minister sollte in seinem Ressort nach Sparpotential suchen. Das Geld sollte man dann zur Förderung der Wirtschaft verwenden. Gleichzeitig sollten aber auch die Menschen stolz auf das sein, was sie erreicht hätten.
Auch Söder sollte nichts ausschließen
Nicht ganz zufrieden ist Waigel mit der Strategie von CSU-Chef Söder, der eine Koalition mit den Grünen nach den Wahlen kategorisch ausschließt. "Man sollte nichts ausschließen", sagt Waigel. Trotzdem macht Söder seiner Meinung nach offenbar einiges richtig. Es sei in Ordnung, im Wahlkampf seine Positionen pointiert darzustellen, sagt der ehemalige Finanzminister. "Der entscheidende Punkt ist: Es gibt nicht allzu viele Koalitionsmöglichkeiten. Insofern muss ich dann danach schauen, mit wem ich die größten Schnittmengen habe. Und wenn mir das jemand anbietet und auch die Gewähr dafür bietet, dass er das vier Jahre durchzieht, dann kann und muss ich mit ihm die Koalition schließen."
Die Union mache keinen Koalitionswahlkampf. Das wäre auch völlig falsch, sagt Waigel. "Jetzt geht es darum, AfD auf der einen und BSW auf der anderen Seite möglichst klein zu halten, damit die demokratischen Parteien der Mitte einigermaßen stabil oder stark aus der Wahl herauskommen." Er könne verstehen, dass Söder keine Koalition mit Habeck wolle angesichts dessen, was der Wirtschaftsminister angerichtet habe. "Aber völlig ausschließen kann niemand etwas." Die Grünen könnten koalitionsfähig werden. Sie müssten sich nur ändern. Und Söder? Fragt Lanz. "Söder braucht sich nicht zu ändern, wenn sich die anderen geändert haben", lacht Waigel.
Quelle: ntv.de