Politik

Sunniten und Schiiten USA offenbaren ihre Konzeptlosigkeit

Maskierte Sunniten in Falludscha.

Maskierte Sunniten in Falludscha.

(Foto: dpa)

Der Überfall der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak hat einen Flächenbrand ausgelöst. Die Landkarte des Nahen Ostens bekommt ein neues Gesicht.

Es ist müßig, zu fragen, ob die alte Ordnung in Nah- und Mittelost auch ohne ausländische Intervention implodiert wäre. Über kurz oder lang hätten gewiss auch die inneren Widersprüche in Ländern wie dem Irak zum Bruch geführt. Der Einmarsch der "Koalition der Willigen" unter Führung der USA in den Irak aber hat diesen Prozess beschleunigt, wenn nicht ausgelöst. Der Rückzug der Kampftruppen war unvermeidlich. Zwei Kriege konnten selbst die gern als einzig verbliebene Supermacht apostrophierten Vereinigten Staaten nicht führen. Wenn jetzt der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain Barack Obama für die Misere verantwortlich macht, hat er einerseits Recht: Dass dem Zweistromland nach dem Abzug Chaos und Spaltung drohen, pfiffen die Spatzen von Washingtons Dächern. Die Alternative wäre gewesen, die Militärpräsenz fortzusetzen. Das wäre auf Dauer ohne Hilfe "williger" Staaten unmöglich gewesen. Sogar die engsten Verbündeten der USA verspüren kaum noch Lust zu Abenteuern, die sich auf Lügen gründen.

Nun will Obama Waffen liefern, Drohnen gar! Aber keine Soldaten. Doch wer soll die Drohnen bedienen, wenn nicht GIs, die ja nicht unbedingt in Bagdad oder Basra sitzen müssen? Die US-amerikanische Strategie in Nah- und Mittelost steckt in einer Sackgasse. Eine neuerliche Invasion im arabisch-islamischen Raum ist für das – nicht zuletzt wegen der Irakkriegskosten in Höhe von drei Billionen Dollar – schwerstverschuldete Land nicht tragbar. Das wurde auch schon beim Überfall auf Libyen sichtbar, als Washington Paris und London den Vortritt ließ. Dort übrigens erinnert die Lage heute an den Zustand im Norden des Zweistromlandes: Irakisch-Kurdistan ist faktisch ein unabhängiger Staat. Libyens historische Landesteile Tripolitanien und Fessan sind mehr oder weniger autonome Gebiete. Die Cyrenaika als dritter Part hat seit Oktober vergangenen Jahres eine eigene Regierung.

Neue Grenzen zeichnen sich ab

Waffenlieferungen allein sind aber auf Dauer keine Lösung. Zudem werden sie den schiitisch dominierten Rest-Irak als Verbündeten des Iran stärken. Teheran hat die Gunst der Stunde erkannt und will seinen Alliierten in Bagdad statt – bislang verdeckt – jetzt auch offen militärisch unterstützen. Israelische Geheimdienstquellen sprechen zynisch vom ersten militärischen Joint Venture zwischen den USA und dem Iran. Es war Iraks Premier Nuri al-Maliki, der Obama bereits Anfang November 2013 vor Waffenlieferungen an die syrische Opposition warnte. Dies würde auch jene Islamisten stärken, die nicht nur das Regime von Baschar al-Assad in Syrien stürzen, sondern unter Einschluss des Irak ein "Kalifat" errichten wollen.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass der nah- und mittelöstliche Knoten militärisch zerschlagen werden kann. Umso mehr, als Afghanistan nach dem unvermeidlichen Abzug aller ausländischen Truppen nicht nur selbst zum fortgesetzten Schauplatz von Chaos wird, sondern durch die Rückkehr der Taliban auch zum Gehilfen der sunnitischen Glaubenskrieger in Syrien und dem Irak. Auf längere Sicht wird die Landkarte von Maghreb bis Levante und Hindukusch neugestaltet. Nur dass die neuen Grenzen im Ergebnis eines blutigen Flächenbrandes entstehen und nicht am Reißbrett der Kolonialmächte.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Gesche

hen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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