Zwölf Punkte für einen Toten Ukraine baut Bonussystem für Kämpfende aus
03.11.2025, 19:18 Uhr Artikel anhören
		                      In Zukunft sollen nicht nur Drohnenpiloten belohnt werden, sondern zum Beispiel auch Artilleristen.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Wenn man Punkte vergibt für die Tötung von Menschen - entmenschlicht das nicht den Krieg? Nebensache, meint der ukrainische Vize-Präsident Fedorow. Immerhin mache es die Verteidigung effektiver. Die Ukraine ist von ihrem Anreizsystem offenbar so überzeugt, dass sie es erheblich ausweiten will.
Die Ukraine will ein Belohnungssystem ausbauen, das Drohnenpiloten mit Punkten belohnt, wenn sie bestimmte Ziele treffen. "Es ist bei den Einheiten sehr beliebt geworden", sagte der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mychajlo Federow dem britischen "Guardian". Die Zeitung zitiert ukrainische Beamte: Die Zahl der teilnehmenden Einheiten habe sich seit August mehr als vervierfacht.
Ein verwundeter russischer Soldat sei 8 Punkte wert, berichtet die "New York Times". Ein toter Soldat 12 Punkte. Russische Drohnenpiloten sind besonders wertvoll: Ihre Verwundung bringt 15 Punkte ein, ihr Tod 25. Ein zerstörter Panzer wird mit 40 Punkten belohnt. Der Jackpot? Einen russischen Soldaten lebend zu fangen: 120 Punkte.
Zum Start des Programms hätten die Drohnenpiloten für einen toten russischen Infanteristen nur zwei Punkte bekommen, schreibt die Zeitung. Kiew habe die Belohnung seither in zwei Schritten auf zwölf Punkte angehoben. Die Zahl der russischen Opfer diesen September war doppelt so hoch wie im Oktober letzten Jahres. Das sei zum Teil auf den gestiegenen Bonus zurückzuführen, so der "Guardian". Die Punkteverteilung spiegele die veränderten Prioritäten auf dem Schlachtfeld wider.
Neben Drohnenpiloten sollen in Zukunft auch Soldaten mit Punkten belohnt werden, die Aufklärungsarbeit leisten, logistische Operationen durchführen oder in Artillerieeinheiten kämpfen. Aufklärer könnten Punkte erhalten, wenn sie ein Ziel markieren, das eine andere Einheit später erfolgreich attackiert.
"Ein sich selbst verstärkender Kreislauf"
Die Punkte können in einem Onlineshop gegen Waffen eingetauscht werden. Dort gibt es mehr als 100 verschiedene Drohnen, autonome Fahrzeuge, Roboter und anderen Kriegsbedarf. "Es gibt einen Wettbewerb um die Punkte, um diese Drohnen, elektronischen Kriegssysteme und andere Dinge zu erhalten", sagte Fedorow dem "Guardian": "Je mehr Infanteristen man tötet, desto mehr Drohnen bekommt man, um noch mehr Infanteristen zu töten. Das wird zu einer Art sich selbst verstärkendem Kreislauf."
Die "New York Times" vergleicht das ukrainische Bonussystem mit den Medaillen und Orden, mit denen Soldaten früher für Erfolge belohnt wurden. Die digitale Belohnung mit Punkten sei schneller und effektiver. Sie sorge dafür, dass Ressourcen dorthin fließen, wo sie am besten genutzt werden. "Wenn es unsere Streitkräfte zusätzlich motiviert", so Fedorow laut der Zeitung, "dann unterstützen wir das gerne".
Die "New York Times" lässt auch einen Drohnenpiloten zu Wort kommen. Er ist 33 Jahre alt, kämpft in einer der Einheiten, die besonders viele Punkte gesammelt haben und sagt: "Es ist ein brutales Spiel - Menschenleben werden zu Punkten". Der Kommandant seiner Einheit dagegen will im Krieg kein Spiel erkennen. Das Bonussystem sieht er lieber als vertrauensbildende Maßnahme: "Dass erfolgreiche Kampfhandlungen zusätzliche Ausrüstung mit sich bringen - das schafft Vertrauen, dass wir über die Mittel verfügen, um weiterzukämpfen."
Bonussystem wirft wertvolle Daten ab
Ob ein Belohnungssystem für Drohnentreffer den Krieg entmenschlicht? Das ist für den ukrainischen Vize-Präsident Fedorow eine nachgelagerte Frage. "Was unmenschlich ist: Einen großen Krieg zu beginnen", entgegnet er der "New York Times". Dem "Guardian" sagte Fedorow, er sei mittlerweile "ziemlich emotionslos", wenn es darum gehe, ein feindliches Menschenleben zu bepreisen. "Es fühlt sich wie reine technische Arbeit an. Denn wenn man den Feind nicht aufhält, tötet er die Soldaten, und wenn die Soldaten tot sind, kommt er in die Stadt und erobert sie, zerstört sie und tötet die Zivilbevölkerung", so Fedorow.
Seit Beginn der Vollinvasion der Ukraine gibt es Berichte, die russische Armee zahle ihren Soldaten Abschussprämien für die Zerstörung ukrainischer Waffen. Die russische Führung versuchte immer wieder, Soldaten mit hohen Kopfgeldern in den Krieg zu locken. Sie verspricht außerdem finanzielle Absicherung bei Verletzungen oder im Todesfall.
Das Punktesystem habe der Ukraine umfangreiche Daten geliefert, wodurch sie "ein besseres Verständnis für die Mathematik des Krieges" erhalte, zitiert der "Guardian" Fedorow. "Dank der Punkte beginnen wir tatsächlich besser zu verstehen, was auf dem Schlachtfeld geschieht", sagte er der Zeitung. Um ihre Erfolge auf dem Schlachtfeld in Punkte zu verwandeln, schicken die Drohneneinheiten Videos ihrer Treffer an eine Stelle in Kiew. Dort werden sie ausgewertet. Dabei fallen laut Fedorow wertvolle Daten ab. Über die getroffenen Ziele, den Ort der Treffer, die eingesetzten Waffen und Informationen.
"So sehen wir, was effektiv ist und was weniger effektiv ist", sagte Fedorow demnach. "Jeder sieht die Rangliste, sodass die Einheiten beginnen, sich gegenseitig zu besuchen, um voneinander zu lernen. Die Anführer beginnen, diejenigen zu unterrichten und ihnen den Weg zu ebnen, die sich noch in der Entwicklung befinden." Innovation von unten sei das.
Quelle: ntv.de, lwe