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Spardruck durch Wirtschaftskrise Russische Regionen kürzen Prämien für neue Rekruten drastisch

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Junge russische Männer sitzen in einem Moskauer Rekrutierungsbüro.

Junge russische Männer sitzen in einem Moskauer Rekrutierungsbüro.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Die russischen Ressourcen sind endlich. Inflation und Arbeitskräftemangel sowie westliche Sanktionen drücken auf die Kriegswirtschaft. Als Folge werden die fürstlichen Boni neuer Vertragssoldaten massiv gekürzt. Dabei sollten die ein anderes Problem beheben.

Immer mehr russische Regionen haben die Vertragsprämien für Männer, die sich freiwillig zum Kampf in der Ukraine melden, massiv beschnitten. Diese Entwicklung verdeutlicht die Haushaltsprobleme der Regierung aufgrund der schwächelnden russischen Wirtschaft, berichtet "Radio Liberty/Radio Free Europe". In den letzten Wochen haben demzufolge mindestens acht Regionen die Zahlungen an Männer gekürzt, die Verträge mit den Streitkräften unterzeichnet hatten.

Dazu gehört die Region Samara, wo neue Freiwillige bei ihrer Anmeldung nun nur noch 400.000 Rubel (4327 Euro) erhalten, gegenüber einem Höchstbetrag von 3,6 Millionen Rubel (38.945 Euro) im Januar. 400.000 Rubel sind die staatlich vorgeschriebene Mindestprämie. Das russische Rekrutierungssystem stützt sich auf eine Kombination aus Zahlungen des Verteidigungsministeriums und regionaler Regierungen, die bestimmte Quoten erfüllen müssen. In einigen Fällen haben Städte oder Gemeinden zu den Unterzeichnungsprämien beigetragen.

In der Wolga-Region Tatarstan, die eine der höchsten Opferzahlen zu verzeichnen hat, sind die Zahlungen in diesem Jahr ebenfalls stark zurückgegangen: von 2,7 Millionen Rubel (29.209 Euro) auf 400.000 Rubel. Der Bonus werde laut Rekrutierungsbannern um den gleichen Betrag vom Verteidigungsministerium aufgestockt.

In Baschkortostan, das ebenfalls eine unverhältnismäßig hohe Opferzahl zu beklagen hat, wurde der Unterzeichnungsbonus von 1,6 Millionen Rubel (17.309 Euro) um 600.000 Rubel (6491 Euro) gekürzt. Die kleine, verarmte Wolga-Republik Mari El wurde durch die Bonuszahlungen von 2,6 Millionen Rubel Anfang des Jahres zu einer der Regionen mit den höchsten Löhnen des Landes. Offiziellen Zahlen zufolge gelang es dort, im ersten Halbjahr 1300 Männer zu verpflichten. Mittlerweile sind die Prämien auf die Mindesthöhe gesunken.

Männer mit Geldsorgen werden direkt angesprochen

Mikhail Delyagin, Abgeordneter im Wirtschaftsausschuss des Parlaments, sagte, die Kürzungen seien wahrscheinlich auf geringere Zahlungen aus dem Staatshaushalt zurückzuführen. "Das ist das Ergebnis der Politik des Finanzministeriums, das das Land auspresst, einschließlich wohlhabender Regionen wie Baschkortostan", erklärte er bereits im Juni gegenüber RTVi. In Werbekampagnen des Verteidigungsministeriums - auf Plakatwänden, in sozialen Medien und auf Jobbörsen - wurden die finanziellen Vorteile einer Meldung zum Kampf in der Ukraine stark betont. In einigen Fällen richteten sich die Anzeigen speziell an Menschen mit finanziellen Schwierigkeiten. "Ein Kontakt, mit dem finanzielle Stabilität beginnt", hieß es auf einem Rekrutierungsplakat in der nördlichen Region Jamal-Nenzen.

"Ein Job für echte Männer: schnelles Geld, sofortige Auszahlung", sagte Ivan Chuvilyaev, der für eine Anti-Kriegs-Organisation arbeitet. "Die Zielgruppe sind eindeutig Menschen mit Mikrokrediten und Darlehen, Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, Menschen, die sich keine Wohnung, kein Auto und keinen Unterhalt für ihre Kinder leisten können", sagte er. "Oder wir hatten Fälle, in denen die Mutter von jemandem krank wurde, sechs Monate lang im Sterben lag und das gesamte Geld zuerst für die Behandlung und dann für die Beerdigung ausgegeben wurde. Danach hatten sie keine Ersparnisse, kein Geld, überhaupt nichts mehr. Nur eine [Stellenanzeige], die in ihren Briefkasten gesteckt wurde", sagte er.

Als Präsident Wladimir Putin im September 2022, sieben Monate nach Beginn der Vollinvasion in der Ukraine, eine Teilmobilisierung ankündigte, waren Teile der russischen Bevölkerung geschockt. Viele von ihnen waren davon ausgegangen, dass der Krieg in der Ukraine schnell beendet wäre - genau so, wie es der Kreml zunächst behauptet hatte. Hunderttausende Menschen, vor allem Männer, flohen aus dem Land in den Kaukasus, nach Zentralasien oder in die Türkei. In der Folge entwickelten die Verantwortlichen zahllose Rekrutierungssysteme, die sich aus Bundes- und lokalen Budgets finanzierten, um den freiwilligen Dienst lukrativ zu machen.

Sie sollen auch auf andere Methoden zurückgegriffen haben. So dürfen Wehrpflichtige, die ihren einjährigen Wehrdienst ableisten, offiziell nicht in den Kampf geschickt werden. Aber Kommandeure und Rekrutierer sollen Wehrpflichtige nach nur wenigen Monaten Grundausbildung dazu gezwungen haben, Zeitverträge zu unterschreiben. "Die Wehrpflicht wird im Wesentlichen zum Hauptzufuhrkanal für den vertraglichen Militärdienst", sagte Chuvilyaev. In jüngerer Zeit haben die Gesetzgeber die Regeln für die Wehrpflicht geändert, einige Vorschriften verschärft und einige weit verbreitete Ausnahmeregelungen abgeschafft.

Höhere Boni - aber zeitlich begrenzt

Allerdings kürzen nicht alle Regionen die Prämien. Woronesch, Altai und Tambow haben dem Bericht zufolge eine Erhöhung der Zahlungen angekündigt. In wieder anderen Regionen werden höhere Prämien allerdings nur zeitlich begrenzt angeboten: So kündigten die Behörden in der sibirischen Region Tjumen beispielsweise an, neue Einstellungsprämien in Höhe von 3,4 Millionen Rubel (36.782 Euro) zu zahlen, allerdings nur, wenn die Verträge vor dem 30. November unterzeichnet werden. Ähnliche zeitlich begrenzte Anreize wurden auch in Chanty-Mansijsk und Tula versprochen. In der Region Moskau sollen neue Freiwillige ebenfalls höhere Zahlungen erhalten, wenn sie Verträge bis Jahresende unterzeichnen.

Insgesamt gab Russland laut Janis Kluge, einem Experten des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit, in der ersten Hälfte des Jahres 2025 etwa 4 Milliarden Dollar (3,43 Mrd. Euro) für Unterzeichnungsboni aus. Die Gesamtausgaben würden für das gesamte Jahr wahrscheinlich 10 Milliarden Dollar (8,57 Mrd. Euro) übersteigen, prognostizierte er.

Haushalt läuft aus dem Ruder - Mehrwertsteuer steigt

Nach mehr als drei Jahren rasantem Wachstum steht die russische Wirtschaft vor massiven Problemen. Das ist zum Teil auf die Inflation zurückzuführen, die durch hohe Löhne verursacht wird. Die wiederum müssen gezahlt werden, da vor allem männliche Arbeitskräfte fehlen. Die sind in großer Zahl nach der im September 2022 angekündigten Teilmobilisierung ins Ausland geflohen, Hunderttausende kämpfen zudem in der Ukraine.

Die Regierung hat bereits reagiert und eine Erhöhung der nationalen Mehrwertsteuer angekündigt, um den Haushalt unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig die hohen Kriegsausgaben aufrechtzuerhalten. Auf regionaler Ebene belastet der Abschwung zudem die lokalen Behörden, strapaziert die Haushalte und zwingt die Regierungen zu Einsparungen - unter anderem mit der Kürzung einiger Vertragsboni.

Artyom Klyga, Anwalt der Nichtregierungsorganisation "Bewegung der Kriegsdienstverweigerer", sagte, dass Regionen, die überdurchschnittlich hohe Unterzeichnungsprämien anboten, in gewisser Weise Experimentierfelder waren. "Sie kamen zu dem Schluss, dass es sich nicht besonders lohnte, hohe Beträge zu zahlen, und beschlossen, diese Experimente in einigen Regionen einzustellen", so Klyga. "Die Planung des Bundeshaushalts für das nächste Jahr spielte wahrscheinlich auch eine Rolle. Es ist bereits klar, dass dies ein großer Misserfolg sein wird."

Quelle: ntv.de, als

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