Endet die Ära Erdogan? Wahllokale in der Türkei geschlossen - Erste Ergebnisse am Abend
14.05.2023, 16:54 Uhr Artikel anhören
Von den vier Kandidaten hatte einer unlängst zurückgezogen.
(Foto: picture alliance/dpa/CTK)
Es könnte eng werden für den türkischen Staatschef Erdogan. In Umfragen zur Präsidentschaftswahl lag sein Herausforderer Kilicdaroglu zuletzt vorn. Ein Sieg des Oppositionspolitikers könnte zu einer Wiederannäherung des Landes an EU und Deutschland führen.
In einer richtungsweisenden Wahl haben die Bürgerinnen und Bürger der Türkei über den Präsidenten und ein neues Parlament abgestimmt. Die Wahllokale schlossen um 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 MESZ). Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl bangen. Umfragen hatten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und seinem Herausforderer, dem Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, hingedeutet. Belastbare Ergebnisse waren für den späten Abend angekündigt.
Die Wahl lief nach einer ersten Einschätzung der zuständigen Behörde ohne Probleme ab. Oppositionspolitiker meldeten kleinere Zwischenfälle aus verschiedene Provinzen. Rund 64 Millionen Menschen im In- und Ausland waren zur Stimmabgabe aufgerufen. In Deutschland waren rund 1,5 Millionen Menschen mit türkischem Pass stimmberechtigt. Beobachter rechneten mit einer hohen Wahlbeteiligung. Bei der letzten landesweiten Wahl hatte der 69-jährige Erdogan mit 52,5 Prozent der Stimmen gewonnen, die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 86 Prozent.
"Haben die Demokratie sehr vermisst"
"Wir haben die Demokratie sehr vermisst", sagte Oppositionsführer Kilicdaroglu am Mittag bei der Stimmabgabe. Der "Frühling" werde hoffentlich bald kommen, so der 74-Jährige unter Bezug auf einen möglichen Sieg bei der Wahl. Erdogan, der in Istanbul seine Stimme abgab, reiste am Nachmittag in die Hauptstadt Ankara.
Seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren hat der 69 Jahre alte Erdogan so viel Macht wie noch nie. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern bei einer Wiederwahl Erdogans vollends in die Autokratie abgleiten könnte. Auch international wird die Abstimmung in dem NATO-Land aufmerksam beobachtet.
Der 74-jährige Kilicdaroglu ist Chef der sozialdemokratischen CHP und kandidierte für ein Bündnis aus sechs Parteien. Er verspricht eine demokratischere Türkei. Der dritte Kandidat, Sinan Ogan, hat keine Aussicht auf einen Sieg. Ein weiterer Herausforderer, Muharrem Ince, hatte sich aus dem Rennen zurückgezogen. Sein Name stand aber noch auf dem Wahlzettel und für ihn abgegebene Stimmen sollten mit ausgezählt werden.
Erdogan fährt aggressive Kampagne
Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Runde die absolute Mehrheit, kommt es in zwei Wochen - am 28. Mai - zu einer Stichwahl des Präsidenten. Im Parlament hielt Erdogans islamisch-konservative AKP bislang eine Mehrheit im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP. Erdogan musste noch nie in eine Stichwahl.
Der Wahlkampf war angespannt und galt als unfair, vor allem wegen der medialen Übermacht der Regierung. Bestimmendes Thema war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan versprach unter anderem eine Anhebung von Beamtengehältern und weitere Investitionen in die Rüstungsindustrie. Er führte eine aggressive Kampagne und beschimpfte die Opposition als "Terroristen".
Kilicdaroglu gilt als besonnener Politiker. Er stammt aus der osttürkischen Provinz Tunceli und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an. Der Oppositionsführer will die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Zentralbank wiederherstellen und die hohe Inflation in den Griff bekommen. Er steht für eine Wiederannäherung an Deutschland und die EU, aber auch für eine schärfere Migrationspolitik.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa