Politik

Russische Diva singt in Berlin Warum Anna Netrebko den Putin-Makel nicht loswird

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Kann nicht alle mit ihrem Statement gegen den russischen Angriffskrieg überzeugen: Weltstar Anna Netrebko

Kann nicht alle mit ihrem Statement gegen den russischen Angriffskrieg überzeugen: Weltstar Anna Netrebko

(Foto: imago images/SKATA)

Anna Netrebko singt in der Berliner Staatsoper - was vor zwei Jahren für Verzückung gesorgt hätte, wird dieser Tage zum Politikum. Denn die Star-Sopranistin geht nur auf die allernötigste Distanz zu Putin. Und pocht darauf, unpolitische Sängerin zu sein. Doch ihr Verhalten stellt gerade das infrage.

Sie ist derzeit wohl die einzige "Primadonna Assoluta" weltweit – Anna Netrebko, seit Jahrzehnten für ihr Stimmvolumen gefeierte Sopranistin, die in Opernhäusern und Konzertsälen quer über den Globus auch die allerletzte Reihe im Parkett noch verzückte. So sicher und souverän die 51-jährige Diva sich in den hohen Stimmlagen bewegt, so sehr tritt sie aus Sicht vieler Kritiker als russischer Superstar daneben.

Auch anderthalb Jahre nach Beginn des Großangriffs russischer Truppen auf die Ukraine fehlt von Netrebko eine klare Distanzierung von demjenigen, der diese Armee in die Spur geschickt hat: Staatspräsident Wladimir Putin. Dazu hatte die New Yorker Metropolitan Opera sie 2022 explizit aufgefordert, um keine Auftritte der Diva absagen zu müssen. Dem habe sie als russische Staatsbürgerin jedoch nicht nachkommen können, ließ Netrebko vor etwa zwei Wochen in einer Klageschrift erklären, mit der sie von der Met Schadenersatz fordert. "Die Verurteilung von Putin kann für eine russische Person, ihre Familienmitglieder und enge Freunde, die in Russland leben, riskant sein", heißt es darin.

Bis zum 24. Februar 2022 spielten solche Faktoren im Leben des Superstars keine Rolle. An den führenden Opernbühnen der Welt und auch im Publikum scherte sich niemand um politische Überzeugungen der Sopranistin. Man wollte Netrebko singen hören, vor Verzückung vom Stuhl gerissen werden wie alle anderen – ob in der Met, bei den Salzburger Festspielen oder in der Arena die Verona.

Das ist vorbei. Und die Staatsoper Berlin muss sich auf ihrer Internetseite erklären für die kommenden Auftritte der Ausnahmesängerin im September: viermal "Macbeth", der erste Termin am heutigen Freitag. Proteste gegen Netrebkos Auftritt sind angekündigt, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner erklärte, den Aufführungen fernzubleiben und traf sich stattdessen am Donnerstag mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. So kann man deutlich machen, wo in Zeiten eines Angriffskrieges in Europa die eigenen Prioritäten liegen.

Bei der Staatsoper liegen die Prioritäten offenbar auf Netrebkos Stimmqualitäten und ihrem Status. Die Intendanz hat sich mit ihr und ihrem Management ausgesprochen, "und der Intendant konnte sich ein persönliches Bild von der Authentizität ihrer Angaben machen", erklärt die Oper in einem Pressestatement.

Netrebko gefiel Putins Engagement "für die Kunst"

"Ihre Angaben" beziehen sich auf Erklärungen, in denen Netrebkos Management zu ihrem Verhalten vor Kriegsausbruch Stellung nimmt, als sie ihren Ausnahmestatus nutzte, um in der russischen Heimat Politik zu machen. Unter anderem setzte sie ihre Unterschrift 2012 unter eine Petition russischer Prominenter, die Wladimir Putins zweite Kandidatur für das Präsidentenamt unterstützten. Netrebko begründete sie mit Putins Engagement für die Kunst.

Kritische Stimmen fragen, ob sich Kulturförderung so abkoppeln lässt von Putins Feldzügen gegen Tschetschenien und Georgien, den Drohungen und Verhaftungen von Oppositionellen, die bereits damals bekannt waren. "Auch 2012 war Netrebkos Unterschrift unter dieser Petition die Entscheidung, einen Präsidenten zu unterstützen, der schon zu jenem Zeitpunkt ein brutaler Diktator war, aggressiv nach außen, aggressiv nach innen", sagt die Historikerin Franziska Davies. "Da kann man sich jetzt nicht hinstellen und sagen, 'ich war immer ein unpolitischer Mensch'."

Genau das ist heute Netrebkos Position: Auch ihren Fotoauftritt 2014, als sie sich nach der russischen Annexion der Krim mit einem militanten Separatistenführer samt Flagge des Pseudostaats "Noworossija" ablichten ließ, erklärte sie später mit "Kulturförderung". Der Weltstar spendete eine Million Rubel "an das Opernhaus in Donezk, das damals praktisch russisch besetzt war und immer noch russisch besetzt ist", sagt Davies, die an der Ludwig-Maximilians-Universität in München forscht. "Schon damals war 'Neurussland' bekanntermaßen das ideologische Konstrukt, mit dem der Kreml seinen Krieg gegen die Ukraine legitimiert hat."

Netrebkos Management sagt heute, die Flagge sei damals bei einem "ad-hoc-Fototermin unerwartet entrollt" worden. Die Bilder der Deutschen Presseagentur zeigen Netrebko, einen Strauß Rosen im Arm, die Flagge mit beiden Händen haltend. Ihr Kleid harmoniert mit den Farben der Fahne.

Ihren 50. Geburtstag feierte die Diva ein halbes Jahr vor dem russischen Ukraine-Einmarsch mit einem Galakonzert im Kreml. "Veranstaltet von einem externen Produzenten" – so entschuldigt das Management inzwischen die mehrstündige Sause. Doch vor diesem Hintergrund büßt die Erklärung, "Netrebko war nicht auf einer Linie mit Putin, sie hat Putin nicht unterstützt, sie wurde von Putin nicht unterstützt, stand in keiner engen Verbindung mit Putin, war keine Verbündete Putins und auch keine politische und ideologische Unterstützerin Putins" trotz der Länge an Überzeugungskraft ein.

Ebenso schwer wie solche Auftritte aus der Zeit vor dem russischen Überfall wiegt aus Sicht der Russland-Expertin Netrebkos heutiges Verhalten - abseits der offiziellen Management-Statements. Etwa ihre Patenschaft für das russische SOS-Kinderdorf Tomilino, in dem seit Kriegsausbruch auch aus der Ukraine verschleppte Kinder untergebracht sein sollen. ZDF-Recherchen legten Ende 2022 den Verdacht nahe, dass das Kinderheim in die Organisation von Zwangsadoptionen ukrainischer Kinder eingebunden war. Solche massenhaften, organisierten Kindesentführungen sind es, auf die der Internationale Strafgerichtshof seinen Haftbefehl gegen Wladimir Putin fußen lässt. Eine Distanzierung des Weltstars ist nicht bekannt.

"Heulende aggressive Meerjungfrauen"

"Wenn Netrebko dieser Tage sagt, sie sei eine Kämpferin gegen 'Russophobie', dann gebraucht sie einen Begriff, den der Kreml seit Jahren benutzt, um Kritik an seinem aggressiven Verhalten abzuwerten", sagt Davies. Und wenn Netrebko geflüchtete Ukrainerinnen, die im Mai gegen ihren Auftritt in Wiesbaden protestierten, auf Instagram als "heulende aggressive Meerjungfrauen mit künstlichen Blumen im Haar" bezeichnete, so beschädigte das im Nachhinein die Glaubwürdigkeit der offiziellen Erklärung aus Februar 2022: "Meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien."

Die lästerliche Passage ist inzwischen aus Netrebkos Instagram-Auftritt verschwunden und sie lobt dort nur noch die "schöne russisch-orthodoxe Kirche in Wiesbaden". Ihr Management erklärt, gewisse Leute hätten "vergeblich versucht, Anna Netrebko in verschiedene Rollen zu drängen", doch es passe nur eine wahrhaftig, "die einer Sängerin".

Dass man als solche auch eindeutiger Stellung beziehen kann, als Anna Netrebko es tut, zeigt Alla Pugatschowa, seit den 1970er Jahren unangefochtene Popikone Russlands. Sie äußerte vor gut einem Jahr auf Instagram die Hoffnung, dass Russland in Frieden leben könne, "dass die Menschen frei sprechen können und dass unsere Jungs nicht länger für illusorische Ziele sterben müssen, die unser Land zu einem Paria machen und seinen Bürgern das Leben erschweren".

Aus den wenigen Worten Pugatschowas spricht, was Netrebkos Aussagen abgeht: Berührtheit und Überzeugung, die daneben die sachlichen Statements der Netrebko-Manager seltsam blutleer erscheinen lassen. Formuliert, nicht aus einem inneren Drang heraus, sondern weil die Notwendigkeit so offensichtlich war. Und die Liste einflussreicher russischer Musiker, die sich nicht vor Putins Propaganda-Karren sperren ließen und sich teils explizit gegen den Krieg gewendet haben, ließe sich erweitern.

Allerdings gibt es auch die Haltung russischer Künstler wie Valery Gergiev, ehemaliger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Ein begnadeter Musiker, allerdings auch mit engen Beziehungen zu Wladimir Putin und zu keinem Zeitpunkt bereit, sich vom russischen Kriegstreiber auch nur mit einem Wort zu distanzieren. Netrebko versucht zumindest, einen anderen Weg zu gehen.

Als Sopran von Weltrang wird sie auf der Bühne der ausverkauften Staatsoper heute wohl brillieren. Doch für zwei der vier Opern-Abende gab es eine Woche vor Aufführung immer noch Tickets. Den Makel der Putin-Nähe abzustreifen, ist Anna Netrebko bislang nicht gelungen.

Quelle: ntv.de

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