"KZ-ähnliche Verhältnisse" Warum der Libyen-Deal unmöglich ist
04.08.2017, 17:53 Uhr
Beim Versuch der Flucht geschnappt: Migranten in einem Camp in der Nähe von Tripolis.
(Foto: REUTERS)
Die EU pumpt Millionen an Euro in die libysche Einheitsregierung. Trotzdem erstarken in dem Land eher deren Gegner. Die Idee, dort Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten, wirkt illusorisch.
Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen? Anfang der Woche kommt diese Idee auch im deutschen Bundestagswahlkampf an. "Wenn wir erst handeln, wenn sie bereits in Italien sind, ist es zu spät", sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius über Migranten auf der zentralen Mittelmeerroute. "Wir füttern die Schlepper." Die Flüchtlinge sollten "möglichst schon außerhalb der EU Ansprechpartner finden, in Anlaufstellen".

Die libyische Küstenwache im Einsatz. Ihr Ruf ist problematisch. Sie besteht teils aus Milizen und Clans, von denen angeblich einige selbst im Schmugglergeschäft tätig sind.
(Foto: REUTERS)
Hotspots, Registrierungszentren oder Auffanglager – das Thema ist eigentlich nicht neu. Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 wird hitzig debattiert, ob es nicht möglich ist, schon im Ausland eine Art Asylvorprüfung vorzunehmen, damit nicht so viele Menschen nach Europa kommen. Ein verheerender Bericht der Vereinten Nationen über die Situation von Flüchtlingen in Libyen im vergangenen Jahr ließ die Debatte dann abkühlen. Und die Bundesregierung versicherte noch im März, dass Hotspots in Libyen derzeit kein Thema seien. In dem Report der UN ist von "unvorstellbarem Missbrauch" der Migranten in Libyen die Rede. In einer geleakten diplomatischen Nachricht aus der deutschen Botschaft in Niger gar von "KZ-ähnlichen Verhältnissen".
Jetzt wird trotzdem wieder über das Thema gesprochen: Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff nennt Lager in Libyen einen Schritt in die richtige Richtung. Grüne reagieren empört. "In Libyen stehen Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung", sagt Parteichefin Simone Peter. "Aufnahmekontingente und sichere Fluchtwege statt rechtsfreie Lager - das braucht es jetzt."
"Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich Auffanglager in Libyen für nicht machbar", sagt unterdessen Kanzlerkandidat Martin Schulz dem "Spiegel". Der CDU-Politiker David McAllister spricht sich in dem Magazin zwar für Registrierungsstellen aus – allerdings südlich von Libyen.
Wo landet das Geld der EU?
Die Libyen-Kennerin Canan Atilgan wundert sich, dass Auffanglager überhaupt wieder ein Thema sind. "An der Lage in Libyen hat sich in den vergangenen Jahren nichts zum Besseren verändert", sagt die Politikwissenschaftlerin, die für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung im benachbarten Tunesien sitzt. "Alles, was mit Menschenrechtsverletzungen zu tun hat, findet in Libyen in einem rechtsfreien Raum statt. Behörden oder Personen, die einem Migranten Unrecht antun, müssen keine Strafverfolgung fürchten." In Libyen gebe es keine Staatlichkeit.
Die EU setzt viel daran, das zu ändern. Mehr als 220 Millionen Euro hat die EU dem Land zugesagt. Das Geld soll die Übergangsregierung in Tripolis stärken. Es soll den Aufbau ihrer Küstenwache finanzieren und das Leben im einst reichsten Land Afrikas, das zum gescheiterten Staat wurde, mit humanitärer Hilfe ein bisschen lebenswerter machen. Die Wirkung der Maßnahmen, die bisher angelaufen sind, sind aber umstritten.
"Wenn man sich einen Ansprechpartner sucht, dann muss dieser auch stark genug sein, um diese Rolle auszufüllen. Das ist bisher noch nicht gegeben", so Atilgan. Die als Einheitsregierung bezeichnete Übergangsverwaltung ist auch im Jahr 2017 weit davon entfernt, das Land zu lenken.
Die Einheitsregierung wurde zwar international anerkannt, national aber bis heute nicht voll legitimiert. Die Zustimmung des Parlaments in Tobruk fehlt. Im Land hat sie darüber hinaus bereits viele Hoffnungen enttäuscht.
"Die Regierung übt ihre Autorität mit Hilfe von Milizen und Übrigbleibseln von Gaddafis Sicherheitspersonal aus", sagt Atilgan. "Natürlich ist der EU klar, dass dies problematisch ist." Und selbst mit Hilfe wohlgesonnener Milizen ist der Einflussbereich der Einheitsregierung begrenzt. Große Teile des Landes, insbesondere der Osten, sind in den Händen ihrer Gegner. Schätzungen zufolge teilen sich rund 2000 Stämme und Clans die Kontrolle über Libyen. Das ist das Ergebnis des Machtvakuums nach dem Sturz des früheren Herrschers Muammar Al-Gaddafi im Jahr 2011.
Die Autoritären erstarken
"Die Bevölkerung will dieses Chaos nicht mehr mitmachen. Deswegen plädiert sie eher für autoritäre Strukturen", sagt Atilgan. "Sie wendet sich dem starken Mann zu, der zumindest militärisch demonstriert, dass er das Sagen hat." Mit dem starken Mann ist vor allem Chalifa Haftar gemeint, ein umstrittener General, der eine nicht offizielle Streitkraft anführt, die sich Libysche Nationale Armee nennt. "In den letzten Monaten hat Haftar politisch und territorial an Einfluss gewonnen", sagt Atilgan. "Haftar hat jetzt zum Beispiel Kontrolle über die Ölfelder des Landes. Und er ist sehr populär." Auch der Sohn des früheren Diktators Gaddafi, Saif al-Islam, baut laut der Politikwissenschaftlerin seine Stellung mit Hilfe von Milizen aus und erhält immer mehr Zuspruch in der Bevölkerung.
Als großer Fortschritt wurde in den vergangenen Tagen gepriesen, dass es dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelungen ist, Haftar und den Premierminister der Einheitsregierung Fayiz as-Sarradsch zu einer Waffenrufe zu bewegen. Das Abkommen der beiden soll den Boden für Wahlen im Frühjahr ebnen, Wahlen, die im besten Fall zu einer stärker legitimierten neuen Regierung führen.
Haftar legt womöglich bereits den Grundstein dafür, darin um jeden Preis eine Rolle zu spielen. Einem Bericht von Al-Dschasira zufolge stürmten Haftars Kräfte kurz nach der vereinbarten Waffenruhe mit der Einheitsregierung die verfassungsgebende Versammlung Libyens und forderten mit erhobenen Waffen, ein Dekret fallen zu lassen, das einem Ausschluss Haftars von den nächsten Wahlen gleichgekommen wäre. Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen, die diesen Sommer in Italien ankommen, ist Europa offenbar bereit, das hinzunehmen.
An Haftar scheint ohnehin kein Weg vorbeizuführen. So gesehen deutet Politikwissenschaftlerin Atilgan die Waffenruhe auch eher von einer pragmatischen Warte aus. "Sicherlich ist das ein wichtiges Zeichen", sagt sie. "Es bedeutet, dass der Westen und Europa von ihrer Position abrücken, Haftar komplett zu ignorieren und ihn aus einem künftigen politischen System in Libyen herauszuhalten." Klar ist aber: Ein Traumpartner ist der 73-Jährige nicht.
Wie ein Beleg dafür wirkt seine Reaktion auf einen bilateralen Deal zwischen der italienischen Regierung und der Einheitsregierung in Tripolis. Die hatte zugestimmt, dass italienische Schiffe die libysche Küstenwache unterstützen und militärisch gegen Schlepper vorgehen. Auch im libyschen Hoheitsgebiet. Am Mittwoch beschloss das italienische Parlament den Einsatz. Einen Tag später meldete sich General Haftar zu Wort. Haftars Sprecher forderte alle ihm untergebenen Marineeinheiten auf, sich ausländischen Schiffen entgegen zu stellen.
Haftar werden enge Verbindungen zum Militärregime in Ägypten und Russland nachgesagt. "Er ist teilweise wie eine Marionette. Er wäre nichts ohne die ägyptische oder russische Unterstützung", sagt Atilgan. Für den Kreml ist ein untergebener Torwächter für Flüchtlinge in Nordafrika im Ringen mit dem Westen ein willkommener Trumpf.
Wie könnte in diesem Umfeld ein Rücknahmeabkommen wie jenes mit der Türkei funktionieren? Und, weil die aktuelle Debatte noch weiter geht: Wer könnte in diesem Umfeld Registrierungslager betreiben? Es müssten wohl noch viele EU-Millionen an die Einheitsregierung in ihrer derzeitigen Verfasstheit fließen, bis diese dazu in der Lage wäre. Ob eine stärkere Beteiligung Haftars in der Regierung bei der Versorgung von Flüchtlingen mehr Stabilität und mehr Menschenrechte bringt, ist ungewiss.
Quelle: ntv.de