Politik

Ortskräfte aus Afghanistan Was die weitere Evakuierung schwierig macht

Um weitere Schutzbedürftige aus Afghanistan evakuieren zu können, zahlt die Bundesregierung mehrere hundert Millionen Euro an Drittstaaten.

Um weitere Schutzbedürftige aus Afghanistan evakuieren zu können, zahlt die Bundesregierung mehrere hundert Millionen Euro an Drittstaaten.

(Foto: picture alliance/dpa/Bundeswehr)

Bislang hat Deutschland 138 Ortskräfte und deren Familien aus Afghanistan ausgeflogen. Weitere Menschen sollen über die Nachbarstaaten evakuiert werden. Doch die haben Angst vor weiteren Flüchtlingen und machen teils die Grenzen dicht. Eine weitere Sorge lässt sie zögern.

Selbst für einen Außenminister sind fünf Länder in drei Tagen ein strammes Programm. Doch Heiko Maas hat keine Zeit zu verlieren bei seinen Gesprächen in Zentralasien über die Folgen der Taliban-Machtübernahme in Afghanistan: Am 31. August wollen auch die USA die militärische Luftbrücke aus Kabul beenden. Bisher hat die Bundesregierung bei ihren Evakuierungsflügen nach eigenen Angaben 138 afghanische Ortskräfte und 496 Familienangehörige nach Deutschland gebracht. Sie will weitere Deutsche, afghanische Ortskräfte und andere schutzbedürftige Menschen evakuieren - etwa über Nachbarstaaten wie Usbekistan oder Tadschikistan. Gleichzeitig wird sie von Regierungen aus der Region gedrängt, keine neuen Flüchtlingsbewegungen auszulösen. Denn die Lage in der Region ist viel komplizierter, als dies in der innerdeutschen Debatte erscheint.

In Berlin wird vor allem diskutiert, ob das ferne Deutschland weitere Menschen aus dem zentralasiatischen Land aufnehmen soll. Länder, die geografisch näher an Afghanistan liegen, sind aber viel stärker betroffen von grenzübergreifenden Flüchtlingsbewegungen und nehmen eine harte Haltung ein. Die UN schätzen, dass sich bis Jahresende 500.000 Menschen in Afghanistan aus Angst vor den Taliban auf den Weg machen könnten.

Die Bedenken bekam Maas bereits auf den ersten Stationen seiner Reise in der Türkei, in Usbekistan und Tadschikistan zu spüren. "In der Region gibt es das Bedürfnis, mit der Verbesserung der Situation in Afghanistan dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsbewegung nicht so groß wird wie befürchtet", fasste der Außenminister in Taschkent die ersten Gespräche zusammen. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu betonte: "Die Türkei hat ihre ethische Verantwortung erfüllt. Sie kann keine weiteren Migrationslasten tragen."

Finanzielle Hilfe für Nachbarstaaten

Immerhin beherbergt die Türkei zusätzlich zu den mehr als drei Millionen syrischen Geflüchteten bereits seit Jahren mehrere hunderttausend Menschen aus Afghanistan, Tendenz steigend. Für Europa spielt das Land durch den EU-Türkei-Migrationspakt eine Art Puffer, weil es im Gegenzug zu EU-Hilfen zur Versorgung syrischer Flüchtlinge Migranten an der Weiterreise in die EU hindert. Wenn nun aber über den Iran noch mehr Afghanen gen Westen kommen, "stauen" sich die Menschen, die weder vor noch zurück können.

In Pakistan, wo heute bereits 2,6 bis 2,8 Millionen afghanische Flüchtlinge leben, ist die Begeisterung zur Aufnahme ebenso gering wie im Iran mit ebenfalls mehreren hunderttausend Geflüchteten aus Afghanistan. Usbekistan zeigt ebenso wenig Neigung, Schutzsuchende ins Land zu lassen. Es gibt Berichte über Zurückweisungen an den Grenzen.

Nach der Schließung des Flughafens in Kabul will die Bundesregierung jedoch viele Menschen in die Nachbarstaaten lotsen, von wo sie nach Deutschland gebracht werden sollen. Und sie will die Fehler von 2014 im Syrien-Konflikt nicht wiederholen. Damals wurde die Fluchtkrise im Jahr danach vor allem deshalb ausgelöst, weil die internationale Gemeinschaft die Mittel für die Versorgung von Millionen syrischer Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien oder der Türkei kürzte. Erst das ließ viele Familien damals Richtung EU aufbrechen.

Also hat die Bundesregierung erst 100 Millionen und nun nochmals 500 Millionen Euro Hilfe für die Nachbarstaaten Afghanistans angeboten. Innenpolitisch trug ihr dies im Wahlkampf von den Grünen prompt den Vorwurf ein, sie wolle die Menschen nur nicht in Deutschland aufnehmen.

Angst vor Ausbreitung des Islamismus

In den Nachbarstaaten wiederum will man die Menschen gar nicht erst ermuntern, Afghanistan zu verlassen. Denn nach Angaben der Zentralasien-Expertin des Zentrums für Osteuropa und internationale Studien (ZOIS) in Berlin, Beate Eschment, befürchtet man in Zentralasien, dass der Sieg der Taliban eine Ausbreitung radikal-islamischer Tendenzen in der ganzen Region bewirkt. Davor haben selbst Russland und China mit seiner muslimischen Bevölkerung in der angrenzenden Provinz Xianjiang Angst.

In Usbekistan schürte der bis 2016 regierende Präsident Islam Karimow diese Angst, um seine eigene autoritäre Herrschaft zu rechtfertigen. Er betrieb eine weitgehende Abschottung gegenüber Afghanistan. In den vergangenen Jahren gab es zwar eine gewisse Öffnung gegenüber dem östlichen Nachbarn. Nun aber wird der leicht zu kontrollierende Übergang mit einer einzigen Brücke über den Grenzfluss Amudarja wieder weitgehend dichtgemacht.

Mehr zum Thema

In Taschkent versuchte Maas zu beruhigen und betonte, dass die Bundesregierung nur die Aufnahme der Personen wünsche, die eine Einreisegarantie nach Deutschland hätten. "Es geht uns nur um diese Personengruppe", sagte er nach einem Gespräch mit seinem usbekischen Amtskollegen Abdulaziz Komilov. Auch die EU veröffentlichte eine Erklärung, dass man keine unkontrollierte Flüchtlingsbewegung aus Afghanistan wolle.

Die Lage in Tadschikistan ist wiederum anders. Das Land hat nach Angaben der ZOIS-Expertin Eschment eine praktisch nicht zu sichernde lange Hochgebirgsgrenze, über die auch die Masse der Drogen aus Afghanistan Richtung Europa geschmuggelt werde und die entsprechend auch für Flüchtlinge durchlässig sei. Es gibt bereits Flüchtlingslager in Tadschikistan. Da das Land sehr arm ist, hält Eschment es für durchaus vorstellbar, dass Präsident Emomali Rahmon im Gegenzug für finanzielle Hilfe weitere afghanische Flüchtlinge aufnimmt. Der tadschikische Außenminister Sirojiddon Muhriddin erwähnte bei seinem Auftritt mit Maas jedenfalls auffallend oft den Wunsch nach deutschen Investitionen im Energiesektor.

Quelle: ntv.de, Andreas Rinke, rts

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen