AfD startet in den Wahlkampf Weidel bedankt sich bei Trump: "Make Germany great again!"


AfD-Chefin Alice Weidel beim Wahlkampfauftakt in Halle
(Foto: picture alliance/dpa)
In Halle feiert die AfD sich selbst und ihre Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Nie fühlte sich die Partei stärker. Einzige Sorge: ein unberechenbarer Friedrich Merz.
Mehr als zwei Stunden läuft der Wahlkampfauftakt der AfD in der Messehalle bereits, mit Reden, Musikeinlagen, Filmen. Alles ist auf den einen, großen Höhepunkt hin inszeniert, der nun kommen soll. Für 16.15 Uhr ist der Auftritt der Hauptdarstellerin im internen Ablaufplan terminiert: Alice Weidel betritt die Bühne, die Vorsitzende von Partei und Bundestagsfraktion - und seit neuestem auch AfD-Kanzlerkandidatin.
Der Lärm aus tausenden Kehlen betäubt die Ohren. Ein Meer aus Papierfahnen wogt. "Alice! Alice!"-Sprechchöre dröhnen. Weidel ruft mit feuchten Augen: "Ich liebe euch!" Und dann erscheint plötzlich das Gesicht Elon Musks auf den riesigen Bildschirmen, live eingeblendet aus den USA. Die AfD sei die "beste Hoffnung für Deutschland", sagt er. Und ja, es sei okay, stolz auf Deutschland zu sein. Schließlich fasst er die Tragweite der Entscheidung am 23. Februar wie folgt zusammen: "Die Zukunft der Zivilisation hängt von den Wahlen ab!"
"Ich sag euch: Es reicht!"
Nach ihrem Talk mit Musk, auf dessen sozialem Kanal X ("Hitler war Kommunist") ist diese Schalte der nächste PR-Coup für Weidel. Zwar weiß der US-Milliardär nicht, wann er in der Schalte mit dem Reden aufhören soll, aber irgendwann findet er doch zum Schluss. "Bye!" ruft Weidel und strahlt. "Leute, ihr habt's gehört, die Amerikaner, die Republikaner machen ihr Land wieder groß! Und wir Deutschen, wir machen unsere Heimat wieder groß! Make Germany great again!"
Dann spricht die Kandidatin von den Gewalttaten, von Aschaffenburg, Magdeburg, Mannheim, Solingen und München. "Ich sage euch: Es reicht!" Und schon ist sie wieder bei dem Begriff, den sie lange abgelehnt hat, den sie aber erstmals vor zwei Wochen auf dem Bundesparteitag in Riesa bewusst ausrief: "Remigration".
"Ich sage es heute und hier noch einmal", sagt Weidel: "Wir brauchen Remigration, um in Sicherheit leben zu können!" Die "Herrschaft des Unrechts" müsse enden. Auch sonst klingt Weidel ähnlich wie in Riesa. Allerdings hält sie sich diesmal stärker an ihr Redemanuskript und versteigt sich nicht in Formulierungen wie "Windmühlen der Schande". Dieser Tag, er soll perfekt für die AfD werden.
Begonnen hat er am Mittag. Der Frühling schaut an der Saale vorbei, die Sonne scheint. Am S-Bahnhof Messe steht die Polizei bereit. Gitter separieren die Ankommenden. "Links zur AfD-Veranstaltung", sagt ein Beamter freundlich. "Rechts bitte zur Gegenversammlung." Falls ihm die unfreiwillige Ironie bewusst ist, lässt er sich das nicht anmerken.
Ein Polizeihubschrauber kreist, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge stehen bereit. Doch die Stimmung ist friedlich. Während die Gegendemonstranten ein großes Transparent mit der Aufschrift "AfD du mieses Stück Deutschland" entrollen, stehen die AfD-Anhänger, die sich alle vorher online registrieren mussten, geduldig in einer 200 Meter langen Schlange.
Etwa auf halber Strecke der Wartenden hat sich Maximilian Krah positioniert. Der sächsische Europaabgeordnete, der nach diversen Eklats aus dem Bundesvorstand ausschied und auch nicht in die EU-Fraktion aufgenommen wurde, will nun in den Bundestag. "Ich bin der Vorstopper", ruft er fröhlich. Und die Strategie funktioniert. Die Menschen scharen sich um ihn, er muss ständig für Handy-Selfies bereit stehen, am Ende dürften es hunderte sein. Die Fotos werden sich im Netz, wo Krah eine riesige Gefolgschaft hat, schnell verbreiten.
Redner werden wie Rockstars angekündigt
Nach mehreren Kontrollen und Sicherheitsüberprüfungen gelangen die Menschen in einen Saal mit Getränke- und Essensständen sowie einem Fanshop mit allerlei Werbeartikeln. Von dort aus geht es in einen noch größeren, Saal, in dem, wie die Partei mitteilt, 4000 Stühle bereit stehen. Sie füllen sich schnell.
Auf den Stühlen liegen Papierfahnen und blaue Pappherzen mit der Aufschrift "Kanzlerin der Herzen" bereit. Es gibt auch weiße Baseball-Caps, auf denen "Alice für Deutschland" steht. Der Bezug zur SA-Parole "Alles für Deutschland" dürfte gewünscht sein - zumal ausgerechnet hier, in Halle an der Saale, der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke dafür verurteilt wurde, dass er jenen Spruch skandiert hatte.
Kurz vor 14 Uhr geht es los im abgedunkelten Saal. Allein die große, ganz in blau gehaltene Bühne ist beleuchtet. Es beginnt eine hochprofessionelle Choreografie. Aufwendig produzierte Kurzfilme wechseln sich ab mit Reden oder einer Videobotschaft des Demnächst-FPÖ-Kanzlers Herbert Kickl. Die Lautsprecheranlage dröhnt. Redner werden wie Rockstars angekündigt.
Auch Migranten sprechen, die AfD gibt sich weltoffen. Die Islamkritikerin Laila Mirzo spricht über die Gefahr ihrer früheren Religion. Der libanesisch-deutsche Regisseur Imad Karim beklagt die angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit und, großer Beifall, "die Lügenpresse".
Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht, der Zeitplan wird fast auf die Minute genau eingehalten. Immer wieder ist in den Einspielern Alice Weidel zu sehen. An einer Stelle, als sie darüber, redet, wie Schwule und Lesben in islamischen Ländern verfolgt würden, thematisiert sie offen ihre eigene Homosexualität: Genau deshalb, sagt sie, sei sie als Frau, die mit einer Frau Kinder großziehe, gegen unkontrollierte Migration.
Dann redet Weidels Co-Chef Tino Chrupalla. "Wie werden siegen am 23. Februar", ruft er. "Wer Friedrich Merz wählt, wählt den Krieg!", in bewusster Anlehnung an die einstige KPD-Parole: "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Die Stimmung ist jetzt angeheizt. "Tino, Tino!"-Rufe ertönen. Morgen, so scheint es in der Messehalle gewiss, wird die Wahl gewonnen. Und übermorgen die Macht.
Merz hat umgesteuert - gut oder schlecht für die AfD?
Oder? Was in den offiziellen Reden ausgeblendet wird, diskutieren Funktionäre im Saal: die kurzfristig geänderte Strategie der CDU. Bisher wollte Unionskandidat Friedrich Merz lieber über die darbende Wirtschaft als über Migration sprechen. Doch nach der Gewalttat von Aschaffenburg steuerte er hart um. Er versprach, als erste Amtshandlung als Kanzler die Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und sämtliche illegalen Einreisen zu unterbinden - auch von Menschen mit Schutzanspruch.
Zudem kündigte Merz an, im Bundestag mehrere Anträge zur Abstimmung zu stellen. Dabei will er auch Stimmen der AfD in Kauf nehmen: "Wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt".
Für die AfD produziert dies eine ambivalente Situation. Auf der einen Seite wertet es die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei auf und normalisiert sie. Entsprechend frohlockte Weidel per X: "Die Brandmauer ist gefallen!" CDU und CSU hätten ihr Angebot angenommen, "in der Schicksalsfrage der Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen".
Auf der anderen Seite besetzt die CDU aber so offensiv wie nie zuvor das zentrale Wahlkampfthema der AfD. Auch deshalb äußerte sich wohl Chrupalla zurückhaltender als seine Co-Vorsitzende. "Die Brandmauer fällt noch nicht, wenn CDU und CSU unsere Anträge der letzten Jahre kopieren und um unsere Zustimmung werben", sagte er.
Doch Weidel bleibt in Halle bei ihrer Linie. Ihre Nachricht an Friedrich Merz laute: "Liebe CDU, reißt die undemokratischen Brandmauern ein." Der Wähler wolle "eine blauschwarze Koalition". Die ÖVP habe es in Österreich leidvoll erfahren, "dass sie den Wählerwillen nicht ewig ignorieren können".
Am Ende der Rede tobt das Publikum, Fahnen werden geschwenkt, "Alice, ich liebe dich!"-Rufe tönen. Und der Saal ruft im Chor: "Ost-Ost-Ostdeutschland!" Halle liegt in Sachsen-Anhalt. Bald neun Jahre ist es her, dass die AfD hier bei einer Landtagswahl zum ersten Mal mehr als 20 Prozent erhielt. Am 23. Februar will sie diesen Erfolg im Bund schaffen.
Doch noch sind es vier Wochen.
Quelle: ntv.de