Fluch der Großen Koalitionen Wie Meloni in Italien an die Macht kam
24.10.2022, 19:43 Uhr
Silvio Berlusconi und Giorgia Meloni sind Partner in Melonis Regierung. Die Zeiten, wo er sie "die Kleine" nennen konnte, dürften vorbei sein.
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Am Dienstag wird Giorgia Meloni als erste Frau Italiens im Parlament die Vertrauensfrage stellen und wohl im Amt bestätigt werden. Eine Frau, die sich nie von ihrer Zeit als Aktivistin in einer neofaschistischen Partei distanzierte, führt Italiens Regierung. Wie konnte das passieren?
Die Frau, die heute Italien regiert, bekam 2006, als Vizevorsitzende des italienischen Abgeordnetenhauses, die Frage gestellt, welches Verhältnis sie zum Faschismus habe. Die Frage war kein Zufall.
Giorgia Meloni gehörte damals der Alleanza Nazionale an, einer Partei, die hervorgegangen war aus dem Movimento Sociale Italiano (MSI): Der MSI war eine Partei, in der sich ab 1946 Faschisten jeder Couleur gesammelt hatten. Der Name alleine schon war eine direkte Anspielung auf Mussolinis "Repubblica Sociale Italiana". Die führte in den 1940ern im von deutschen Truppen besetzten Teil Italiens eine Pseudoherrschaft von Hitlers Gnaden. Sie war mitverantwortlich für Massaker, denen 25.000 Zivilisten zum Opfer fielen.
Der MSI hatte 1995 auf einem Parteikongress dem Erbe des Faschismus in seinen Reihen als dem "absolut Bösen" abgeschworen. Doch galt es weiterhin als "außerhalb des demokratischen Verfassungsbogens" stehend, als nicht koalitionsfähig, als Nachfolgepartei der Faschisten. Meloni selbst war Anführerin der Jugendorganisation des MSI, der "Fronte della Gioventù". Also war es eine berechtigte Frage, wie die Jungpolitikerin es mit dem Faschismus halte.
Und wie antwortete Giorgia Meloni? Dazu habe sie "ein entspanntes Verhältnis". Und zu Mussolini? "Eine Persönlichkeit, die im historischen Kontext gesehen werden muss." Kein Wort der Distanzierung. Doch damals regte sich in Italien niemand sonderlich über Melonis fehlende Verurteilung des Mussolini-Regimes auf. Dazu war sie noch viel zu unwichtig.
Als Silvio Berlusconi 2009 die Regierung bildet, ernennt er sie zur Jugendministerin. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt sie auf der politischen Bühne nicht. Bei einem Kongress der Partei Popolo delle Libertà, einem Zusammenschluss aus Berlusconis Forza Italia und der rechten Alleanza Nazionale, ruft Berlusconi, "Dov'è la piccola?", auf der Suche nach Meloni, "Wo ist die Kleine?"
Die Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens") wurden 2012 als Abspaltung der Partei Il Popolo della Libertà ("Das Volk der Freiheit") gegründet, einem Zusammenschluss vor allem von Berlusconis Forza Italia ("Vorwärts Italien") und der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale. "Postfaschistisch" war die AN, weil sie 1995 als Nachfolgerin der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano gebildet wurde - deren Flamme tragen die Fratelli bis heute im Parteiwappen. Das MSI wiederum wurde 1946 von Mussolini-Anhängern und ehemaligen Mitgliedern seiner Partei gegründet.
Giorgia Meloni soll es sich gemerkt haben. Von dem lasse sie sich nicht mehr "die Kleine" nennen. Ihren Namen werde er sich eines Tages merken müssen. Als Ministerpräsidentin wird sie 13 Jahre später Wert darauf legen, nicht als "la" Presedente del Consiglio, also als Ministerpräsidentin angeredet zu werden, sondern als "il", als der Ministerpräsident.
Doch bis dahin scheint der Weg damals noch weit für Meloni. Ihr politisches Glück beginnt schon bald mit dem Abstieg Berlusconis im November 2011. Der Regierungschef muss zurücktreten, weil Italien die Zinsen auf seine Staatsschulden nicht mehr bezahlen kann, die Pleite ist in Sicht. Die erste große Koalition Italiens wird gebildet.
Den Sozialdemokraten fehlt der Mut
Berlusconis Popolo delle Libertà, die Sozialdemokraten und eine Reihe von Zentrumsparteien wählen den ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti zum Ministerpräsidenten. Die Umfragen für die sozialdemokratische Partei, den Partito Democratico (PD), sind zu diesem Zeitpunkt blendend. Berlusconis Koalition hat abgewirtschaftet.
Aber der PD hat nicht den Mut, um die Auflösung des Parlamentes zu bitten. Die Regierung Monti muss, um Italiens Haushalt aus der Schieflage zu retten, scharfe Sparmaßnahmen durchsetzen. Die Renten werden reformiert, auch die Italiener sollen erst mit 67 in den Ruhestand gehen können, nicht mit Ende 50, wie bis dahin üblich. All das schafft sozialen Unmut.
Diese Wut sammelt Giorgia Meloni ein, als sie Ende 2014 ihre Partei gründet, wenn auch zu Beginn mit mäßigem Erfolg. Bei den Parlamentswahlen von 2013 erhält die neu gegründete Partei Fratelli d'Italia gerade mal 1,9 Prozent. Brüder Italiens nennt sich die Partei, nach einer Zeile der Nationalhymne, "Brüder Italiens, wir sind bereit zu sterben".
Aber Meloni hält durch. Sie ahnt wohl, dass die Politik der Sparmaßnahmen, von links und rechts gemeinsam getragen, ihr am extrem rechten Rand früher oder später die Wähler zutreiben wird. Doch noch muss sie Geduld haben. Zunächst gehen die Proteststimmen zu zwei Parteien, die schon länger auf dem Markt sind.
Als 2014 die radikalpopulistische Bewegung Fünf Sterne, Movimento cinque Stelle, des Komikers Beppe Grillo einen Erfolg von über 20 Prozent bei den Wahlen einfährt, verbünden sich wieder einmal die Sozialdemokraten des PD mit Berlusconis PdL zu einer großen Koalition.
Bei vielen Wählern verfestigt sich nun der Eindruck, dass die eigentlichen Wahlsieger, also die Fünf Sterne, nicht regieren dürfen, weil "fremde Mächte", das "internationale Finanzkapital", eine Chiffre für "jüdische Weltverschwörung", Italien eine fremdgesteuerte Regierung aufzwingen.
Berlusconi bringt die Regierung Renzi zu Fall
Als PD-Chef Matteo Renzi im selben Jahr bei den Wahlen zum Europaparlament jedoch 41 Prozent der Stimmen holt, erwartet jeder, dass er Neuwahlen beantragt: Die Umfragen sehen die Sozialdemokraten bei einer sicheren Mehrheit. Aber wieder kneift der PD und regiert lieber weiter mit Berlusconi. Der aber bringt auch die Regierung Renzi zu Fall.
Erneut wird ein Kabinett umgebildet, diesmal mit dem PD-Poltiker Paolo Gentiloni. Das Ergebnis ist bei den nachfolgenden Wahlen ein triumphaler Sieg der ersten großen Protestbewegung, der Fünf Sterne, bei den Parlamentswahlen 2018. Sie holt fast 33 Prozent. Es kommt zur nächsten "großen Koalition" aus Grillo-Protestlern und der Partei von Matteo Salvini, der Lega, die immerhin auch auf 17,5 Prozent hochgeschnellt ist. Giorgia Meloni, immer in Opposition zu allem und allen, hat sich unterdessen auf vier Prozent hochgearbeitet.
Bemerkenswert ist, dass die Halbwertszeit der Protest-Parteien Italiens noch einmal kürzer wird. Während die Fünf-Sterne-Bewegung bei den nachfolgenden Wahlen zum Europaparlament ihr Ergebnis glatt auf 34 Prozent verdoppelt, verlieren die "Triumphatoren" von 2018 innerhalb eines Jahres die Hälfte ihrer Wähler, sie stürzen auf 17 Prozent.
Salvini versucht, den europäischen Wahlsieg 2019 national umzumünzen, aber das geht schief. Im Übergang von der Regierung Giuseppe Conte 1 (Salvini mit an Bord) zu Conte 2 werden die Lega-Stimmen durch die Mitte-Parteien und die Sozialdemokraten ersetzt. All diese Machtspiele im Regierungspalast sind Wasser auf die Mühlen von Giorgia Meloni.
Sie muss gar nichts tun, außer ihr klassisch identitär rechtskonservatives Programm hochzuhalten, und kann die Kompromisse, die erst Berlusconi und dann Salvini eingehen muss, als "Verrat" an den Prinzipien der Rechten verkaufen: Identität, Souveränität, Kampf gegen die deutsche und französische Vorherrschaft in Europa, gegen die Zinsknechtschaft, die Europa Italien auferlegt habe, Schutz vor Immigranten, vor allem Fremden.
Die Lega Salvinis stürzt vom EU-Parlamentshoch ab auf acht Prozent, die Protestler der Fünf-Sterne-Bewegung landen bei einem Drittel ihrer Hoch-Zeit von 35 Prozent, die Sozialdemokraten dümpeln weiter bei unter 20 Prozent und haben ihre Stammwählerschaft unter den Arbeitern verloren. Die Linke ist heute nur noch die Partei der Gebildeten, Wohlhabenden, die in guten Stadtvierteln leben. Meloni fällt der Erfolg praktisch in den Schoß.
Quelle: ntv.de