Ukraine-Hilfe untergraben Wie Pro-Putin-Aktivisten in Deutschland agieren
04.01.2023, 17:16 Uhr
Bei einer Pro-russischen Demonstration trägt eine Frau ein Schiffchen mit einem Sowjetstern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Reporter werfen ein Licht auf Pro-Putin-Aktivisten, die in Deutschland für ein Ende der Ukraine-Unterstützung arbeiten. Viele von ihnen haben nicht nur Kontakte zur russischen Regierung, sondern auch zur AFD und anderen rechten Gruppierungen.
Die Mehrheit der Deutschen ist nach wie vor für eine Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen die Invasionstruppen Russlands. Doch die Zustimmung sinkt, vor allem für Waffenlieferungen. Schon im September waren in einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung nur noch 48 Prozent der Bundesbürger dafür. Im Juni waren es noch 56 Prozent. Damit liegt Deutschland unter dem EU-Schnitt, und angesichts der hohen Energiepreise könnte die Solidarität mit der Ukraine noch weiter bröckeln.
Pro-Putin-Aktivisten wollen sich diesen Umstand zunutze machen und machen Propaganda für einen Kurswechsel der Bundesregierung. Reuters-Reporter haben die Hintergründe einiger führender Köpfe der Anti-Ukraine-Bewegung beleuchtet und entlarvende Verbindungen nach Moskau und zu rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen aufgedeckt.
Aus Tesljuk wird Schlund
Durch Interviews und die Auswertung von Beiträgen in sozialen Netzwerken stießen die Journalisten unter anderem auf Rostislaw Tesljuk, einem ehemaligen russischen Luftwaffenoffizier. Er lebt seit 2012 in Deutschland und hat sich inzwischen in Maxim Schlund umbenannt. Den Reuters-Recherchen zufolge reiste er in den vergangenen Monaten in die von Russland kontrollierte Ostukraine. Kürzlich bezahlte außerdem eine russische Regierungsagentur Schlunds Flugticket zu einer Konferenz mit Putin als Hauptredner.
Bei der Agentur handelt es sich um Rossotrudnitschestwo. Laut Wikipedia ist ihre offizielle Aufgabe, die Kenntnisse der russischen Sprache im Ausland zu fördern, die "internationale kulturelle Zusammenarbeit" zu pflegen und ein "umfassendes, aktuelles Russlandbild" zu vermitteln. Zudem soll sie im "näheren Ausland" die Interessen der russischen Regierung vertreten.
In der EU wird Rossotrudnitschestwo sanktioniert. Sie konsolidiere Aktivitäten pro-russischer Akteure und verbreite die Narrative des Kremls, einschließlich des historischen Revisionismus, heißt es in der Begründung. Rossotrudnitschestwo trage die Verantwortung für die Unterstützung oder Umsetzung von Handlungen oder politische Maßnahmen, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine oder die Stabilität oder die Sicherheit in der Ukraine untergraben oder bedrohen.
"Ruhm sei Russland!"
Schlund alias Tesljuk war den Reportern bei einer Kundgebung gegen die Ukraine-Unterstützung in Köln aufgefallen. Ebenfalls anwesend war Andrej Charkowsky, Mitglied einer Kosaken-Gesellschaft, die Moskaus Invasion unterstützt. Beide Putin-Unterstützer antworteten nicht auf Anfragen der Reuters-Reporter. Auf Whatsapp reagierte Schlund lediglich mit "F... off!" und "Ruhm sei Russland!"
Während Schlund bei der Demo in Köln im Hintergrund blieb, heizte seine Lebensgefährtin Elena Kolbasnikowa die Kundgebung mit Parolen wie "Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung!" an. Das Paar organisierte mit Flyern und sozialen Medien die Kölner Kundgebung sowie eine Reihe weiterer pro-russischer Veranstaltungen.
Ikone des Anti-Establishment
Laut Reuters ist die gebürtige Ukrainerin in einigen Anti-Establishment-Kreisen eine Berühmtheit, seit sie vergangenes Jahr behauptete, ihren Job als Krankenpflegerin wegen angeblicher "Russophobie" verloren zu haben. Propaganda betreibt sie nicht, indem sie klar Stellung für die russische Invasion bezieht, sondern indem sie die Sorgen der Deutschen wegen steigender Heizkosten instrumentalisiert.
Dem Profil beim russischen Netzwerk VKontakte zufolge hat Schlund an der Schukowski-Militärakademie studiert, die vor allem für die Ausbildung russischer Kosmonauten bekannt ist. Auf Fotos posiert er gelegentlich in Uniform. Kolbasnikowas Bruder sagte Reuters, Schlund habe als Oberleutnant in der russischen Luftwaffe gedient. Die Reporter konnten diese Details allerdings nicht unabhängig überprüfen.
Ab 2007 hatte Schlund für private Sicherheitsunternehmen gearbeitet, 2010 wurde eine Person mit demselben Namen und Geburtsdatum in Moskau zu einer Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung verurteilt. Im vergangenen Jahr kaufte er in Moskau eine Wohnung.
Kadyrow-Party in Düsseldorf
Welch Geistes Kind Schlund und Kolbasnikowa sind, sieht man an einer Veranstaltung, zu der sie "Gleichgesinnte" zu einem "Tag voller Musik, Essen und Sport" im Juni in einen Bankettsaal in Düsseldorf einluden. Geschmückt war der Saal mit Fahnen des Tschetschenen-Führers und Putin-Loyalisten Ramsan Kadyrow. Sein Presseminister Achmed Dudajew veröffentlichte auf Telegram Bilder davon und lobte das Paar als "Botschafter des guten Willens", die "auf der Seite der Wahrheit" stehen. Reuters teilte das Ministerium mit, es habe nichts mit der Organisation der Veranstaltung zu tun.
Dass sich Schlund und Kolbasnikowa nicht nur Sorgen um die deutsche Energieversorgung machen, bewiesen sie vergangenen Herbst durch eine Reise in den russischen besetzten Teil des Donbass, um Hilfsgüter an Zivilisten und Kämpfer zu verteilen. Laut "The Insider" wurde die Reise durch die von Putin gegründete Gesamtrussische Volksfront (ONF) organisiert. Ein Video der Reise wurde auch von Rossotrudnitschestwo auf Facebook geteilt.
Gemeinnütziger Verein feiert russische Eroberungen
Auf Fotos der Reise umarmt Kolbasnikowa die deutsche Aktivistin Liane Kilinc vom 2015 in Wandlitz gegründeten Verein Friedensbrücke -Kriegsopferhilfe, der im Donbass mit der Gesamtrussischen Front zusammenarbeitet. Auf seiner Website stellt der gemeinnützige Verein seinen Standpunkt unter anderem klar, die gegenwärtige ukrainische Regierung sei durch einen Putsch an die Macht gekommen, wodurch das Recht auf territoriale Integrität auf die selbsternannten neuen Donbass-Republiken und die der russischen Republik beigetretenen Krim übergegangen sei.
Die Vereinsvorsitzende Kilinc war früher Mitglied der Linkspartei, aus der sie 2019 austrat. Jetzt beteiligt sie sich laut "The Insider"an Aktivitäten der Kommunistischen Partei Deutschlands. Am 9. Mai wurde sie festgenommen, weil sie zusammen mit dem russischen Botschafter bei einer Kranzniederlegung vor der Berliner Gedenkstätte im Treptower Park eine Fahne der selbsternannten Volksrepublik Donezk entrollte.
"Es ist besser für dich, dumme Kuh"
Nachdem Schlund und Kolbasnikowa erneut an einer Demo in Köln teilgenommen hatten, wollten sie an einem von der russischen Regierung mitorganisierten Forum für Aktivisten der Zivilgesellschaft in Moskau teilnehmen. Angeblich verpassten sie aber ihren Flug, der von Russky Dom gesponsort worden sei, das zu Rossotrudnitschestwo gehört.
Ein Sprecher der Organisation sagte Reuters, man habe Tickets für zwei Personen erhalten, um zur Veranstaltung in Moskau zu reisen, lehnte es jedoch ab, ihre Namen zu nennen. Schlund beantwortete auf Whatsapp eine Anfrage mit "Es ist besser für dich, dumme Kuh, wenn du mir aus den Augen bleibst."
Putin-treue Kosaken als Sicherheitsleute
Anhand von Fotos in sozialen Medien identifizierte Reuters auch drei Sicherheitsleute der Kölner Pro-Putin-Demos. Sie gehören Kosaken-Organisationen an, die treu zu Putin stehen und auch Kämpfer in die Ukraine schickt.
Einer der drei Sicherheitsleute ist Andrej Charkowskij, der in Troisdorf bei Köln lebt. Auf Fotos erkennt man auf seinem linken Arm ein achtzackiges Tattoo, das unter anderem bei Rechtsradikalen in Russland beliebt ist. Reuters zufolge haben die drei Männer auch Kontakte zur Union der Kosakenkrieger Russlands, die unter EU- und US-Sanktionen steht. Auf Fotos ist Charkowskij auch vor der Fahne der Großen Don-Armee zu sehen, einer Kosaken-Organisation, die an der Rekrutierung von Soldaten und Kämpfen in Russlands Militärfeldzug in der Ukraine beteiligt ist.
Russischer Ex-Geheimdienstler posiert mit Schwesig
Zu den Pro-Putin-Propagandisten in Deutschland gehört auch der deutsch-russische Immobilienmakler Oleg Eremenko. Bei einer Veranstaltung der Kommunistischen Partei Deutschlands sagte er Ende August in Berlin, ukrainischen Jugendlichen würde beigebracht, Russland zu hassen.
Der Enkel eines sowjetischen Kriegshelden, der bis 1981 Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war, sitzt im Vorstand der Organisation "Desant", die sich aus ehemaligen russischen Soldaten zusammensetzt. Im April 2021 nahm Eremenko an einer Gedenkveranstaltung in Greifswald zum Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit dem russischen Botschafter Sergei Netschajew und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) teil.
Auf VKontakt ist Eremenko auf einem Foto von 2016 neben Igor Girkin zu sehen. Dabei handelt es sich um einen ehemaligen russischen Geheimdienstoffizier, der kürzlich in Abwesenheit von einem niederländischen Gericht wegen Beteiligung am Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs MH17 über der Ukraine verurteilt wurde.
Eremko bestätigte Reuters, für den russischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Jetzt sei er aber "Zivilist", werbe für die russische Kultur und gfördere das Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkriegs. Weitere Details wollte er nicht nennen. "Zu viele Informationen werden der pro-russischen Seite keinen Gefallen tun", sagte er Reuters. "Je mehr Namen es gibt, desto mehr Informationen über unsere Aktivitäten hier, das wird für unseren Ruf hier, besonders bei den deutschen Behörden, sehr wenig hilfreich sein."
Putin-Fanclubs und nationalistische Biker-Freunde
Wichtig für die pro-russische Propaganda sind laut Reuters auch Putin-Fanclubs. Mindestens 27 deutsche Telegram-Kanäle mit insgesamt 1,5 Millionen Abonnenten, die Kreml-Botschaften verbreiten, fand Reuters bei einer Analyse.
Ein Kanal heißt tatsächlich "Putin Fanclub" und wird von einem Wjatscheslaw Seewald in Bayern geführt. Seewald ist auch auf Youtube aktiv, wo er Videos mit Titeln wie "Warum will man die Deutschen vernichten?" oder "Putins neue Weltordnung - Einladung zum Webinar" verbreitet. Er hat sich vor einem Jahr auch bei einer Anti-Corona-Kundgebung der AFD in Nürnberg gefilmt, 2017 postete er ein Selfie mit dem ultrarechten Parteimitglied Björn Höcke.
Auf Telegram schrieb Seewald drei Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, "Der Reichstag muss wieder eingenommen werden." Der bayerische Verfassungsschutz schreibt über Seewald, er vertrete öffentlich antisemitische Verschwörungstheorien und beeinflusse Extremisten, die die Demokratie bedrohen.
Jan Riedel, ein Motorrad-Enthusiast aus Ostdeutschland, ist Präsident der Gruppe Deutsch-Russische Seelen. Riedel und seine Gruppe posten fast täglich Bilder auf ihren Social-Media-Kanälen, die zeigen, was ihrer Meinung nach die Folgen ukrainischer Artillerieangriffe auf Wohnhäuser und zivile Infrastruktur in der Donbass-Region sind.
Die Gruppe arbeitet Reuters zufolge auch mit der Organisation Patrioten des neuen Russlands zusammen. Russische Nationalisten nennen ein Gebiet in der Süd- und Ostukraine "Neues Russland" ("Noworossija"). Bei öffentlichen Veranstaltungen trägt Riedel eine Kutte auf der neben Noworossija die Zahl 1423. Sie steht für den russisch-nationalistischen Bikerclub "Nachtwölfe". Wegen der Unterstützung bei der russischen Einnahme der Krim 2014 steht der Club unter US-Sanktionen. Riedel selbst war mehrmals im Donbass und spendete auch eine kleinere Summe an die dortige Abteilung der "Nachtwölfe".
Quelle: ntv.de, kwe