Politik

"Verletzungen sind schrecklich" Wie eine Kinderklinik in Kiew den Krieg erlebt

Eine Mutter mit ihrem kranken Kind im Keller der Klinik, welcher jetzt als Luftschutzbunker dient.

Eine Mutter mit ihrem kranken Kind im Keller der Klinik, welcher jetzt als Luftschutzbunker dient.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Seit Kriegsbeginn befindet sich das größte Kinderkrankenhaus der Ukraine im Ausnahmezustand. Rund um die Uhr kümmern sich die Ärzte um die jungen Patienten, die mit schwersten Verletzungen behandelt werden. Dabei bleibt die Kiewer Klinik selbst nicht von Angriffen verschont.

Der Schrecken des Krieges ist Wolodymyr anzusehen. Der Gesichtsausdruck des 13-Jährigen ist leer, seine Hände spielen mit einem grünen Hund aus Luftballons. Wolodymyr ist eines der Kinder, die bei russischen Angriffen in Kiew verletzt wurden. Die Ärzte der Ochmatdyt-Kinderklinik kämpfen um ihr Leben und können das entsetzliche Leid oft selbst kaum ertragen.

Es war der zweite Tag nach Beginn der russischen Invasion, als der blaue Lada der Familie in ein Feuergefecht geriet. Wolodymyrs Vater und sein Cousin wurden getötet, Wolodymyr selbst trafen die Geschosse am Kiefer, am Rücken, einem Arm und einem Bein. "Er kann noch nicht laufen, aber die Ärzte haben ihm gesagt, dass er später wieder auf seinen Füßen wird stehen können", sagt seine Mutter Natalia. Die 34-Jährige sitzt erschöpft in dem abgedunkelten Krankenhauszimmer. Auch Natalia wurde verwundet. "Meine Verletzungen werden heilen", sagt sie. "Aber meinen Mann und meinen Neffen kann ich nicht wieder lebendig machen. Er war erst sechs Jahre alt."

Vor dem Krieg ging Wolodymyr gern mit dem Hund spazieren und spielte auf seinem Handy. Jetzt sitzt er antriebslos im Bett, eine Narbe zieht sich von seinem Kiefer bis zur blonden Haarsträhne, die über seine Stirn fällt. Es gehe ihm gut, flüstert Wolodymyr.

"Für uns Erwachsene ist es auch schwierig"

Ochmatdyt ist das größte Kinderkrankenhaus der Ukraine. Der Krieg hat den Klinikalltag völlig umgekrempelt. "Es ist wirklich entsetzlich", sagt die Kinderärztin Switlana Onysko. "Wir leben im Krankenhaus, wir gehen nicht mehr nach Hause, wir sind rund um die Uhr erreichbar, um den Kindern zu helfen." "Es ist psychologisch und moralisch schwierig, weil es um Kinder geht", sagt die Ärztin. "Aber für uns Erwachsene ist es auch schwierig. Es herrscht Krieg."

Bei dem Beschuss von Kiew wurden nach Angaben der Stadtverwaltung in den ersten dreieinhalb Wochen des russischen Angriffskrieges vier Kinder getötet und 16 weitere verletzt. Die meisten dieser Kinder werden im Ochmatdyt-Krankenhaus behandelt. Die Mitarbeiter erinnern sich an jedes einzelne. Zum Beispiel an den blonden Vierjährigen, der schwere Granatsplitterwunden erlitt. Oder das sechsjährige Mädchen, dessen Beine bei einer Explosion verletzt wurden und das seine Mutter durch einen Raketenangriff auf den Vorort Hostomel verlor.

Auch das Krankenhaus selbst blieb nicht von den russischen Angriffen verschont. Die Neugeborenenstation wurde von Granatsplittern getroffen. In den ersten Kriegstagen mussten Mütter und Babys bei jedem Luftalarm in den Keller. Kriegsverletzungen sind auch für die erfahrenen Ärzte der Klinik etwas Neues. "Seit der Krieg begonnen hat, behandeln wir Kinder und Erwachsene, die durch Raketen und Kugeln verwundet wurden", sagt der Chirurg Wlasiji Pylypko. Es seien "schreckliche Verletzungen".

Er und seine Kollegen würden versuchen, sich emotional abzuschotten, sagt der Arzt. "Vielleicht werden einige von uns nach dem Krieg psychologische Unterstützung brauchen. Aber jetzt konzentrieren wir uns nur auf die Behandlung der Menschen." Einer von ihnen ist Wolodymyr. "Er muss noch einmal operiert werden", sagt Pylypko. "Einige Kugeln liegen noch in der Nähe der Wirbelsäule."

Quelle: ntv.de, Danny Kemp, AFP

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