Politik

In Pandemiezeiten beliebt Wie sicher die Briefwahl in Deutschland ist

Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kann die Briefwahl in Deutschland beginnen.

Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kann die Briefwahl in Deutschland beginnen.

(Foto: dpa)

In diesem Jahr dürften so viele Menschen per Brief abstimmen wie nie zuvor bei einer Bundestagswahl. Da werden Vorwürfe laut, die Briefwahl sei unsicher und lade zum Betrug ein. Politologe Daniel Hellmann von der Universität Halle schätzt für ntv.de im Interview den Wahrheitsgehalt dieser Vorwürfe ein.

ntv.de: In AfD-nahen Kreise ist der Vorwurf beliebt, die Briefwahl öffne Betrug Tür und Tor. Was ist da dran?

Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle widmet sich unter anderem der Wahlforschung.

Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle widmet sich unter anderem der Wahlforschung.

(Foto: Institut für Parlamentarismusforschung)

Daniel Hellmann: Zunächst muss man sagen: Es gibt keine offizielle Positionierung der AfD zur Briefwahl. Es taucht nicht im Wahlprogramm oder im Parteiprogramm auf. Das sind immer Einzelaussagen wie zum Beispiel von Robert Farle in Sachsen-Anhalt, der vor der Landtagswahl gesagt hat, mit der Briefwahl solle der größte Wahlbetrug in der Geschichte dieses Landes begangen werden. Oder aktuell hat die AfD in NRW noch einen Artikel mit dem Titel "Sechs Gründe gegen die Briefwahl" auf ihrer Webseite.

Gibt es denn tatsächlich Gründe gegen die Briefwahl?

Da werden verschiedene Narrative bedient. Zum einen das relativ abwegige Narrativ, dass die Briefwahl nicht transparent sei. Bei der Briefwahl könne man ja nicht überprüfen, wie die Stimmen jetzt ausgezählt werden. Das ist schlicht und ergreifend nicht richtig, denn Sie können genauso in ein Briefwahllokal zur Wahlbeobachtung gehen wie in ein normales Urnenwahllokal. In Corona-Zeiten sind die Wahlvorstände, auch in den Briefwahllokalen, dazu angehalten, darauf zu achten, dass die Abstände eingehalten werden können. Aber trotzdem ist Wahlbeobachtung weiterhin überhaupt kein Problem. Dann gibt es noch andere Punkte, die schon früher an der Briefwahl kritisiert wurden.

Welche?

Das Wahlgeheimnis und damit auch indirekt die Wahlfreiheit kann nicht in dem Maße gewährleistet werden wie im Wahllokal. Dort trägt ja der Wahlvorstand dafür Sorge, dass Sie alleine in die Wahlkabine gehen und dort alleine den Stimmzettel ausfüllen - mit einigen wenigen Ausnahmen für Personen, die Hilfe brauchen. Der Staat kann aber nicht gewährleisten, dass die Bürgerinnen und Bürger die Briefwahlunterlagen zu Hause eigenständig, alleine und vor allem auch geheim ausfüllen. Das öffnet zumindest die hypothetische Möglichkeit, dass Einfluss genommen wird.

Ermöglicht das einen großangelegten Betrug?

Nein, wir sprechen ja gerade nur über hypothetische Möglichkeiten, die nichts mit der Häufigkeit der Nutzung der Briefwahl zu tun haben, sondern damit, dass es die Möglichkeit der Briefwahl gibt. Aber Sie könnten sich natürlich Konstellationen ausdenken, in denen Personen Stimmen im großen Stil kaufen. Aber dafür gibt es weder Belege noch lässt sich das so ohne Weiteres organisieren. Und es ist schlicht und ergreifend ja auch strafbar.

Gibt es eine andere Masche, die Manipulation für Betrüger attraktiv macht?

In Sachsen-Anhalt gab es 2014 einen Fall in Stendal, da wurde bei den Kommunalwahlen von einem CDU-Bewerber ausgenutzt, dass man in Vertretung Briefwahlunterlagen für andere Personen abholen kann, wenn man deren Einverständniserklärung vorlegen kann. Eigentlich ist das gedeckelt auf vier abzuholende Briefwahlunterlagen pro Person. Da hat in Stendal die Überprüfung nicht funktioniert, deswegen hat dieser CDU-Kandidat bis zu 1000 Briefwahlunterlagen in Vertretung abgeholt und mit Helfern vermutlich zu einem Großteil selbst ausgefüllt. Das ist ganz offensichtlicher Betrug und wird und wurde in diesem Fall auch strafrechtlich verfolgt.

Auch ein Modell für den 26. September?

Nein. Wir hatten es hier mit maximal 1000 Stimmen zu tun. Und auch da ist der Betrug dann ja schon aufgefallen. 1000 Stimmen können bei einer Kommunalwahl den Unterschied machen. Bei Wahlen auf Bundesebene ist es doch deutlich unwahrscheinlicher, dass das wirklich den Ausschlag gibt. In der Kosten-Nutzen-Rechnung ist dann das Risiko, erwischt zu werden, zu groß gegenüber der Wahrscheinlichkeit, dass sich das lohnt.

Bietet die Briefwahl nicht auch ohne böse Absicht Fehlerquellen?

Natürlich gibt es Pannen bei der Briefwahl. Das ist auch der Punkt, auf den die AfD immer wieder hinweist und worin ein Kern Wahrheit steckt. Es gibt Probleme, die nur bei der Briefwahl auftreten können, weil Sie zusätzliche Versandwege haben: Sie müssen erst die Unterlagen den Wählern zustellen, der Wähler muss diese dann richtig ausfüllen und dann zurückschicken. Da ist es auch tatsächlich immer wieder zu Fehlern gekommen - auch bei Bundestagswahlen. Dass zum Beispiel Wähler die falschen Briefwahlunterlagen bekommen haben. Oder dass sie sie gar nicht erhalten haben, Wahlunterlagen nicht richtig zurückgeschickt werden konnten. Das kann alles passieren und dazu führen, dass Stimmen nicht gezählt werden. Am Ergebnis einer Bundestagswahl konnten solche Pannen allerdings noch nie etwas ändern.

Warum wird das Märchen von der unsicheren Briefwahl trotzdem so gerne bemüht?

Die AfD bedient sich dieses Narrativs, weil sie gemerkt hat, dass sie im Briefwahlergebnis seit 2013 und noch stärker seit 2017 schlechter abschneidet.

Warum ist das so?

Das hat soziostrukturelle Gründe. Briefwähler unterscheiden sich von Urnenwählern. Ganz allgemein gesagt: Es sind häufiger Akademiker, die per Brief wählen. Und es sind häufiger entweder sehr junge oder sehr alte Wähler. Viele mittelalte Bürger wählen lieber an der Urne. Das sind Unterschiede, die dazu führen, dass es bei der AfD bei der letzten Bundestagswahl einen Unterschied von vier Prozentpunkten zwischen dem Urnen- und dem Briefwahlergebnis gab.

Und ist das verdächtig?

Es ist gewissermaßen auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der Effekt hat sich dadurch noch verstärkt, dass die AfD das Narrativ von der unsicheren Briefwahl bedient. Das ist derselbe Effekt, den wir auch in den USA bei Donald Trump gesehen haben. Da Trump-Wähler schon Monate vor der Wahl erzählt bekamen, dass bei der Briefwahl betrogen wird, nutzten sie diese Möglichkeit kaum. Dadurch entsteht ein Unterschied zwischen Brief- und Urnenwahlergebnis. Und diesen Unterschied konnte Trump dann wieder als Indiz dafür verwenden, dass es da ja offensichtlich Ungereimtheiten gegeben haben muss.

Mit Daniel Hellmann sprach Johannes Graf

Quelle: ntv.de

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