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SPD-Mann Roth zu Taurus "Wir können nicht offen über alle Fragen reden"

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Hat in der Vergangenheit offen dafür geworben, Taurus an die Ukraine zu liefern: SPD-Außenexperte Michael Roth

Hat in der Vergangenheit offen dafür geworben, Taurus an die Ukraine zu liefern: SPD-Außenexperte Michael Roth

(Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich)

Im Mai bittet die Ukraine Bundeskanzler Olaf Scholz um Taurus. Nun wird bekannt: Den Marschflugkörper wird Deutschland erstmal nicht liefern, das sagte der Kanzler vor dem Auswärtigen Ausschuss. SPD-Politiker Michael Roth sitzt dem Ausschuss vor und plädierte in der Vergangenheit für eine Lieferung von Taurus. Mit ntv.de spricht er über eine komplexe Waffe, Vertrauen zur Ukraine und Karten, die nicht auf den Tisch gelegt werden.

ntv.de: Zur Begründung für das jetztige Nein von Kanzler Olaf Scholz zu einer möglichen Taurus-Lieferung soll er in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gesagt haben, Deutschland dürfe keine Geodaten für mögliche Ziele liefern. Auch käme es nicht in Frage, eigenes Personal in die Ukraine schicken, wie es etwa Großbritannien tut.

Michael Roth: Vor einer Taurus-Lieferung sind eine Reihe komplizierter Fragen zu klären. Das sind aber Dinge, die auch ein Bundeskanzler nicht einfach auf offener Bühne besprechen kann. Es ist leider das Ergebnis des geschwätzigen Berlins, dass der Kanzler selbst in vertraulichen Sitzungen nicht immer Klartext sprechen kann. Aber Sie werden verstehen, dass zumindest ich als Ausschussvorsitzender mich an die Regeln halte. Und die lauten: Aus solchen Sitzungen wird nicht berichtet. Punkt.

Nun sind diese Aussagen aber in der Welt und werden von Fachleuten in Zweifel gezogen. Deutschland liefert bereits Daten zur Aufklärung nach Kiew, warum nicht auch Geodaten? Soldaten können wir nicht schicken, da hat der Kanzler recht. Aber warum nicht Mitarbeiter von MDBA, dem Hersteller von Taurus, der ja auch Storm Shadow und SCALP produziert? Scholz’ Begründungen lassen viel Raum. Man könnte sich auch für Taurus entscheiden, wenn man diese Waffen liefern wollte, oder?

Wie gesagt: Es geht hier um hochsensible Fragen, die auch der Vertraulichkeit unterliegen. Da können wir nicht einfach alle Karten auf den Tisch legen und offen über alle Detailfragen reden. Es geht um ein hochkomplexes Waffensystem. Es wurden zwar ähnliche Marschflugkörper bereits von Frankreich und Großbritannien geliefert, aber der Taurus ist dann doch noch mal eine andere Nummer. Am Ende bleibt es immer eine politische Entscheidung: Geht man die Risiken ein oder geht man sie nicht ein? Ich selbst habe offen dafür geworben, das Wagnis einer Taurus-Lieferung einzugehen. Ich respektiere aber, dass man in der Abwägung aller Risiken auch zu einem anderen Ergebnis kommen kann. Es ist eben nicht so einfach, wie das einige in der Öffentlichkeit darstellen.

Schaut man sich den Kriegsverlauf an, dann kommt die Ukraine auf dem Schlachtfeld kaum vorwärts. Mit weitreichenden Marschflugkörpern dagegen greift sie gezielt und erfolgreich Nachschubwege an. Muss man dann nicht genau hier ertüchtigen?

Was mich doch sehr wundert, ist dieser völlig einseitige Fokus der Debatte - als sei Taurus die alles entscheidende Wunderwaffe. Dabei gerät leider völlig in den Hintergrund, worauf es jetzt ankommt: Die Ukraine hat nach wie vor ein eklatantes Nachschubproblem bei der Munition. Auch bei der Flugabwehr müssen wir Kiew mit weiteren Systemen wie IRIS-T oder Patriot unterstützen. Klar ist: Deutschland wird doch nicht zu einem weniger verlässlichen Partner der Ukraine, wenn wir bei einem Waffensystem dem Wunsch Kiews vorerst nicht nachkommen. Deutschland bleibt nach den USA der zweitgrößte militärische Unterstützer der Ukraine. Aber ja, wir können noch mehr tun. Dafür werbe ich.

Wie sehr spielt Ihrer Einschätzung nach in diese Kanzler-Entscheidung hinein, dass sich Taurus auch gut eignen würde, um die Kertsch-Brücke nachhaltig zu treffen?

Das müssen Sie den Kanzler selbst fragen. Für mich gibt es keinen Anlass, an der Verlässlichkeit der Ukraine zu zweifeln. Dieses angegriffene, geschundene Land steht massiv unter Druck. Die Ukraine will ihre Bevölkerung bestmöglich schützen, sie muss diesen Krieg gewinnen, um frei, demokratisch und souverän zu bleiben. Und dennoch hält sie sich zuverlässig an alle Regeln und Verabredungen, die sie mit ihren Verbündeten getroffen hat. Schon jetzt hätte die Ukraine mit der Panzerhaubitze 2000, die eine Reichweite von 40 km hat, ja durchaus militärische Ziele in Russland angreifen können. Sie hat dies aber unterlassen. Die Ukraine hat unser Vertrauen also mehr als verdient.

Wir, die westlichen Unterstützer, untersagen der Ukraine, mit von uns gelieferten Waffen Nachschubwege auf russischem Gebiet anzugreifen. Völkerrechtlich betrachtet dürfte sie das. Der Sicherheitsexperte Carlo Masala sagt dazu: “Wir zwingen die Ukraine, mit einer Hand auf dem Rücken zu kämpfen.” Kann man das guten Gewissens tun, in der schwierigen Lage, in der die Ukraine ist?

Carlo Masala hat recht, es schränkt die Spielräume der Ukraine durchaus ein. Von Beginn an gab es eine rote Linie für unsere militärische Unterstützung: Deutschland und die NATO dürfen dadurch selbst nicht zur Kriegspartei werden. Deshalb können wir beispielsweise auf dem Staatsgebiet der Ukraine keine Soldatinnen und Soldaten ausbilden. Auch deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kriegsgebiet sind ein "No Go". Ebenso gibt es Konsens unter den Bündnispartnern der Ukraine, dass man die gelieferten Waffen nicht gegen Ziele auf russischem Staatsterritorium gerichtet wissen möchte. Völkerrechtlich wäre dies möglich, aber es gibt nach wie vor eine große Angst vor einer möglichen Eskalation. Und deswegen gibt es in Demokratien naturgemäß immer Begrenzungen, die auch den Sorgen der Bevölkerung Rechnung tragen. Sie sind aus dem Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem eigenen Land gespeist. So verstehe ich es zumindest.

Aber aus Ihrer persönlichen Sicht: Ist es klug, diese Limitierung aufrechtzuerhalten?

Solche Limitierungen helfen zumindest in unserer Gesellschaft, eine nach wie vor hohe Akzeptanz für die militärische Unterstützung zu erhalten. Die Bundesregierung prüft sehr sorgfältig. Wir tun nicht alles, auch wenn es völkerrechtlich durchaus möglich und militärisch geboten wäre. Eine für mich verdammt schwierige Abwägung. Olaf Scholz hat nicht das Image, ein "Panzer-Kanzler" zu sein. Weil er ganz bewusst auch immer wieder mit sich ringt, die Risiken sorgsam abwägt, um die Bevölkerung mitzunehmen auf diesem sehr schwierigen und gefahrvollen Weg. Das zeichnet sicherlich auch seine Politik aus, und das sage ich mit Respekt, gleichwohl ich ja eher zum Team Tempo gehöre, der sich bisweilen auch schon raschere Entscheidungen gewünscht hat.

Mit Michael Roth sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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