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Treffen kurz vor Ultimo gestoppt Berlins SPD hat den Schuss gerade noch gehört

Die Berliner SPD unter Landeschef Müller verschiebt ihren Parteitag.

Die Berliner SPD unter Landeschef Müller verschiebt ihren Parteitag.

(Foto: imago images/Christian Spicker)

Die Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt waren drauf und dran, einen schweren Fehler zu begehen, der Wutbürger und Querdenker nur in der Meinung bestärkt hätte: Politik denkt immer nur an sich. Zum Glück korrigiert sie sich.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach am Mittwoch nach den Lockdown-Beschlüssen der Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel von einem "harten und bitteren Tag". Zugleich machte der Sozialdemokrat klar, dass der Politik keine andere Wahl geblieben sei. Um den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern sowie Kitas und Schulen offenzuhalten, müssten andere Bereiche der Gesellschaft Opfer bringen, erklärte Müller.

So weit, so verständlich. Wäre da nicht das Problem gewesen, dass Müllers SPD am Samstag einen Landesparteitag mit knapp 300 Delegierten abhalten wollte und noch an eben jenem Mittwoch darauf beharrte. Es stieß auf viel Unverständnis, dass die Berliner Genossen Opfer von Gastwirten, Künstlern, Hotelbesitzern und vielen mehr erwarten, sich aber selbst eine Ausnahme gestatten wollten, um ihr Ding durchzuziehen. Denn an diesem Wochenende sollte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln überaus beliebt war, Müller im Vorsitz des Landesverbandes ablösen, um mit Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh eine neue Doppelspitze zu bilden.

Viel zu lange hatte es so ausgesehen, dass der SPD Fotos von der Inthronisierung Giffeys wichtiger wären als die Glaubwürdigkeit der Partei. In einem Kommentar schrieb der "Tagesspiegel" am Dienstag: "Die Bürger werden es sich merken, dass die SPD in dieser für alle so stressigen und strittigen Ausnahmesituation ausgerechnet die Partei, die den Regierenden Bürgermeister stellt, mit doppelter Zunge spricht und überhaupt nicht vorbildhaft handelt. Die SPD sollte noch einmal darüber nachdenken."

Das tat sie zunächst nicht, obwohl sich der zweite Lockdown längst abzeichnete. Berliner Polizisten - verstärkt durch Hunderte Kollegen des Bundes - werden am Wochenende die Einhaltung der Schutzmaßnahmen auf den Straßen überprüfen, werden zuweilen Partys auflösen. Aber die SPD verkündete noch am Mittwoch, sich im Hotel Estrel treffen zu wollen.

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"Unsere Demokratie ist kein 'nice to have' und ein Parteitag nicht einfach ein Event", antwortete SPD-Landesgeschäftsführerin Anett Seltz am Mittwoch auf eine schriftliche Anfrage von ntv.de. "Wir haben alle durch die öffentliche Debatte erfahren, wie wichtig jetzt die demokratische Willensbildung ist. Wir müssen zeigen, dass dieser Bereich der Demokratieausübung und politischen Willensbildung gerade auch in Krisenzeiten verlässlich funktioniert. Wir nehmen Politik in der Krise ernst." Um der Pflicht und Verantwortung nachzukommen und das Risiko zu minimieren, werde der Parteitag "nach einem sehr strengen Hygienekonzept" durchgeführt, "das auch dem zuständigen Gesundheitsamt vorgelegt wurde".

Irgendwann danach muss der SPD klargeworden sein, dass es schwer werden könnte, diese Position öffentlich durchzuhalten. Denn auch Gastwirte, Kinos und Künstler haben strenge Hygienekonzepte - und müssen dennoch schließen, weil die Kontakte insgesamt heruntergefahren werden sollen. Die Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt waren drauf und dran, einen schweren Fehler zu begehen, der Wutbürger und Querdenker nur in der Meinung bestärkt hätte: Politik denkt immer nur an sich. Am Donnerstag sickerte dann durch, dass der Parteitag verschoben wird. Es ist gut, dass die Berliner SPD ihren Irrtum eingestanden und korrigiert hat.

Quelle: ntv.de

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