Nawalnys Vermächtnis Russland muss diesen Krieg verlieren und Putin stürzen
18.02.2024, 10:29 Uhr Artikel anhören
Auf der ganzen Welt demonstrierten nach dem Tod Nawalnys Menschen gegen Wladimir Putin.
(Foto: dpa)
Jetzt ist es offensichtlicher denn je: Zur Festigung seiner Macht schreckt Putin nicht vor Mord zurück. Alexej Nawalny hat der freien Welt einen Auftrag erteilt: die Schaffung eines liberalen Russlands. Sie wäre ganz in seinem Sinn. Um die Kreml-Tyrannei zu beenden, muss der Ukraine geholfen werden.
Alexej Nawalny war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen russischen Politik. Sein Name ist zum Symbol für den Kampf für Freiheit und den Widerstand gegen Putins Autoritarismus geworden. Nawalny stand für ein Russland, in dem die Menschenrechte geschützt werden und freie Wahlen. Er wurde zum Gesicht des Widerstands gegen die Korruption auf den höchsten Ebenen der Macht, was ihn zu einem Hauptziel für jene machte, die den Status quo in Russland erhalten wollen.

Boris Bondarew ist Ex-Diplomat Russlands. Im Mai 2022 schied er aus dem Dienst aus - aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Nawalny zeichnete sich durch Zugänglichkeit und Charisma aus. Er war der Gegenentwurf zu Putin. Seine jugendliche Ausstrahlung und Energie, sein europäischer Lebensstil und Umgang mit sozialen Medien, seine Offenheit in Bezug auf seine Familie standen im Gegensatz zu Putins alterndem und verschlossenem Image. Diese Eigenschaften machten Nawalny nicht nur zum Anführer der Opposition, sondern auch zu einem Symbol für einen möglichen Wandel in Russland.
Sein Weg war alles andere als einfach. Seine Versuche, eine politische Partei zu gründen, wurden vom Kreml unterdrückt. Er durfte nicht an der Präsidentschaftswahl 2018 teilnehmen, bei der er wohl die ernsthafteste Konkurrenz für Putin gewesen wäre. Er und seine Anhänger wurden immer wieder Ziel von Provokationen und illegalen Verhaftungen, die Büros seiner Anti-Korruptions-Stiftung wurden regelmäßig durchsucht. Trotzdem ließ er die Hoffnung nie fahren, kämpfte weiter, erfand neue Methoden der politischen Konfrontation und inspirierte andere, nicht aufzugeben.
Nur wer frei ist, kann handeln
Deshalb zog er es vor, das für ihn sichere Berlin zu verlassen und nach Russland zurückzukehren. Das Attentat auf ihn im Jahr 2020 und die anschließende Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen in Sibirien offenbarten die Risiken, die Nawalny eingegangen war. Wer Putin die Stirn bietet, zahlt einen hohen Preis. Nawalny kostete sein Kampf das Leben.
Viele meiner Landsleute sind in Sorge um die Zukunft des Landes, verzweifeln und verlieren die Hoffnung auf Veränderung. Die Geschichte Nawalnys erinnert daran, dass der Kampf für die Freiheit enorme Kraft, unglaubliche Geduld und die Bereitschaft erfordert, am Ende alles zu verlieren. Rudyard Kipling schrieb: "Wenn du dir selbst vertrauen kannst, wenn alle Menschen an dir zweifeln, aber auch ihre Zweifel zulassen kannst. Wenn du warten kannst und nicht müde wirst vom Warten, oder belogen wirst, dann handle nicht mit Lügen, oder gehasst wirst, gib dem Hass nicht nach." Die Worte des britischen Schriftstellers passen zur Einstellung Nawalnys. Man kann sie als Appell verstehen, nicht zu resignieren. Für Nawalny war es wichtig, weiter für eine gute Zukunft seiner Heimat zu streiten.
Nawalny war ein Mensch. Und Menschen machen Fehler, immer wieder auch tödliche. Er hat offensichtlich seine Unterstützung in Russland überschätzt und Putin, seinen Hauptgegner, unterschätzt. Die Lektion daraus ist hart. Die Aussage, ein russischer Oppositioneller muss in Russland sein, ist nicht nur gefährlich, sondern auch falsch. Die Realität unter Putin sieht so aus: Ein Oppositioneller muss im Gefängnis sein oder sterben. Nawalny zeigte: Nur wer frei ist, kann handeln. Andernfalls verwandelt er sich vom Oppositionsführer zum Opfer.
Nawalnys Tod ist Beweis für Putins Unmenschlichkeit
Seit der Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist der Widerstand gegen Putins Herrschaft geschwächt und desorientiert. Massive Razzien und repressive Gesetze haben eine offene Opposition in Russland praktisch unmöglich gemacht. Nawalny war sehr wichtig, jedoch nicht die gesamte russische Opposition. Die Zahl der Menschen, die ihn loswerden wollen, wächst langsam, aber stetig. Viele vielversprechende politische Talente, die ein anderes Russland wollen, sind aus dem Land geflohen. Es liegt nun an uns allen, neue Strategien und neue Methoden zu finden, um das Putin-Regime weiter zu bekämpfen und die Herzen der Russen zu gewinnen, die noch immer im Bann der Propaganda stehen.
Die Frage, ob Nawalny Zweifel an seinem Handeln oder Momente der Frustration erlebt hat, ist eine rhetorische, die nicht beantwortet werden kann und nicht beantwortet werden muss. Jeder, der für Gerechtigkeit und Freiheit kämpft, sieht sich mit Schwierigkeiten und der Versuchung zur Verzweiflung konfrontiert. Es ist jedoch die Fähigkeit, diese kritischen Zeiten, das Hadern und Ringen mit sich selbst über das eigene Tun zu überwinden, den Glauben zu bewahren und den Kampf fortzusetzen, die einen Oppositionsführer zu einem Symbol der Hoffnung macht. Diese Eigenschaft hatte Nawalny.
Sein Tod ist ein weiterer Beweis für die Unmenschlichkeit der Putinschen Diktatur. Dieses Regime schreckt, wie wir nun endgültig alle sehen können, nicht davor zurück, seine Gegner innerhalb und außerhalb des Landes zu töten. Das sollten sich alle Europäer zu Herzen nehmen. Mit der Festigung seiner Macht durch Mord wird die Zahl der Opfer Putins nicht nur unter den russischen Bürgern, sondern auch unter den Einwohnern der europäischen Länder steigen. Das Risiko einer Aggression steigt für diejenigen, die die angeblich "legitimen russischen Interessen" nicht mit ausreichendem Eifer unterstützen. Das Regime hat sich unübersehbar für die gewaltsame Unterdrückung jeder abweichenden Meinung entschieden und wendet dieselben brutalen Methoden auch in der Außenpolitik an.
Der Westen muss Mut zeigen
Es ist möglich, Putin und seine Bestrebungen zu stoppen - indem man seine Armee in der Ukraine besiegt. Der Zusammenbruch der russischen "militärischen Spezialoperation" könnte die russische Elite dazu zwingen, ihre Haltung gegenüber dem Diktator zu überdenken und ihn als Versager zu betrachten. Eine Niederlage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine könnte der Schlüssel zu einem Wandel innerhalb Russlands sein, der die Spannungen abbaut, den Krieg beendet und möglicherweise zu einer Normalisierung der Beziehungen zu Europa führt.
In diesem Zusammenhang wird die militärische Hilfe für die Ukraine, die einen ungleichen Kampf nicht nur um ihre eigene Existenz, sondern auch um die Freiheit Europas als Ganzes führt, von entscheidender Bedeutung sein. Der Westen muss seine Unterstützung für das angegriffene Land umfassend fortsetzen. Sie muss so stark sein, dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann. Mehr statt weniger Hilfe ist ein Muss im Kampf gegen Putins Autoritarismus und zur Stärkung von Freiheit und Demokratie auf dem europäischen Kontinent.
Russland muss diesen Krieg verlieren, um sich endlich den inneren Problemen zuzuwenden und sie zu lösen, anstatt unter hohem Blutzoll einen überholten und bösartigen Status quo zu verlängern, wie es Putin tut. Zu diesem Zweck muss der Westen Mut und Entschlossenheit zeigen - so wie es Alexej sein Leben lang getan hat. Wenn es Russland gelingt, Schritte in Richtung Liberalisierung und einer gerechten Gesellschaft zu unternehmen, wäre dies das beste Gedenken an Alexej Nawalny und all jene, die selbstlos gegen Putins archaische und aggressive Tyrannei gekämpft haben. Das Vermächtnis hat uns Nawalny hinterlassen. Wir müssen es als Auftrag verstehen.
Quelle: ntv.de