
Bayaz ernet im Netz teils heftige Kritik für die Meldeplattform.
(Foto: picture alliance/dpa)
In Baden-Württemberg können Bürger anonym und online Hinweise auf Steuerbetrüger geben. Bei Boulevardmedien und politischen Gegnern löst die Meldeform einen erstaunlichen Furor gegen den grünen Finanzminister Bayaz aus. Das ist in gleich mehrerer Hinsicht falsch.
Deutschland ist ein Land, in dem der Ehrliche zu oft der Dumme ist. Handwerker und Gastronomen, die für wirklich jede Leistung eine Rechnung ausstellen, benachteiligen sich oft nur selbst. Gleiches gilt für Bauherren, die ihre Firmen, und Familien, die ihre Haushaltshilfen nicht schwarz beschäftigen. Das Risiko des Auffliegens ist klein und auch das Unrechtsbewusstsein oft gering ausgeprägt. Der kleine Betrug an Finanzamt und Sozialversicherung ist für viele Menschen ein Kavaliersdelikt gegenüber einem vermeintlich gierigen Staat. Diese deutsche Unkultur spiegelt sich im Großen: Kaum ein Dax-Konzern, der nicht in den vergangenen Jahren wegen Betrugs, Korruption, Kartellbildung oder eben Steuervergehen in die Schlagzeilen geriet.
Die Schätzungen gehen zwar auseinander, doch jedes Jahr hätte der deutsche Staat 50 bis 100 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, könnte er alle ihm zustehenden Steuern eintreiben. Hinzukommt die legale, aber meist fragwürdige Steuervermeidung durch Unternehmen. Anstatt immer neue Steuern zu erfinden und bestehende zu erhöhen, tut der Staat deshalb gut daran, seine Einnahmen zu erhöhen, indem er Steuergerechtigkeit herstellt und darauf achtet, dass alle das zahlen, was sie zahlen müssen. Seine Wunderwaffe in diesem Krieg sind der Steuerprüfer und die Steuerprüferin - die einzigen öffentlich Bediensteten, die ein Vielfaches von dem Geld erwirtschaften, das sie kosten.
Fehlgeleitete Kritik
Dass der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz die Möglichkeit der anonymen Tippgeber - Telefon, Brief und Fax - um eine Online-Meldeform ergänzt hat, ist da nur konsequent. Die Steuerverwaltung bekommt einen zeitgemäßen Kanal und das Land Baden-Württemberg setzt EU-Recht zum Schutz von Hinweisgebern um, sogenannten "Whistleblowern". Wie fehlgeleitet müssen Politiker sein, in diesem Zusammenhang von "Stasi" und "Blockwarten" zu reden? Wer das tut, setzt die Steuerverwaltung eines Rechtsstaats mit den dunkelsten Gestalten deutscher Geschichte gleich.
Auch weniger krakeelend vermag die Kritik an Bayaz' Plattform nicht zu überzeugen: Selbst im CSU-regierten Bayern gibt es ein Online-Angebot, weitere Bundesländer nehmen Hinweise per E-Mail an oder bieten entsprechende Vordrucke im Netz. In Baden-Württemberg müssen Hinweisgeber nur nicht erst eine anonyme Mail-Adresse einrichten und sind trotzdem für Rückfragen zu erreichen. Anonyme Online-Plattformen gibt es zudem beim Bundeskriminalamt, bei Landespolizeien und - als Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal - demnächst bei der Finanzaufsicht Bafin.
Die Rede vom "Steuerpranger" ist sowieso blödsinnig, weil die eingereichten Meldungen nicht öffentlich einsehbar sind. Und wer von "Denunziantentum" spricht, handelt fahrlässig: Hinweisgeber sind wertvoll. Sie haben Skandale wie den milliardenschweren Steuerbetrug von Banken mittels CumEx-Geschäften, die systematische Hilfe der Schweiz und Luxemburg für deutsche Steuerhinterzieher und auch den Wirecard-Skandal aufgedeckt. Whistleblower brauchen Plattformen, auf denen sie sich nicht selbst belasten - weil sie etwa Teil des beschuldigten Unternehmens sind - und anonym bleiben können, damit sie nicht durch die Beschuldigten verfolgt werden.
Bayaz' gedruckste Verteidigung
Fraglich ist zudem, von welchem Deutschland Kritiker wie FDP-Vize und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki sprechen, wenn sie vor einer Welle der Denunziation warnen? Auch ohne die Möglichkeit der Anonymität beschuldigen permanent Menschen ihre Mitbürger bei der Polizei. Die wird in unserem Rechtsstaat aber nur dann tätig, wenn der begründete Verdacht einer Straftat vorliegt. Nicht anders ist es bei den Steuerbehörden, die sich - von episodischen Verirrungen abgesehen - nicht mit Bagatellen befassen.
Dass die Kritik aus anderen Parteien an Bayaz im Zuge des Bundestagswahlkampfs etwas heftiger als üblich ausfällt, mag politisches Geschäft sein. Das Ausmaß von Hass und Häme, das sich im Netz über den jungen Vater ergießt, ist aber fraglos der Tatsache geschuldet, dass ein Grünen-Politiker mit Migrationshintergrund für erschreckend viele Menschen in diesem Land eine Hassfigur ist. Das sollten die oft selbst Shitstorm-erprobten Politiker berücksichtigen, wenn ihnen die kritische Zuspitzung zur Unwahrheit entgleitet. So viel Verantwortungsgefühl muss sein zwei Jahre nach dem Mord an Walther Lübcke.
Bayaz hätte aber auch gut daran getan, wenn seine Verteidigungslinie weniger gedruckst ausgefallen wäre: Dass die Meldeform vor allem auf große Fische zielen soll, ist nur bedingt plausibel. Erstens zählt das Meldeformular selbst den Straftatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung als Grund für eine Meldung auf. Gemeint sind damit Steuervergehen, bei denen die Beschuldigten sich nicht damit herausreden können, es nicht besser gewusst zu haben, weil sie ihr Verhalten mit einer fachkundigen Stelle wie Steuerberater hätten abklären können. Das betrifft eher nicht die ganz dicken Fische. Zweitens entscheiden die Steuerfahnder je nach Stichhaltigkeit der Hinweise und anhand ihrer eigenen Kapazitäten, ob sie auf eine Meldung reagieren: Systematischer Umsatzsteuerbetrug bei einem kleinen Mittelständler, den ein missgünstiger Konkurrent privat ausermittelt hat, wird beispielsweise kaum ignoriert werden. Aber in einem Rechtsstaat, der täglich um Millionensummen geprellt wird, ist das auch richtig so.
Quelle: ntv.de