Wieduwilts Woche

Bibimbap und Kombucha für Merz Die Flagge der geistig-moralischen Wende ist der Leberkäse

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Im vergangenen Sommer gönnt sich Friedrich Merz nach dem Wahlkampfauftakt der CDU Sachsen und Thüringen eine Bratwurst.

Im vergangenen Sommer gönnt sich Friedrich Merz nach dem Wahlkampfauftakt der CDU Sachsen und Thüringen eine Bratwurst.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Union hatte einen Glanzmoment, als sie ihr Personal für die neue Koalition präsentierte. Aber Markus Söder hat die Show gestohlen, denn er weiß: Politik geht durch den Magen.

Der Startschuss für die deutsche Wende ist gefallen! Wende? Noch einmal? Nein, wir planen nicht, die Mauer wieder hochzuziehen, also jedenfalls noch nicht, sondern wir wollen ökonomisch nach vorn, leisten, schaffen, produzieren, hurra, auf zur Wirtschaftswende!

So jedenfalls klingt das bei Baldkanzler Friedrich Merz bisweilen - doch, ach, es schleichen sich Zweifel in das Bürgerherz. Denn offenbar geht es auch um etwas anderes: den Kulturkampf. Denn bei der Vorstellung der Unionsminister fielen zwar Namen bekannter Manager, aber den Ton setzte nicht der frühere Blackrock-Aufsichtsrat, sondern einer, der gar nicht ins Kabinett geht: Markus Söder.

"Leberkäs statt Tofu-Tümelei" sei nun wieder angesagt, sprach der bayerische Ministerpräsident mit Blick auf Alois Rainer, den designierten CSU-Agrarminister. Das ist natürlich lustig, Tofu-Tümelei, zweimal "T"!

Hast du den Söder gehört?

Wie irre gut diese genialen sprachlichen Verdichtungen funktionieren, konnte ich kürzlich in Charlottenburg beobachten, in einem Café am Viktoria-Luise-Platz. Eine ältere Dame nimmt mit ihrer Freundin Platz, sie raucht, sie lacht heiser, man spricht über die Regierungsbildung. "Und hast du den Söder gehört?", kichert sie schließlich und stößt ihre Nachbarin an, "Leberkäs statt Tofu-Tümelei! Ich finde das herrlich."

Hier hat also ein Politiker die gewollte kommunikative Wirkung erzielt: Die Wende, die er verspricht, ist eine kulturelle. Alles soll endlich wieder "normal" werden und, klar, zum Teufel mit den Grünen und ihrem Fleischersatz, der immer ein bisschen schmeckt, als würde man in ein Radiergummi beißen.

Wer nun Söders Leberkäs-Laberei als popmedialen Zierrat oder überflüssige Clownerie vor ernster Kulisse abtut, hat nicht verstanden, wie Politik funktioniert. Der Medienzampano weiß nämlich, was sich im Volk verbreitet: Nicht das Verantwortungsgehuber aus dem Koalitionsvertrag, nicht die frommen Wünsche auf den schlanken, digitalen Staat, nicht einmal die Grenzkontrollen.

Leberkäse, die Flagge der geistig-moralischen Wende

Söder weiß, dass die Luft zwischen dem Mund des Sprechers und dem Ohr des Hörers nicht viel mehr als drei, vier Worte trägt. Wir schaffen das, I have a dream, Make America Great Again. Jetzt haben wir halt "Leberkäs statt Tofu-Tümelei" - aber alle wissen, was gemeint ist.

Es ist für Söders Wirkung gänzlich unerheblich, ob die Ampel vorher das fleischgeile Volk zum öden Bohnenquark verdonnert hat (hat sie nicht) oder Alois Rainers Vorgänger Cem Özdemir Fleisch verachtet (tut er nicht): Der Leberkäse ist die Flagge der geistig-moralischen Kehrtwende im Jahr 2025, der fetttriefende Schutzpanzer gegen "die Woken".

Der Mensch ist eben, was er isst, wusste der Philosoph und Gastrosoph Ludwig Feuerbach. Essen ist das verspeisbare Wappen, mit dem sich gesellschaftliche Gruppen verorten. In politisch unkorrekteren Zeiten sprach man von "Spaghetti-" oder "Reis-Fressern" und kolportierte, in China würden Hunde gegessen.

Soll die Latte-Macchiato-Fraktion doch Kuchen essen

Die politische Praxis zeigt: Mit dem, was wir uns in den Mund stopfen oder eben nicht, grenzen wir uns ab, erst recht in Zeiten des Kulturkampfs. Inzwischen steht nicht das Nationale im Vordergrund, sondern die politische Identität: Der streitfreudige Journalist Ulf Poschardt etwa verortet sein Feindbild des Shitbürgers oft bei Freunden des "Avocado-Toasts".

Noch vor ein paar Jahren wurden Progressive routiniert als "Latte-Macchiato-Fraktion" betitelt (so zum Beispiel von Sigmar Gabriel und Annegret Kramp-Karrenbauer). Gemeint sind in beiden Fällen wohl arbeiterferne Leute wie Marie-Antoinette, die dem hungernden Volk vorschlagen, sie "sollten doch Kuchen essen".

Auch die positive Identifikation beginnt zwischen den Zähnen: Currywurst spielt bei allen eine große Rolle ("Kraftriegel des Facharbeiters"), Donald Trump wedelt bei jeder Gelegenheit mit Hamburgern und sein Widersacher Joe Biden setzte auf Eiscreme, um sich als volksnah zu präsentieren.

Mit Saumagen abgeblitzt

So überrascht es nicht, dass die Speisenidentität zu Streit führt: Juden und Araber zanken, wer von beiden den Falafel erfunden hat, das israelische Restaurant Feinberg’s in Berlin steckt gerade in einem erbitterten Streit wegen eines Comics über pürierte Wassermelonen (Symbol Palästinas).

Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl blitzte einst bei der britischen Premierministerin Margret Thatcher trotz Saumagen-Diplomatie ab - und wir erinnern uns wohl alle an Emmanuel Macrons schönes, verdrießliches Gesicht, das von Bundeskanzler Olaf Scholz in ein Fischbrötchen genötigt wurde.

Söder weiß das alles: Politik geht durch den Magen. Nur - wo steht da eigentlich der designierte Kanzler? Merz kocht Spaghetti (sagt seine Frau), isst gern Entenfleisch mit Rosenkohl und Kartoffelpüree (sagt Merz), dazu vielleicht einen Weißwein, aber bekanntlich ab einer Preisuntergrenze von 4,50 Euro (so die "Bild"-Zeitung, das war 2018, den Inflationsausgleich müssen Sie bitte selbst ausrechnen).

Der CDU-Chef mag es also gutbürgerlich. Seine Mahlzeiten lesen sich so sehr wie sein "Links ist vorbei", als hätte er den Spruch mit einer Buchstabensuppe gebastelt.

Versöhnen statt spalten!

Schade: Wäre es nicht eine herrlich versöhnliche Geste gewesen, hätte Merz auf die Frage nach seinem Lieblingsessen geantwortet: "Wissen Sie, ich könnte mich reinsetzen und suhlen in scharfem Bibimbap und spüle das Ganze am liebsten mit eiskaltem Kombucha runter!"

Aber das ist vergossene Milch. Jetzt wird gegessen, was auf den Tisch kommt.

Quelle: ntv.de

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