Satire ist Satire! El Hotzo, Alice Weidel und Kurt Tucholsky gehen in eine Bar


Arme Deutsche! Das Konzept der "Persona", also einer literarischen Rolle, akzeptierten sie nur dann, wenn ein Witz mit "... gehen in eine Bar" beginnt oder ein ordentliches Etikett drauf klebt, meint unser Kolumnist.
(Foto: picture alliance / ABBfoto)
Die Deutschen sind auf der ganzen Welt für ihren Humor bekannt - weil sie keinen haben. Das ist im Zeitalter des Populismus ein großes Problem. Denn wer einen Witz nicht als solchen erkennt, rutscht ohne Not in Wut und Staatsverdruss.
Der kanadisch-kroatische Comedian Daniel-Ryan Spaulding erlitt kürzlich einen Kulturschock in Sachen Deutschenhumor. Er hatte sich vor einigen Jahren in der Pandemie mit englischsprachigen Youtube-Videos lustig gemacht über die neuen Leiden der Berliner Hipster. Er schlüpfte dafür in die Rolle eines weinerlichen, selbstsüchtigen, gern berauschten Berliner Club-Gängers.
Spaulding wundert sich in einem späteren Video, wie einige deutsche Zuschauer ihn dafür angefeindet hätten. Sie hatten schlicht nicht kapiert, dass nicht Spaulding jammert, sondern eine literarische Rolle, die Spaulding konzipiert hatte. Für Pointen. Seine Figur war nicht real, auch wenn der reale Spaulding sie gespielt hat.
Spaulding hat nicht genug von Kurt Tucholsky gelesen. Der schrieb - als Ignaz Wrobel - über den Deutschen, er mache "einen Fehler: Er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden". Es ist ein Problem, das unserem Volk auch mehr als 100 Jahre später noch zu schaffen macht.
"Scheeeeiß AfDeee"
Erstes Beispiel: Das "Zentrum für politische Schönheit" rollt einen extrem lauten Bus ins Regierungsviertel, um von dort mit Choral-Klängen ("Scheeeiß AfDeee") ein Sommerinterview der ARD mit Alice Weidel zu stören. Weidel parierte und nutzte die Situation, um sich in hellem Sommer-Outfit als Bastion der Vernunft in einer links krakeelenden Schrottrepublik zu inszenieren.
Klar: Die Aktion des Künstlerkollektivs half vor allem der AfD. Und dem "Zentrum", dem linken Wohlgefühl, auf der richtigen Seite gestanden zu haben - aber an den Mehrheitsverhältnissen, derzeit Gleichstand für AfD und Union, ändert es nichts. Aber was nach der Aktion passierte, war interessanter. In einem Interview sagte "Zentrums"-Gründer Philipp Ruch nämlich, man habe in "enger Kooperation" gearbeitet, "mit der ARD" und auch mit der Berliner Polizei.
Der tiefe, linksversiffte Staat
Da brodelte es natürlich: Der tiefe, linksversiffte Staat mitsamt den linksversifften Medien hat sich gegen die tapfere AfD verschworen! Wutbürger bündelten jede ihnen zur Verfügung stehende Artikulationsfähigkeit - und fluteten das Netz mit Kotz-Emojis.
Es ist mit dem "Zentrum"-Gründer allerdings ähnlich wie mit Spaulding: Ruch (der gelegentlich mit Tarn-Streifen im Gesicht auftritt) nahm eine Rolle ein, die eines kecken Till Eulenspiegels, was sich schon daran erkennen ließ, dass Ruch von Kooperation nicht nur mit ARD und Polizei sprach, sondern auch "mit der AfD".
Die AfD kooperiert mit dem linken Zentrum, um ein AfD-Interview zu stören? Spätestens hier hätte auch der eine oder andere Deutsche ins Grübeln geraten müssen.
"Absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben"
Arme Deutsche! Das Konzept der "Persona", also einer literarischen Rolle, akzeptieren sie nur dann, wenn ein Witz mit "... gehen in eine Bar" beginnt oder ein ordentliches Etikett drauf klebt, weshalb viele News-Portale ihre satirischen Kolumnen inzwischen mit "Satire" kennzeichnen. Es ist das Äquivalent zu Menschen, die jeder humorvollen Anmerkung drei Tränenlachsmileys zur Seite stellen - sicher ist sicher!
Der andere Wut-Turbo dieser Woche war "El Hotzo", ein bürgerlich Sebastian Hotz heißender Comedian, der zu aller Schande auch schon mit Jan Böhmermann gesichtet wurde. Er hatte nach dem Trump-Attentat auf X kund getan, die Lage sei wie beim letzten Bus, nämlich "leider knapp verpasst". Er finde es zudem "absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben".
Hier waren die Deutschen nicht allein im Nichtverstehen: Auch der sonst sich als humorvoll gebende Elon Musk hatte damals empört beim Kanzler um Hilfe gebeten.
Das Amtsgericht Tiergarten erkannte nun in El Hotzos Tweets keine "Billigung von Straftaten", sondern "straflose Satire". Was dazu führte, dass viele Deutsche noch wütender wurden. Stecken ARD, El Hotzo, das "Zentrum", die Berliner Polizei und die Justiz etwa alle unter einer Decke?
"Die Nazischlampe hat doch recht"
Immerhin scheint es in der Justiz doppelte Standards zu geben: Ebenfalls in dieser Woche hat das Amtsgericht Dresden den rechten Satiriker Elmar Gehrke wegen "Beleidigung" verurteilt, weil dieser sich über die Trans-Politikerin Tessa Ganserer lustig gemacht hatte.
Dass es in einem Fall um die öffentliche Sicherheit geht ("Billigung von Straftaten") und im anderen um die persönliche Ehre ("Beleidigung") fiel da geflissentlich unter den Tisch. Satire ist Satire! Ist doch ganz einfach!
Doch einfach ist in Sachen Satire gar nichts: Es muss eben auch Satire sein, nicht nur ein Deckmäntelchen. Viele linke rollenblinde Deutschen denken bis heute, man dürfe Alice Weidel als "Nazischlampe" bezeichnen. Staatlich erlaubt und bewilligt! Grund dafür ist eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Hamburg. Damals ging es um den Moderator einer Satiresendung, der sich über Weidels Angriffe auf die "politische Korrektheit" lustig machte. "Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazischlampe doch recht", lautete einer seiner Sätze.
Kein Freifahrtschein
Das war in der satirischen Einkleidung legal - Kontext ist King! Aber es wurde von vielen Linken als Einladung interpretiert, die AfD-Chefin nun fürderhin stets und immer so zu betiteln, auch wenn sie selbst keine Satiriker waren und gerade keine satirischen Rollen verkörperten. Das war, wie sich jetzt zeigt, ein Irrtum.
Der "Tagesspiegel" berichtet über das soweit ersichtlich erste Urteil, das in der Weidel-Betitelung als "Nazischlampe" eine strafbare Beleidigung erkennt. Der verurteilte Nutzer hatte den Begriff wie viele andere nicht satirisch verwendet, sondern als schlichten Ausdruck der Missachtung, im Vertrauen auf den angeblichen Freifahrtschein der Justiz.
Beleg für einen Rechtsruck in der Republik ist diese Entscheidung nicht. Wohl aber für deutsche Unduldsamkeit: Die Entscheidung hätte es ohne einen Strafantrag von Alice "Meinungsfreiheit" Weidel nicht gegeben. "Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen", klagte Ignaz Wrobel damals. An der Lage des Humors und manchem anderen hat sich nicht arg viel verändert im Land.
Quelle: ntv.de