Deutschland im KulturkampfSommerpause zwischen Aperol und Bürgerkrieg
Eine Kolumne von Hendrik Wieduwilt
Der Streit um die Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf versaut die Regierungsbilanz von Friedrich Merz und sprengt das Schrill-o-Meter: Wie kommt das Land mit dem Kulturkampf klar?
Am Freitag zischte eine Eilmeldung durchs Land: Die Bundesregierung schiebt 81 Afghanen ab. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat sicher sehr genau geprüft, ob man nicht auch eine sperrig gewordene Verfassungsjuristin in einen der Sitze schnallen könnte - aber die hat einen deutschen Pass. Verdammte Bürokratie!
Ach, die Richterwahl. Eigentlich wartete auf die Merz-Koalition Sommer, Sonne, Aperol. Doch die Personalie macht nun alles kaputt, da tröstet auch kein Abschiebeflieger. Der in einen totalen Kulturkampf eskalierte Streit um Frauke Brosius-Gersdorf ist wie diese eine schlimme Oboe im Orchestergraben: unüberhörbar, versaut den ganzen Abend.
Längst ist das Ganze nicht mehr nur eine leicht aus dem Ruder geratene Justizpersonalie. In dieser seltsam kurzen Zeit hat sich der deutschen Öffentlichkeit ein neuer Debattenmodus vorgestellt: Er ist grell, irrational, aggressiv, unversöhnlich, scheut vor Lügen nicht zurück und auch nicht vor absurdem Katastrophismus. Kurz: Der Kulturkampf ist da.
"Bürgerkrieg"
Die arme, gebeutelte Bundesrepublik und ihre Bewohner sind noch zu überfordert, um zur Gelassenheit zu finden. Den Rekordwert auf dem Schrill-o-Meter erkämpfte sich der Historiker Andreas Rödder: Ein AfD-Verbot wäre der "sichere Weg in den Bürgerkrieg", rief er in die ohnehin grell streitende Republik. Eine ungeheuer hilfreiche Diagnose zum bestmöglichen Zeitpunkt!
Wobei: Längst hatten da diverse SPDler und Grüne schon einen "Schaden für die Demokratie" herbeigehechelt. Es ist eine auch von Algorithmen angestachelte Unsitte geworden: In jeder politischen Gruppe scheint sich durchzusetzen, wer die apokalyptischste Zeitdiagnose in eine Kamera plappert.
Droht wirklich das Ende der Volksherrschaft, weil eine Verfassungskandidatin weggemobbt wird? Man kann sich auch zu viel sorgen. Die Demokratie sei bitteschön "kein hilfloses tattriges Wesen", dem man ständig Pfleger an die Seite stellen müsse, ermahnte der Politikwissenschaftler Philip Manow kürzlich anlässlich einer Debatte zur Frage, ob der Populismus die liberale Demokratie bedrohe. Tja, Manow, bei allem Respekt: Mit solcherlei Gelassenheit kann man vielleicht bei Suhrkamp Bücher vollschreiben, aber für Insta, X und Tiktok ist das deutlich zu lau.
Was tatsächlich ins Wanken gerät, ist die immer schon erstaunlich hemdsärmelige Art, wie in Deutschland die höchsten, mächtigsten und bestgekleideten Richter ausgewählt wurden: nämlich per Parteien-Deals, außerhalb der Öffentlichkeit. Damit ist es nun wohl vorbei. Aber was kommt stattdessen? Zwei Pfade zeichnen sich ab: Der eine führt in amerikanische Verhältnisse, der andere in gepflegte Langeweile.
Beginnt auch bei uns das "Borking"?
In Amerika führen Richter oft monothematische Wahlkämpfe - und ihre Gegner kämpfen mit allen auf persönliche Vernichtung zielenden Mitteln. Es gibt sogar einen Begriff für Schmutzkampagnen gegen Richterkandidaten: "Borking" nennt man das, nach dem Richter Robert Bork. Er selbst wurde in den 1980ern dadurch "geborkt", dass man ihm Nachsicht gegenüber Pädosexuellen unterstellte.
Kindesmissbrauch ist nicht zufällig ein ähnlich emotionalisierendes Thema wie Abtreibung - und mit letzterem wurde bekanntlich Frauke Brosius-Gersdorf "geborkt". Allein ihrem Doppelnamen verdankt die Juristin vermutlich, dass sie nicht ebenfalls als Verb in die Geschichtsbücher eingeht.
Der andere Pfad wäre ein deutscher Sonderweg: Womöglich geht die politische Mitte dem Kulturkampf einfach aus dem Weg. Das ginge, indem die Parteien keine engagierten Weltverbesserer mit klarem politischem Kompass mehr vorschlügen. Dann würde auch niemand im öffentlichen Raum zerpflückt, mit Lügen übergossen und durch Morddrohungen eingeschüchtert.
Oder lieber Verwalter und Beamtentypen?
Ans Bundesverfassungsgericht schafften es dann eher Verwalter und Beamtentypen als engagierte Persönlichkeiten. Juristen also, bei denen man vorher nicht so genau weiß, ob sie die AfD verbieten wollen, wie sie zum Schwangerschaftsabbruch stehen und ob sie Kopftücher bei Staatsbediensteten befürworten.
Damit schnürte "Karlsruhe" zusammen auf das, wofür es die breite Bevölkerung allen widersprechenden Entscheidungen der Vergangenheit zum Trotz gehalten hat: einen geschmacksneutralen Grundgesetz-TÜV.
Welcher Pfad setzt sich durch? Wird das Gericht politischer oder apolitischer? Das hängt auch davon ab, ob Brosius-Gersdorf durchzieht. Das wolle sie tun, solange Karlsruhe keinen Schaden nimmt, sagte sie.
Die Demokratie geht nicht unter
Beschädigt ist Karlsruhe bislang nicht. Auch die Demokratie geht nicht unter, wenn die Debatten noch ein bisschen blöder werden. Jene, die sich durch populistische Tröten beim juristischen Hütchenspiel um Menschenwürde und Lebensschutz in die Irre führen ließen, werden beim nächsten Mal hoffentlich vorsichtiger sein. (Ja, wir meinen Sie, Erzbischof Herwig Gössl.)
Wer den Kulturkampf ignoriere, verliere ihn, warnte Bürgerkrieg-Rödder dieser Tage. Das stimmt, aber ihn mitzukämpfen, wäre die falsche Antwort. Rödder wusste das einmal. Noch im Jahr 2021 empfahl er den Konservativen "gelassene Selbstdistanz". Er riet dazu, nicht den "Anspruch auf die absolute Wahrheit" zu vertreten, denn das mache "Linke oft so unerträglich", ebenso wie der "kulturpessimistische Zynismus vieler Rechter".
Hinzu kommt: Die AfD setzt ausweislich eines aus ihren Reihen stammenden Strategiepapiers genau darauf - sie will die Mitte sprengen durch Kulturkampfthemen. Aber, wie gesagt, diese Art Gelassenheit ballert nicht mehr so gut in der Medienöffentlichkeit, im Sommer 2025 - und wer will sich schon mit dem Vollschreiben von Büchern begnügen?
Auf dem Weg zum Verb
Rödder muss allerdings bewusst sein, dass Bürgerkriegswarnungen ihm einen Eintrag ins Wörterbuch verschaffen könnten, gleich neben "durch schrille Warnungen Aufmerksamkeit erregen". Sein Nachname lässt sich anders als "Brosius-Gersdorf" sogar ausgesprochen gut in ein Verb verwandeln.