HessenDer nächste Kühlturm in Biblis ist Geschichte

Die Energiewende bedeutete auch das Aus für Biblis. Das ehemalige Kernkraftwerk soll weg. Jetzt gab es den nächsten Schritt.
Biblis (dpa/lhe) - Binnen Sekunden stürzt der Steinkoloss in sich zusammen. Auf dem Gelände des früheren Atomkraftwerks Biblis am Rhein in Südhessen ist der dritte Kühlturm abgerissen worden. Was bleibt, ist ein Berg von Schutt - und kurze Zeit eine immense Staubwolke. Um 14.07 Uhr brach das Bauwerk in sich zusammen, doch nicht ganz, wie die ersten beiden Türme 2023. Ein Teil des Kühlturms steht noch und ragt wie ein riesiger Zahn in den Himmel.
Jetzt ist nur noch einer der ehemals vier je 80 Meter hohen Türme weithin sichtbar. Der erste Turm war bereits im Februar 2023 abgerissen worden. Auch der letzte soll bald Geschichte sein. Bei dem Abriss hämmern monoton unbemannte Bagger so lange gegen Stützpfeiler, bis das ganze Bauwerk instabil wird und in sich zusammenfällt. Was ist Stand der Dinge beim Rückbau und wie geht es weiter?
Ist mit dem Abriss des vierten Turmes der Rückbau abgeschlossen?
Nein. Nach dem für Januar geplanten Abriss des letzten Kühlturms ist der Rückbau des ehemaligen Kraftwerks längst nicht abgeschlossen. Nach Angaben des Kreises Bergstraße wird es noch mindestens bis Mitte der 30er Jahre dauern, bis der Meiler endgültig Geschichte ist. Nach Angaben des Umweltministeriums kann es auch Ende der 30er Jahre werden. Bislang wurden unter anderem die Reaktorkammern zurückgebaut und die drei Türme abgerissen.
Die Verantwortlichen rechnen mit dem Abriss des früheren Kraftwerks mit rund einer Million Tonnen Schutt und Schrott. Die jeweils 7.500 Tonnen konventioneller Schutt, die pro Kühlturm anfallen, sollen nach dem Abriss des vierten Turmes nach Angaben des Energieversorgers RWE recycelt und wiederverwendet werden. Nach Angaben von RWE läuft der Rückbau bislang planmäßig und ist bereits weit fortgeschritten.
Um was geht es?
Nach der Fukushima-Katastrophe 2011 in Japan wurde das Kernkraftwerk wie nach und nach alle anderen deutschen Kernkraftwerke stillgelegt. Seit 2017 wird die Anlage abgerissen. Die beiden Druckwasserreaktoren in Block A und Block B waren 1974 beziehungsweise 1976 in Betrieb gegangen.
Wo ist das hochradioaktive Material?
Das steht in einem Zwischenlager auf dem Gelände des Kraftwerks. Mehr als 100 Castorbehälter beinhalten die Brennstäbe und anderes hoch kontaminiertes Material. Es soll später in ein Endlager gebracht werden, wofür bislang aber noch kein Standort Deutschland gefunden wurde.
Was soll auf dem Gelände entstehen?
Der Kreis und die Wirtschaftsförderungen Bergstraße, die Stadt Biblis und RWE habe eine Kooperation unterzeichnet. Sie wollen eine nachhaltige gewerbliche Nutzung des Areals erreichen und sehen ein großes wirtschaftliches Nutzungspotenzial.
Durch die Lage und die Infrastruktur habe das Gelände eine große Attraktivität für Investoren, derzeit würden Konzepte ausgelotet. Auch die Landesregierung hat Pläne in Biblis. Dort soll ein Kernfusionsreaktor für saubere und wirtschaftliche Energieversorgung gebaut werden. Bei einem solchen Reaktor soll Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff-Atomen erzeugt werden.
"In Biblis steht ein Gelände zur Verfügung, dass ideal für die Ansiedlung von innovativen Unternehmungen ist – einzigartig aufgrund der nutzbaren Größe und Gegebenheiten. Es gibt entsprechende Infrastruktur, angefangen von Absperrmöglichkeiten und Zufahrten, über Anbindungen an das Stromnetz", sagt der Landrat des Kreises Bergstraße, Christian Engelhardt (CDU). Auch eine Wasseranbindung gebe es. Mit einer Machbarkeitsstudie sollen verschiedene Nutzungsoptionen analysiert und bewertet werden. Der Finanzierung dieser Studie habe der Kreistag in diesem Jahr zugestimmt.
Gibt es auch Streit um den Rückbau?
Ja, aber nicht um den eigentlichen Rückbau des Kraftwerks, sondern um einen kleinen Teil des anfallenden Mülls. Es geht um 3.200 Tonnen leicht radioaktiven Abfall, der spezifisch entsorgt werden muss. Das Grundproblem: Der Kreis Bergstraße hat keine eigene Deponie, deswegen soll dieser Müll im Nachbarkreis Groß-Gerau auf der Halde Büttelborn gelagert werden. Dort aber wehrt man sich. Weder Kreis noch Kommune noch der Betreiber der Deponie wollen das belastete Material.
Das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt hatte 2023 die Südhessische Abfall-Verwertungs GmbH SAVAG verpflichtet, den spezifisch freigegebenen Müll in Büttelborn anzunehmen. Dagegen wurden juristische Schritte eingeleitet. 2024 entschied das Verwaltungsgericht Darmstadt gegen den Deponiebetreiber und auch der Verwaltungsgerichtshof in Kassel folgte Anfang des Jahres dieser Linie und bestätigte den sofortigen Vollzug.
Getan hat sich bei den 3.200 Tonnen bislang dennoch nichts. Ein Sprecher von RWE sagte dazu: "Die spezifisch frei gemessenen, nicht gefährlichen mineralische Rückbauabfälle für die Deponie Büttelborn befinden sich noch auf dem Anlagengelände. Hierzu sind wir noch in Abstimmungen mit den Beteiligten." Der Schutt von den Kühltürmen hat hiermit nichts zu tun.