Hessen Land schützt Frauen mit Fußfessel – Erfahrungen seit Januar
02.11.2025, 04:32 Uhr
Geschlagen, vergewaltigt, getötet – die Zahlen häuslicher Gewalt sind alarmierend. Nun befasst sich der Bund mit der elektronischen Fußfessel. Hessen ist hier schon weiter - mit welchen Erfahrungen?
Wiesbaden (dpa/lhe) - Fußfessel für Frauenschläger? Auch mit diesem Slogan ist Hessens CDU 2023 in den Landtagswahlkampf gezogen. Nun regiert sie das Bundesland weiterhin, inzwischen gemeinsam mit der SPD. Im Januar 2025 ist die erste elektronische Fußfessel nach dem sogenannten spanischen Modell im Land im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt zum Einsatz gekommen. Künftig soll sie auch bundesweit gefährdete Frauen längere Zeit schützen. Damit will sich am Mittwoch (5.11.) das Bundeskabinett befassen. Die Politik hat sich schon oft zu dieser Technik geäußert - wie hat sie sich in Hessen in der Praxis bewährt?
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) teilt der Deutschen Presse-Agentur mit: "Die elektronische Fußfessel ist seit ihrer Einführung in Hessen ein großer Erfolg. Unter den Ländern sind wir Vorreiter." Er sei froh, dass die Bundesregierung eine Änderung des bundesweiten Gewaltschutzgesetzes auf den Weg gebracht habe, um den Einsatz der Fußfessel einheitlich zu regeln. Bislang gibt es unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern. "Der Druck, den Hessen hier seit Monaten ausübt, zahlt sich aus. Gewalt gegen Frauen ist Gewalt gegen uns alle", betont Hessens CDU-Chef Rhein.
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat im August 2025 zum Entwurf der Gesetzesnovelle erklärt: "Alle paar Minuten wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner angegriffen." Beinahe jeden zweiten Tag töte ein Mann seine aktuelle oder frühere Partnerin. Am Mittwoch will laut Hessens Justizministerium das Bundeskabinett über die Gesetzesänderung entscheiden. Danach sind Bundestag und Bundesrat am Zug.
Fußfessel auch gegen Stalking
Derzeit werden dem hessischen Justizministerium zufolge neun Männer und eine Frau mit der sogenannten Domestic Violence-Technik im Land überwacht (Stand 26. September) - allerdings nicht alle wegen häuslicher Gewalt, sondern etwa auch mit Blick auf Stalking. Bislang habe es keine Übergriffe der Träger eines Plastikkästchens über dem Knöchel auf geschützte Frauen gegeben.
Früher hat die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder in Hessens größtem Gefängnis in Weiterstadt bei Darmstadt allein mögliche Gefährder überwacht, etwa aus der Haft entlassene Sexualstraftäter, aber keine Schutzpersonen, und nur festgelegte stationäre Sperrschutzzonen kontrolliert.
Örtlich flexibles Alarmsystem mit Tracker und Panikknopf
Bei der örtlich flexiblen spanischen Fußfessel dagegen bekommen auch die möglichen Opfer - freiwillig - einen Tracker. Das System registriert sowohl den jeweiligen Standort des Angreifers als auch den der Schutzperson. Nähern sich Aggressor und Opfer einander, wird ein mehrstufiger Alarm ausgelöst. Zudem hat das Opfergerät einen Panikknopf.
Laut dem hessischen Justizministerium kann dieses kleine GPS-Gerät flexibel programmiert werden - etwa mit einem Alarm schon in einer weiteren Pufferzone um das Schutzgebiet oder mit Alarmmeldungen nur an die Überwachungsstelle. Diese kann neben der Alarmierung der Polizei die gefährdete Frau auch schon telefonisch begleiten.
Schon Tausende elektronische Fußfesseln in Spanien im Einsatz
In Spanien gibt es diese Überwachung mit dynamischen Zonen seit 2009. Tausende elektronische Fußfesseln sind hier schon zum Einsatz gekommen. Laut Experten ist seitdem in Spanien keine mit diesem flexiblen System geschützte Frau getötet worden. Abseits dieser Technik hat es dort weiterhin viele Gewaltverbrechen an Frauen gegeben, doch ist die Zahl der Tötungen Berichten zufolge insgesamt seit Einführung der Fußfessel gesunken.
Allerdings haben spanische Medien mit Blick auf eine Auswertung von einheimischen Staatsanwaltschaften auch von Problemen berichtet. Dazu gehören Unterschreitungen einer 500-Meter-Distanz zwischen Aggressor und Opfer in kleinen Dörfern, mangelnde Funkabdeckung in manchen abgelegenen Regionen, Fehlalarme und ein hoher personeller Aufwand.
Mögliche "unbewusste Zufallsbegegnungen" von Tätern und Frauen
Das hessische Justizministerium erläutert, dass beim spanischen flexiblen Modell der Fußfessel die "Bearbeitung von Zonenverstößen" deutlich anspruchsvoller sei als bei stationären Zonenregelungen. Beispielsweise führten "unbewusste Zufallsbegegnungen" zwischen Täter und Schutzperson "öfter zu teilweise nicht relevanten Meldungseingängen". So etwas werde von der Überwachungsstelle mitunter längere Zeit beobachtet und bewertet. Diese Stelle bekomme auch eine Meldung bei einem technischen "Verbindungsverlust der Fußfessel", also einem Abbruch der Datenübertragung.
Mit der geplanten Änderung des bundesweiten Gewaltschutzgesetzes erwartet das Justizministerium in Wiesbaden, dass künftig in Deutschland mehr elektronische Fußfesseln auf richterlichen Beschluss hin angeordnet werden.
Justizminister: "Die spanische Fußfessel kann Leben retten"
Landesjustizminister Christian Heinz (CDU) teilt der dpa mit, dass Hessen dafür 2024 die Bundesratsinitiative gestartet hat. "Die spanische Fußfessel kann Leben retten, davon bin ich überzeugt", ergänzt der Volljurist.
Innenminister Roman Poseck (CDU) sagt der dpa: "Die Entwicklung der häuslichen Gewalt ist besorgniserregend." Von 2014 an habe es in Hessen etliche Jahre lang einen kontinuierlichen leichten Anstieg der Fallzahlen mit Frauen als Opfern gegeben. "Deshalb hat die schwarz-rote Landesregierung bereits im vergangenen Jahr ein Frauensicherheitspaket geschnürt", erläutert Poseck. Dabei sei schon in der hessischen Gesetzgebung der mögliche Einsatz der Fußfessel erheblich erweitert worden - auch zeitlich auf bis zu vier Monate plus mögliche Verlängerungen auf Anordnung eines Familiengerichts.
Warnung vor zu hohen Erwartungen
Experten warnen vor zu hohen Erwartungen. Zu einem früheren Gesetzentwurf der Union hat der Deutsche Juristinnenbund 2024 in einer Stellungnahme den Einsatz der Fußfessel als eine "situationsbezogene, kurzfristige Form der Prävention" bezeichnet. Weder richte diese sich gegen die Ursachen der Gewalt, noch gewähre sie langfristigen Schutz. Der flächendeckende Ausbau von Beratungsstellen und Schutzunterkünften bleibe unabdingbar.
Quelle: dpa