Thüringen Rechtsextremismusverdacht bei Polizei: Maier enttäuscht
04.10.2020, 11:30 Uhr
(Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)
Ein Polizeianwärter soll in einem Whatsapp-Chat rechtsextreme Inhalte geteilt haben. Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelt. Der Fall sorgt bei Politikern in Thüringen für Entsetzen. Er ist einer von wenigen in den vergangenen Jahren, aber nicht der erste.
Erfurt (dpa/th) - Nach einem Verdachtsfall von Rechtsextremismus bei der Thüringer Polizei sollen sich Polizisten, die extremistische oder rassistische Tendenzen bei einem Kollegen erkennen, künftig an die Polizei-Vertrauensstelle wenden können. "Ich bin der Auffassung, dass wir unsere Polizei-Vertrauensstelle auch für Polizeibeamte öffnen sollten", sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera gegen einen Polizeianwärter, der am Thüringer Bildungszentrum der Polizei im südthüringischen Meiningen ausgebildet wird.
Am Freitag gab es laut Innenministerium Durchsuchungen bei dem Verdächtigen. Chat-Partner des Polizeianwärters soll eine Person außerhalb der Polizei gewesen sein. "Erkenntnisse über die Beteiligung weiterer Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamter liegen derzeit nicht vor", hieß es in einer Mitteilung des Innenministeriums. Dies werde aber mit Nachdruck untersucht.
Maier sagte, er sei angesichts des Vorfalls enttäuscht. "Es hat mich wirklich getroffen, dass es einen solchen Fall bei der Thüringer Polizei gibt." Er spreche derzeit viel mit Führungskräften über das Thema. "Wir brauchen ein Klima der Offenheit und der sozialen Kontrolle. Das ist ganz klar eine Führungsaufgabe", sagte Maier.
Zudem sei ihm wichtig, dass die Hemmschwelle bei Polizisten sinkt, extremistische oder rassistische Tendenzen bei Kollegen anzusprechen. "Wenn ein Beamter merkt, dass ein Kollege merkwürdig abdriftet oder über die Stränge schlägt, soll er nicht gleich zum Vorgesetzten gehen müssen, um darüber zu reden", sagte Maier. Künftig sollen sich die Polizisten unter anderem an die Ende 2017 geschaffene Vertrauensstelle wenden können. Bislang ist die Stelle nur für Bürger gedacht, die sich zum Beispiel von der Polizei ungerecht behandelt fühlen, sich beschweren wollen oder Fragen zur Polizei-Arbeit haben. Für Anliegen von Polizisten war die Stelle bislang offiziell nicht zuständig.
Die Innenpolitiker der Fraktionen von Linke und CDU reagierten entsetzt über den neuen Verdachtsfall von Rechtsextremismus in der Thüringer Polizei. "Inakzeptabel! Wer glaubt, es mit unserer #Verfassung nicht so genau nehmen zu müssen, hat in unserer rechtsstaatlichen #Polizei nichts zu suchen!", schrieb der CDU-Innenexperte Raymond Walk bei Twitter. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, jeder Fall von Rassismus oder Rechtsextremismus in der Polizei sei einer zu viel. Walk lobte das schnelle Handeln und Durchgreifen der Ermittlungsbehörden.
Der Thüringer Linke-Innenpolitiker Steffen Dittes mahnte schnelle dienstrechtliche Konsequenzen an. "Bemerkenswert ist doch, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt und es Durchsuchungen gab. Hier geht es also offensichtlich nicht nur um Inhalte, die mit der Ausübung des Polizistenberufes unvereinbar sind, sondern hier wurden möglicherweise die strafrechtlichen Grenzen überschritten", sagte Dittes der Deutschen Presse-Agentur. Seiner Meinung nach müssten daher umgehend dienstrechtliche Konsequenzen folgen, und der Verdächtige müsse aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen werden.
Bereits zuvor hatte Innenminister Maier bekräftigt, dass alle Polizeibeamten auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten müssen. "Wer diesem Anspruch nicht gerecht wird, hat keinen Platz in der Thüringer Polizei."
In den vergangenen Wochen waren rechtsextreme Verdachtsfälle bei der Polizei und beim Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen sowie bei der Berliner Polizei bekannt geworden. Dabei sollen sich Polizisten die Inhalte in Chats auch untereinander weitergeleitet haben.
Dittes erneuerte seine Forderung nach einer Rassismus-Studie in der Thüringer Polizei. "Wir wissen, dass es Probleme gibt, und wir gehen davon aus, dass sich Thüringen dabei nicht von anderen Bundesländern unterscheidet", sagte Dittes. Man müsse aber herausfinden, wo die Ursachen für die Probleme liegen.
Auch Maier hatte eine solche Studie mehrmals gefordert und setzt sich als Chef der Innenministerkonferenz (IMK) im Kreise seiner Amtskollegen dafür ein.
Walk sprach sich hingegen dafür aus, zunächst ein Lagebild Rassismus erstellen zu lassen. "Noch immer haben wir kein realistisches Bild von Anzahl, Art und Ausmaß der Vorfälle", sagte Walk der dpa. Seiner Meinung nach wäre ein Lagebild auch ein Einstieg in eine mögliche Studie zum Thema Rassismus in der Polizei - allerdings müssten dann alle Bundesländer mitmachen, so Walk. "Alleingänge der Länder werden nicht zu einer kohärenten Strategie zum Umgang mit diesem Thema führen." Ob es eine Studie geben werde, müsse demnach die Innenministerkonferenz entscheiden.
Walk sagte, in Thüringen gebe es bislang nur Einzelfälle. Bei der Polizei-Vertrauensstelle wurden in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 14 Beschwerden mit Rassismusbezug bearbeitet, wie aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage von Walk hervorgeht.
Den Daten zufolge wurden in den Jahren 2017 bis 2019 drei Verfahren wegen des Vorwurfs rassistischen Verhaltens gegen Polizisten eingeleitet. Dabei geht es um Vorwürfe wie Diffamierung von Muslimen und mutmaßlich rechtsextreme Äußerungen. Bereits im Jahr 2018 gab es einen Fall am Bildungszentrum der Polizei in Meiningen, bei dem einem Anwärter unter anderem rassistischen und rechtsextreme Äußerungen vorgeworfen wurden. Den Daten des Innenministeriums zufolge wurde der damalige Beamte auf Widerruf aus dem Dienst entlassen.