Collinas Erben

"Collinas Erben" verständnisvoll Aytekin und der "Respekt im Paket"

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Deniz Aytekin zeiigt Dortmunds Mo Dahoud den Weg zur Umkleidekabine.

(Foto: picture alliance / Gladys Chai von der Laage)

Nach einer Unbeherrschtheit gegenüber dem Schiedsrichter fliegt der Dortmunder Mahmoud Dahoud in Mönchengladbach früh vom Platz. Manchen geht das zu weit, andere unterstützen den Referee ausdrücklich. Die Entscheidung zeigt ein Grundsatzproblem auf.

Wer sich als Fußball-Schiedsrichter mit Unparteiischen anderer Sportarten unterhält - auch und gerade sehr körperbetonter wie Eishockey oder Rugby -, bekommt eines immer wieder zu hören: Den Spielern fehlt die Achtung euch gegenüber, sie nehmen sich viel zu viel heraus, bei uns ist ein solches Verhalten verpönt, ihr seid aber auch zu nachsichtig. Gewiss haben solche Vergleiche ihre Tücken und Grenzen, unterschiedliche Sportarten sind nun mal verschieden etwa hinsichtlich ihrer Popularität, ihrer gesellschaftlichen Verankerung, ihres Regelwerks oder ihrer Geschichte. Dennoch ist es auffällig, wie aggressiv und respektlos gerade im Fußball den Referees oft begegnet wird. Eine Umfrage der Deutschen Welle unter Funktionären verschiedener Sportarten, vor knapp zwei Jahren veröffentlicht, untermauert diesen Eindruck.

Von Schiedsrichtern, nicht nur denen im Profifußball, wird allgemein erwartet, verbale und nonverbale Proteste bis zu einem gewissen Grad unter Verzicht auf Sanktionen zu moderieren. Als guter Unparteiischer gilt vor allem, wer seine Autorität im Konfliktfall aus seiner Persönlichkeit bezieht und nicht durch Strafen absichern muss. Das ist einerseits richtig, andererseits hat es die Spielräume für die Spieler arg groß werden lassen und deren Erwartungshaltung befördert, in aller Regel ungestraft davonzukommen, wenn sie eine Entscheidung des Referees mit Worten, Gesten oder ihrem Verhalten ablehnen. Einem Referee, der nicht nur verbal, sondern auch mit Gelben und Roten Karten gegen Unsportlichkeiten vorgeht, wird häufig vorgeworfen, nicht souverän und unangemessen kleinlich zu amtieren.

Aytekin hat die Nase voll

Das ist die - durchaus ungute - Normalität im Fußball. Und deshalb gibt es auch oft so ein Theater, wenn mal ein Unparteiischer auf der großen Bühne die Nase voll hat vom ständigen Reklamieren, Lamentieren, Gestikulieren und Bedrängtwerden durch die Spieler - und deshalb zu drakonischen Sanktionen greift. So wie Deniz Aytekin am Samstagabend in der Partie zwischen den Borussias aus Mönchengladbach und Dortmund nach 40 Minuten, als er den bereits verwarnten Mahmoud Dahoud mit Gelb-Rot vom Platz stellte. Dahoud hatte zunächst Joseph Scally gefoult, es war kein hartes Vergehen, aber ein klares, eigentlich unstrittiges. Dennoch winkte der Dortmunder verärgert in Aytekins Richtung ab, als der Pfiff ertönte, statt die vollkommen korrekte Entscheidung einfach hinzunehmen.

Es war zwar nur eine kurze und nicht übermäßig ausladende Geste, doch es gab eine Vorgeschichte, auf die Aytekin im Interview des Senders "Sky" hinwies. "Wir hatten da erst die Szene wenige Minuten vorher: Guerreiro, der abwinkt und dem ich unmissverständlich erkläre, dass ich dieses Verhalten auf dem Platz einfach nicht möchte", sagte er. Den Einwand, dass in dieser Situation ein Mitspieler und nicht Dahoud selbst gestikuliert habe, ließ der Unparteiische nicht gelten: "Ein bestimmtes Verhalten auf dem Platz muss ja unterbunden werden. Es hat ja nicht jeder ein Freilos und kann machen, was er will. In der Summe war mir dieses respektlose Abwinken zu viel." Aytekin fehlte "der Respekt im Paket", und deshalb habe er "dieses Zeichen gesetzt".

"Er hätte es einfach akzeptieren können"

Tatsächlich ist es üblich und auch sinnvoll, dass Schiedsrichter bei problematischen, für das Spiel oder ihre Autorität potenziell schädlichen Spiel- oder Verhaltensweisen der Akteure in der Mannschaftssportart Fußball ihre Ermahnungen einzelner Spieler als Ansage an das gesamte Team verstanden wissen wollen. Es ist logisch, dass ein Referee nicht jedem Spieler ein respektloses Abwinken zugesteht, bevor er erstmals zur Gelben Karte greift. Und dass ein Spieler wie Dahoud, der bereits verwarnt ist, sich in besonderem Maße zurückhalten sollte, liegt auf der Hand. Aytekin hat recht, wenn er sagt: "Er hat es ja gar nicht nötig, da abzuwinken und überhaupt so in Erscheinung zu treten. Es ist ein ganz klares Foulspiel. Er hätte es einfach akzeptieren können."

Der 43-Jährige ist einer der besten, erfahrensten und am meisten geschätzten Referees der Liga, souverän im Auftreten, stark im Spielmanagement und meist mit einer großzügigen Linie bei der Zweikampfbewertung. Die Partie in Mönchengladbach war bereits sein 187. Bundesligaspiel. So einer ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, und wenn es doch einmal geschieht wie am Samstagabend, sind die Protagonisten gut beraten, sich zumindest anschließend zurückzuhalten. Mahmoud Dahoud tat sein Verhalten dann auch leid, BVB-Kapitän Mats Hummels nahm seinen Mitspieler in die Kritik, auch Trainer Marco Rose schlug eher leise Töne an. Nur Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke glaubte, dem Referee in der Sendung "Doppelpass" vorwerfen zu müssen, er habe "agiert wie ein Kapellmeister".

Zustimmung von Patrick Ittrich und Lutz Wagner

Im "Sky"-Interview klagte Deniz Aytekin, herablassende Gesten wie das Abwinken würden mittlerweile ganz selbstverständlich als "nichts Schlimmes" betrachtet. Und das passt ihm ganz und gar nicht: "Wir haben auch ein Mindestmaß an Respekt verdient." Öffentliche Zustimmung erhielt er dafür von seinem Bundesliga-Kollegen Patrick Ittrich, der auf Twitter und Instagram schrieb: "Danke, Deniz Aytekin!" Und weiter: "Wir sind das schwächste Glied in der Kette und spüren das jedes Wochenende von Kreisklasse bis Bundesliga. Mehr Respekt! Wir reagieren auf Unsportlichkeiten. Das ist unsere Aufgabe, und die ist schwer - für alle Schiris in der Republik." Ittrich selbst hatte am zweiten Spieltag in der Partie VfL Bochum - 1. FSV Mainz 05 (2:0) den Mainzer Jean-Paul Boetius und den Bochumer Simon Zoller wegen Meckerns verwarnt.

Auch von DFB-Lehrwart Lutz Wagner erfuhr Aytekin Rückendeckung: "Man kann im Vorbeigehen dem Schiedsrichter durchaus auch einmal sagen, dass man anderer Meinung ist, aber man sollte es nicht für jeden im Stadion so deutlich sichtbar tun", sagte Wagner dem "Kicker". Außerdem sei es ein "so klares Foul von Dahoud" gewesen, "da empfindet es ein Unparteiischer schon als besonders unangemessen, wenn ein Spieler trotzdem so vehement protestiert". Dahoud sei klar gewesen, "dass er bereits verwarnt war, und dann kann man sich auch etwas professioneller verhalten".

Altes Thema neu angestoßen

Mit der Matchstrafe gegen den Dortmunder hat Aytekin ein Thema neu angestoßen, das es bereits zu Beginn des Jahres 2020 gab, bevor es nach der Spielpause infolge der Corona-Pandemie und der Wiederaufnahme des Spielbetriebs ohne Zuschauer aus den Schlagzeilen verschwand: Zur Rückrunde der Saison 2019/20 hatte die sportliche Leitung der Unparteiischen die Direktive ausgegeben, unsportliches Verhalten deutlich konsequenter zu ahnden als bislang - nicht zuletzt, um damit als Vorbild für den Amateurfußball zu wirken. Diese Anweisung setzten die Referees auch recht konsequent um, was allerdings auf die Kritik einiger Klubs stieß. So beklagte sich etwa Borussia Mönchengladbach, damals von Marco Rose trainiert, vehement über Gelb-Rot für Alassane Pléa im Spiel bei RB Leipzig. Dessen Vergehen war dem von Dahoud ähnlich.

Nun sagte Rose, wenn alle Schiedsrichter nach dem Maßstab von Aytekin im Spiel seines neuen gegen seinen alten Klub handelten, gäbe es zehnmal Gelb-Rot pro Partie. Diese Aussage ist natürlich übertrieben, aber auch erschreckend, beinhaltet sie doch - ungewollt - das Eingeständnis, dass es jedenfalls eine ganze Menge Respektlosigkeiten gegenüber den Unparteiischen gibt, die in der Regel ungeahndet bleiben. Das ist in anderen Sportarten nicht so. Vielleicht sollte der Fußball sich lieber daran orientieren, statt über fehlendes "Fingerspitzengefühl" der Referees zu klagen und "Emotionen" zu beschwören, wo es letztlich um unsportliches Verhalten geht. Auf der anderen Seite sind die Spielleiter nun natürlich auch gefordert, konsequent zu sein.

Quelle: ntv.de

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