Fußball-WM 2018

WM-Zeitreise - 21. Juni 1978 Ganze Wahrheit der Schmach von Cordoba

Auch Jahrzehnte nach der "Schmach von Cordoba" erhitzt die denkwürdige Partie zwischen Österreich und Deutschland die Fan-Gemüter.

Auch Jahrzehnte nach der "Schmach von Cordoba" erhitzt die denkwürdige Partie zwischen Österreich und Deutschland die Fan-Gemüter.

(Foto: imago sportfotodienst)

Die einen nennen es "das Wunder", die anderen sprechen von "der Schmach". Auch 40 Jahre nach dem legendären Spiel von Cordoba werden alle ganz "narrisch", wenn es um die Partie der WM 1978 geht. Es ist ein Fest der Anekdoten.

"Wenn ich einen Deutschen sehe, werde ich zum Rasenmäher", meinte Hans Krankl hinterher und lachte. Der Ex-Autoschlosser aus Wien war ausgesprochen guter Laune, als er eine Stunde nach diesem denkwürdigen Spiel vom 21. Juni 1978 einem österreichischen Journalisten seine Schuhe vom legendären Sieg über die Deutschen in die Hände drückte. Voller Demut ahnte Krankl in diesen Augenblicken bereits, was er wenige Momente zuvor mit seinem Treffer zum 3:2 in der 88. Minute getan hatte. Und was für ein Glück er gehabt hatte - denn eigentlich sollte Krankl zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr spielen. Trainer Senekowitsch war überhaupt nicht zufrieden mit ihm gewesen und hatte ihn bereits zur Halbzeit auswechseln wollen, doch dann besann er sich eines Besseren und ließ ihn auf dem Feld. Senekowitsch' Begründung klingt immer noch abenteuerlich: "Ich war regelrecht zornig auf ihn und wollte, dass er das Dilemma bis zum Schluss durchsteht. Strafweise!" Die Geburt einer Legende ist also der diffusen Laune eines einzelnen Menschen zu verdanken.

Österreich - Deutschland 3:2 (0:1)

Österreich: Koncilia - Pezzey - Sara, Obermayer, Strasser - Hickersberger, Krieger, Prohaska, Kreuz - Krankl, Schachner (71. Oberacher); Trainer: Senekowitsch. 
Deutschland: Maier - Dietz - Vogts, Rüssmann, Kaltz - Bonhof, Beer (46. Hansi Müller), Rummenigge, Abramczik - Hölzenbein, Dieter Müller (61. Fischer); Trainer: Schön.
Schiedsrichter: Klein (Israel)
Tore: 0:1 Rummenigge (19.), 1:1 Vogts (59., Eigentor), 2:1 Krankl (66.), 2:2 Hölzenbein (68.), 3:2 Krankl (88.)
Zuschauer in Cordoba: 38.318 (Stadion Chateau Carreras)

In Österreich ist die Partie, die im argentinischen Cordoba stattfand, bis heute als "das Wunder" bekannt, in Deutschland nur unter dem Beinamen "die Schmach". Das Spiel der zweiten Runde gegen Österreich war aus deutscher Sicht das saure Sahnehäubchen auf einer total verkorksten Weltmeisterschaft. Fern der Heimat blamierte sich der Titelverteidiger sportlich wie menschlich aufs Äußerste. Nach den zwei Unentschieden gegen Italien und die Niederlande musste das deutsche Team das Nachbarland mit mindestens fünf Toren Unterschied besiegen. Das hielten sowohl DFB-Präsident Hermann Neuberger als auch Kapitän Berti Vogts für möglich. Und natürlich sagten sie das auch öffentlich. Sehr "zur Freude" der Österreicher, die nach zwei Niederlagen ihren Rückflug bereits gebucht hatten, nun aber durch die großmäuligen Aussagen der Deutschen noch einmal angestachelt wurden.

Einen Spieler hatten die Männer in ihren rot-weißen Trikots ganz besonders auf dem Kieker. Manni Kaltz vom Hamburger SV war Anfang des Jahres von Präsident Neuberger in den siebten Himmel gelobt worden. Ein absoluter "Weltklasse-Libero" sei der Kaltz, meinte der Verbandspräsident, und deshalb könne man guten Gewissens auf Franz Beckenbauer verzichten. Das sahen die Österreicher allerdings komplett anders. Walter Schachner vor der Partie: "Kaltz ist unsere größte Hoffnung." Und als Kurt Jara hörte, dass Kaltz kurz zuvor gesagt habe, er würde sich zu den drei besten Verteidigern der Welt zählen, meinte er trocken: "Dann müssen aber mindestens 300 in den letzten Tagen gestorben sein." Und auch nach dem Spiel ließen die siegreichen Österreicher vom Hamburger Verteidiger nicht ab. "Steif wie ein Stock ist er gewesen, der Kaltz, der Herr Weltklasse-Libero. Zweimal hab ich geschwänzelt, und dann war ich an ihm vorbei", sagte der zutiefst zufriedene Hans Krankl und lächelte wieder.

"So etwas haben wir noch nie erlebt!"

DFB-Torwart Sepp Maier fliegt schön, doch es nützt nichts: Österreichs Hans Krankl trifft zum 2:1.

DFB-Torwart Sepp Maier fliegt schön, doch es nützt nichts: Österreichs Hans Krankl trifft zum 2:1.

(Foto: imago/Pressefoto Baumann)

Die Österreicher berichteten hinterher erstaunt, dass sich die Deutschen während der Partie immerfort angeschrien hätten: "So etwas haben wir noch nie erlebt!" Und tatsächlich erzählte Bernd Cullmann schon während des Turniers in einer stillen Stunde den Journalisten über Kapitän Berti Vogts: "Der glaubt, durch sein Geschrei zur Persönlichkeit zu werden." Da hatte der Gladbacher gerade Bernd Hölzenbein zusammengeschissen, weil dieser unter eine gemeinsame Ansichtskarte aus dem Trainingscamp auch Grüße an Paul Breitner geschrieben hatte - eine Person, die Vogts überhaupt nicht leiden mochte und die wie ein Schatten über dieser WM lag.

Auf dem Platz fällt an diesem legendären Tag in Cordoba aber nicht Kaltz oder Vogts, sondern ein anderer Deutscher negativ auf - der Schalker Rüdiger Abramczik. Die "Sport-Illustrierte" nahm nach der Weltmeisterschaft in ihrem Sonderheft kein Blatt vor den Mund: "Gegen Österreich erweckte er den Eindruck, im Kopf nicht mehr ganz richtig zu sein. Selbst als die Partie noch 2:2, Deutschland also das Spiel um den dritten Platz noch offen stand, provozierte er seine Gegenspieler mit Redensarten wie 'Ihr taugt doch sowieso nichts mehr, geht doch nach Hause' und 'Wir bekommen 40.000 Mark und was bekommt ihr?'" Der österreichische Verteidiger Robert Sara fasste hinterher seine Fassungslosigkeit über das Verhalten Abramcziks in einem bemerkenswerten Satz, den man ruhig einmal etwas länger wirken lassen darf, zusammen: "Ein ekelhafter Mensch. Jeder Italiener, gegen den wir gespielt haben, war sympathischer als er." Nachsatz des Reporters: "Klüger wohl auch."

Ein Spiel, das "narrisch" macht

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Nach Krankls Tor zum 3:2 in der 88. Minute vergab dann ausgerechnet dieser Abramczik die letzte Chance des Spiels. Der Kommentar des österreichischen Reporters Edi Finger über dieser Szene ist unvergessen: "Eine Möglichkeit für Abramczik. Und!? Daneeeeben! Also der Abraaaamczik - abbusseln möchte ich den Abramczik dafür. Jetzt hat er uns geholfen. Allein vor dem Tor stehend. Der brave Abramczik hat danebengeschossen. Der Arme wird sich ärgern!"

Und dann ist das Spiel zu Ende. Deutschland ist zum ersten Mal seit 47 Jahren wieder von Österreich geschlagen worden. Nachdem Edi Finger zuvor "narrisch" geworden war, genehmigt er sich nun mit seinen Kollegen verdientermaßen "ein Viertel" Wein. In Deutschland hingegen sucht man nach einem Schuldigen. Da der "Mann mit der Mütze", Bundestrainer Helmut Schön, ohnehin aufhört, reagiert sich das Volk an Österreichs Doppeltorschützen Hans Krankl ab. Als eine große deutsche Boulevardzeitung schließlich auch noch die Telefonnummer des ehemaligen Autoschlossers und heutigen Wundermachers veröffentlicht, kann sich der deutsche Volkszorn tüchtig entladen.

30 Jahre später treffen bei der EM 2008 Österreich und Deutschland in Wien aufeinander. Natürlich kochen zu diesem Jubiläum auch all die alten Geschichten wieder hoch. Doch man merkt, dass mittlerweile einige Jahre ins Land gegangen sind. Die Distanz zum Geschehen trägt ihre Früchte. In der Stadt hängen deutsche Fans ein Banner auf, auf dem steht: "Tittenbar statt Cordoba". Franz Beckenbauer lächelt in die Kameras: "Cordoba? Das scheint ja inzwischen Österreichs berühmteste Stadt zu sein." Und Hans Krankl? Der dreht Werbespots, in denen ein kleiner Junge nur das eine Wort sagen muss und alle Zuschauer wissen Bescheid. Denn auch nach über 40 Jahren macht uns Deutsche wie Österreicher dieses Spiel immer noch ganz "narrisch".

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Quelle: ntv.de

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