Kryptogeld als Zahlungsmittel Bitcoiner feiern, Salvadorianer sorgen sich
06.09.2021, 16:20 Uhr
Bitcoin als Zahlungsmittel, so fürchten manche Salvadorianer, nützt vor allem der korrupten Elite.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Erstmals macht ein Staat Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Doch die meisten Bürger von El Salvador haben keine Lust auf das Experiment. Bitcoin-Anhänger feiern den "historischen" Tag trotzdem auf ihre Weise.
Auf diesen Tag fiebern Bitcoin-Enthusiasten in aller Welt seit Monaten hin. "Der morgige Tag dürfte einen Eintrag in den Geschichtsbüchern von Bitcoin und Co erhalten", sagte etwa der deutsche Analyst Timo Emden von Emden Research zu Reuters. Zum ersten Mal erhebt ein Land die älteste und wichtigste Kryptowährung in den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels. Vor drei Monaten kündigte Nayib Bukele, Präsident des bitterarmen mittelamerikanischen Landes El Salvador, zur Überraschung seiner Bürger und der zuständigen Behörden ein entsprechendes Gesetz an, nun tritt es in Kraft. Krypto-Fans rund um den Globus wollen diesen Tag unter anderem feiern, in dem sie mit in sozialen Medien koordinierten Bitcoin-Käufen, den Preis kurzfristig weiter in die Höhe treiben.
Doch während Kryptofans und -Anleger weltweit den Schritt feiern, ist die Stimmung im Land selbst eine andere. Umfragen zufolge sprechen sich rund drei Viertel der Bevölkerung gegen eine Einführung von Bitcoin neben dem US-Dollar als weiteres offizielles Zahlungsmittel aus. Das wirtschaftlich chronisch instabile El Salvador hatte seine eigene Währung vor 20 Jahren aufgegeben und den Dollar übernommen. Bictoin, so argumentieren dessen Befürworter, könne dem kleinen Land helfen, ein Stück seiner Unabhängigkeit von der US-Geldpolitik zurückzugewinnen.
Daran, dass das mit einer extrem schwankenden Kryptowährung gelingen kann, zweifeln sowohl einfache Salvadorianer als auch die Experten internationaler Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Mehrfach gingen in der Hauptstadt San Salvador Hunderte auf die Straße, um gegen Bitcoin als Zahlungsmittel zu protestieren. Medienberichten zufolge waren unter den Demonstranten etwa Staatsbedienstete, Veteranen und Pensionäre, die fürchten, ihre Pensionen künftig in der volatilen Kryptowährung statt wie gewohnt in Dollar ausgezahlt zu bekommen. Auf Plakaten warnten die Demonstranten zudem vor noch mehr Korruption und Geldwäsche. Auch Politikern aus dem Umfeld von Präsident Bukele wird Verwicklung in Korruption vorgeworfen. Der Politikwissenschaftler und Zentralamerika-Experte Christian Ambrosius von der FU Berlin sagte der Deutschen Welle, er vermute, Bukele wolle "ein Paradies für alle möglichen finanziellen Schwarzmarkt-Aktivitäten und Geldwäsche" in El Salvador schaffen.
Verwirrung um Bitcoin-Zwang
Eine Mehrheit von Einzelhändlern gab in Umfragen an, auch in Zukunft keine Bitcoin annehmen zu wollen. Darüber, ob sie das tun müssen, herrscht kurz vor Inkrafttreten des Bitcoin-Gesetzes Verwirrung. Im Gesetzestext heißt es, jeder "wirtschaftliche Akteur muss Bitcoin als Zahlung akzeptieren, wenn er von jemandem angeboten wird, der eine Ware oder Dienstleistung erwirbt". Von der Zentralbank hieß es allerdings, dass dies nur den betreffe, der dazu technisch auch in der Lage sei. Bukele wiederum versicherte, dass niemand gezwungen werde, Bitcoin anzunehmen.
Bukele verspricht seinem Land einen Wohlstandschub durch die Bitcoin-Einführung. Zum einen bekommen Millionen von Salvadorianern erstmals Zugang zu Finanzdienstleistungen. 70 Prozent der Einwohner haben bislang kein eigenes Konto. Mithilfe eines Smartphones, das fast jeder besitzt, können sie das staatliche "Chivo"-Wallet installieren, mit dem sie Bitcoin und die eins zu eins an den Dollar gekoppelte Kryptowährung "USD Coin" empfangen, senden und speichern können. Damit sollen kostengünstige Zahlungen und Transfers auch aus dem Ausland möglich ein.
IWF sieht Stabilität in Gefahr
Auslandsüberweisungen sind für El Salvador ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Geld, das ausgewanderte Salvadorianer, vor allem aus den USA, an ihre Familien in der Heimat schicken, machen fast ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Gebühren von Banken oder Transferbüros verschlingen bisher einen erheblichen Teil davon. Ganz umsonst ist allerdings auch die Nutzung von Kryptowährungen nicht. Auch für Krypto-Transfers können teils hohe Kosten anfallen, und an den "Chivo"-Geldautomaten, von denen Bukele derzeit 200 Stück im ganzen Land aufstellen lässt, werden satte fünf Prozent Gebühren für die Auszahlung von Bitcoin-Guthaben in Dollar fällig.
Die Experten vom IWF halten den Einsatz von Kryptowährungen wie Bitcoin als universelles Zahlungsmittel derzeit generell nicht für praktikabel. Die enormen Kursschwankungen machten eine Auszeichnung von Preisen in Bitcoin nahezu unmöglich. Würden Unternehmen oder staatliche Institutionen die Höhe von Preisen oder Gebühren und Steuern im Voraus in der Kryptowährung angeben, müssten sie enorme Schwankungen bei ihren Einnahmen hinnehmen. Das könne die Stabilität der gesamten Wirtschaft und der staatlichen Finanzen gefährden.
Für Bukele dürfte die internationale Debatte um den Bitcoin nicht ungelegen kommen. Denn gleichzeitig hat er, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, andere, weit drastischere Schritte unternommen, um seine Macht zu zementieren. Kritiker nennen den 40-Jährigen auch "Milliennial Dictator" und werfen ihm zahlreiche Verstöße gegen die Verfassung vor. Nachdem er bereits im Mai mehrere Richter des Obersten Gerichtshofes entlassen und durch Gefolgsleute ersetzt hatte, ließ er von diesen nun wenige Tage vor der Bitcoin-Einführung eine Verfassungsänderung absegnen, die ihm eine bisher verbotene weitere Amtszeit ermöglicht.
Quelle: ntv.de