Raus aus Russland - oder nicht? Darum bleiben deutsche Konzerne in Russland
08.03.2022, 17:45 Uhr
Eine Reihe von Unternehmen will ihre Zelte in Russland trotz der aktuellen Kriegslage in der Ukraine nicht abbrechen.
Die Liste der Konzerne, die sich aus Russland zurückziehen oder den Vertrieb einstellen, wird länger. Es gibt aber auch die, die bleiben wollen. Die Gründe klingen ähnlich. Eine Überlebensgarantie für die Unternehmen sind sie nicht.
Big Oil hat Russland den Rücken gekehrt, die deutsche Wintershall hat es getan. Mastercard und Visa haben sich vom russischen Markt verabschiedet, ebenso wie H&M, Zara-Eigner Inditex oder auch Puma. Auch Autobauer haben zum Rückzug geblasen: Volvo produziert nicht mehr in Russland, Daimler Truck hat seine Zusammenarbeit mit einem russischen Partner eingefroren und BMW kündigte an, den Bau von Autos im russischen Kaliningrad ebenso wie den Export nach Russland bis auf Weiteres einzustellen.
Die Liste der westlichen Konzerne, die sich als Reaktion auf den Ukraine-Krieg aus Russland zurückziehen oder den Vertrieb einstellen, wird immer länger. Dabei sind jedoch nicht alle gleichermaßen konsequent. Adidas beispielsweise verkauft weiterhin über seine lokalen Geschäfte und seine Webseite, wie das Analysehaus Jefferies vor wenigen Tagen schrieb. Darüber hinaus gibt es aber auch namhafte Unternehmen, die ihre Zelte trotz der aktuellen Lage gar nicht abbrechen wollen.
Wie eine "Handelsblatt"-Umfrage zeigt, gehören dazu das Handelsunternehmen Metro, der Persil-Hersteller Henkel und der Pharma- und Chemiekonzern Bayer. Metro-Chef Steffen Greubel rechtfertigt seine Entscheidung in einem Mitarbeiterschreiben mit der "Verantwortung für unsere russischen Kollegen". Die Einstellung des Geschäftsbetriebs in Russland hätte "erhebliche Auswirkungen" auf die Arbeitsplätze von 10.000 Menschen und das Geschäft von 2,5 Millionen Betrieben. Den Angriff auf die Ukraine verurteilt er zwar, er betont aber: "Wir versorgen die Bevölkerung mit Lebensmitteln."
Richtig ist aber auch: Metro ist in Russland deutlich profitabler als im Heimatmarkt. Auch Henkel, mit elf Standorten und 2500 Beschäftigten, will an seinem wichtigen Geschäft in Russland festhalten. Auch hier heißt es zur Begründung: Man fühle sich den russischen Kollegen gegenüber verpflichtet. Zudem seien die produzierten Reinigungs- und Hygieneartikel für die russische Bevölkerung von großer Bedeutung.
Bayer pocht ebenfalls auf das Verantwortungsgefühl für die Menschen vor Ort. Das Unternehmen beschäftigt 1800 Mitarbeiter in Russland und erwirtschaftet dort zwei Prozent seines Umsatzes: "Dieser sinnlose Krieg fordert bereits sehr viele Menschenleben. Wir dürfen die Zahl nicht noch weiter erhöhen, indem wir den Menschen lebenswichtige Produkte vorenthalten", zitiert das "Handelsblatt" einen Unternehmenssprecher.
Exit oder nicht: Alles hat seinen Preis
Die Geschäftstätigkeit im Land aufrechtzuerhalten, rettet mutmaßlich vor dem Verlust des Geschäftsbetriebs. Umsonst ist diese Entscheidung aber nicht. Exit aus Russland oder nicht - beides hat seinen Preis. Wer bleibt, bekommt die westlichen Sanktionen und die Kapitalkontrollen im Land zu spüren: Westliche Firmen in Russland dürfen nicht mit Kunden und Lieferanten zusammenarbeiten, die von den Sanktionen betroffen sind. Außerdem müssen sie rückwirkend zum Jahresbeginn 80 Prozent ihrer Exporterlöse in Rubel umtauschen.
Unternehmen, die es vorziehen, Russland zu verlassen, müssen sich dagegen gleich auf einen Komplettausfall gefasst machen. Denn sie riskieren ein "beschleunigtes Insolvenzverfahren" und damit enteignet zu werden. Der Ölriese BP beispielsweise muss 25 Milliarden Dollar abschreiben. Kleine deutsche Unternehmen kommen noch vergleichsweise glimpflich davon. Je kleiner die Unternehmen, desto billiger ist der Abschied.
Nicht nur für große Unternehmen, sondern auch die, die viel in Russland investiert haben, wie der Landmaschinenhersteller Claas - der in den vergangenen fünf Jahren die Produktion mit Mähdreschern in seinem Standort in Krasnodar vervierfacht hat - , scheint es vielleicht attraktiver, im Land zu bleiben. Eine Gewähr, am Ende nicht doch enteignet zu werden, gibt es aber nicht.
Alle, auch die Unternehmen, die ihre Geschäfte zwischenzeitlich einem russischen Treuhänder übergeben, um nach dem Krieg wiederzukommen, hängen von Putins Wohlwollen ab und sind daher keinesfalls vor einem Komplettausfall gefeit. Das muss allen klar sein.
Quelle: ntv.de, ddi