Wirtschaft

Desaster in zwei Bänden Das steht im BER-Abschlussbericht

Das Deckblatt vom Sondervotum von Martin Delius, Chef des Untersuchungsausschusses.

Das Deckblatt vom Sondervotum von Martin Delius, Chef des Untersuchungsausschusses.

Ganze 1269 Seiten braucht der Untersuchungsausschuss, um das Chaos am BER abzubilden. CDU und SPD sprechen von "Verantwortungsvakuum". Der Ausschussvorsitzende Delius glaubt: Die Parteien wollen die Verantwortlichen nur decken.

Das ganze BER-Desaster auf Basis von 70 Zeugenaussagen: Vier Jahre hat der Untersuchungsausschuss dafür gebraucht. Auf 1269 Seiten, in zwei schweren Bänden, hat das Gremium alles zusammengetragen. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat das Werk mit einiger Verspätung veröffentlicht. Im Netz kann nun jeder im Detail nachlesen, wie das geteilte Urteil des Gremiums ausfällt.

Laut "Tagesspiegel", dem das Dokument vorab vorlag, sticht im Bericht vor allem ein Verdacht heraus: Der langjährige frühere Flughafenmanager Rainer Schwarz könnte den Untersuchungsausschuss - und davor das Landgericht Berlin - im Prozess um seine Kündigung belogen haben. Klaus Wowereit, der frühere Aufsichtsratsvorsitzende und Ex-Bürgermeister von Berlin, komme dagegen wie der gesamte restliche Aufsichtsrat glimpflich davon. Das gilt zumindest für die 578 Seiten des Abschlussberichts, die gemeinsam von den Koalitionären SPD und CDU geschrieben wurden. 

Die Grünen und die Linken steuerten ihr eigenes Urteil zum Bericht bei, es handelt sich um sogenannte Sondervoten. Die Grund hierfür lieferten sie bereits Anfang des Monats, als der Bericht offiziell abgeschlossen wurde: Ihrer Ansicht nach ist die Darstellung der Koalitionäre geschönt.

Was hat Rainer Schwarz Wowereit gesagt?

Der brisante Hinweis auf eine mögliche Falschaussage von Rainer Schwarz findet sich laut "Tagesspiegel" im Mehrheitsbericht, konkret in einem Schreiben der am Probebetrieb beteiligten Unternehmensberatung McKinsey. Diese will am 15. März 2012 Flughafenchef Schwarz vor der gefährdeten BER-Eröffnung gewarnt haben. 

Wörtlich heißt es auf Seite 290 des Abschlussberichts: "Die Aussage des Zeugen Prof. Dr. Rainer Schwarz, er habe den Aufsichtsratsvorsitzenden über das Schreiben von McKinsey unterrichtet, steht in offenem Widerspruch zur Aussage des Zeugen Wowereit." Abgeblasen wurde die Eröffnung am 8. Mai 2012. Wowereit hatte wie alle anderen Verantwortlichen erklärt, er sei davon überrascht worden.

Warum Schwarz später im Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2012 dazu keine Angaben gemacht hat, ob er "die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden bewusst verschwiegen oder vor dem Untersuchungsausschuss ebenso wie vor dem Landgericht Berlin wahrheitswidrig behauptet hat", ließ sich im Rahmen des Abschlussberichts offenbar nicht klären. "Eine Konfrontation des Zeugen Wowereit mit der Aussage des Zeugen Prof. Dr. Schwarz (sei) nicht mehr erfolgt", heißt es dazu im Bericht.

In ihrer "zusammenfassenden Bewertung" kommen CDU und SPD zum Schluss, dass es Versäumnisse bei den früheren Flughafenmanagern Rainer Schwarz und Manfred Körtgen gegeben habe. Jedoch könne keine Person klar verantwortlich gemacht werden. Ursachen der Terminverschiebungen und Bauprobleme seien vor allem die vielen Planungsänderungen, ein "Verantwortungsvakuum" und ein "kollektiver Wirklichkeitsverlust".

Die Sondervoten: Regressforderungen und Kritik an Mehdorn 

Den Grünen, dem Ausschussvorsitzenden Martin Delius und den Linken gingen diese Schlussfolgerungen der Koalition nicht weit genug. Deshalb fordern die Linken in ihrem Votum, die früheren Manager und Aufsichtsräte in Regress für das Milliardendesaster zu nehmen. In ihren Empfehlungen auf Seite 111 von Band II, der die Sondervoten beinhaltet, heißt es wörtlich: "Das Land Berlin sollte eine Haftungsprüfung für noch nicht verjährte Sachverhalte und Verfehlungen der Geschäftsführer Schwarz und Körtgen vornehmen und die Ergebnisse dem Parlament zur Kenntnis geben. Insbesondere kollektive Gesamtverantwortung der Geschäftsführer sollte überprüft werden." Wowereit wird zwar in seiner Rolle kritisiert, bleibt aber ansonsten verschont.

Die Grünen schließen sich der Linken-Kritik an. Auch sie fordern, die frühere Geschäftsführung in Regress zu nehmen und den Rechnungshof einzuschalten. Auf Seite 211 von Band II unter "Empfehlungen für das BER-Projekt" heißt es, "Haftungsfrage prüfen: Für mögliche Fehlentscheidungen der Vergangenheit, insbesondere das Krisenmanagement von 2012, die Bewilligung von Beschleunigungsmitteln, als es bereits zu spät war, und die Festlegung unrealistischer Eröffnungstermine des Flughafens, muss erneut eine mögliche Haftung der verantwortlichen Geschäftsführer und Aufsichtsräte geprüft werden."

Am härtesten fällt das Urteil des früheren Piraten Martin Delius aus, der Vorsitzender des Untersuchungsausschusses war. Seinem 300-seitigen Urteil ist ein Deckblatt mit dem Bild der Airporthalle zu vorangestellt, Titel: "1462 Days later". Erst in diesem Teil wird laut "Tagesspiegel" auch mit Kritik am Aufsichtsrat und Ex-Flughafenchef Hartmut Mehdorn nicht gespart. Im Dokument selbst liest sich das so: "Das von Hartmut Mehdorn im Verbund mit der Unternehmensberatung Roland Berger ins Leben gerufene Projekt Sprint erweist sich in der Rückschau als wenig erfolgreich. Dokumentiert ist, dass selbst im Aufsichtsrat und seinen Ausschüssen nicht vollständig nachvollzogen werden konnte, was mit diesem Projekt letztlich bezweckt werden sollte."

Besonders hart geht Delius mit SPD und CDU, die die "offizielle Lesart" von Wowereit und Flughafengesellschaft in dem Bericht verfestigen würden, ins Gericht. "Diese Entscheidung der Koalition ist aus zweierlei Sicht skandalös: Zum einen nimmt sie Einfluss auf den Inhalt eines oppositionellen Votums, sie zensiert dessen Inhalt und nimmt dadurch Einfluss auf einen Bereich, der ihr vor dem Hintergrund demokratietheoretischer und parlamentarischer Überlegungen nicht zusteht.  Zum anderen ist es ein mehr als deutlicher Beleg dafür, dass es den Vertretern von SPD – Ole Kreins, Frank Zimmermann und Renate Harant – und denen der CDU – Stefan Evers und Oliver Friederici – im Untersuchungsausschuss nicht um Aufklärung des BER-Debakels ging, sondern darum, die Verantwortlichen zu decken. Dass diese Koalitionsvertreter dabei auch noch in die Rechte der Opposition eingreifen, ist ein Armutszeugnis sondergleichen.“

Quelle: ntv.de, ddi

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