Seit 2011 schwächelt die Wirtschaft Deutsche in Tunesien verlieren Zuversicht
29.11.2016, 11:03 Uhr
Tunesische Mitarbeiterinnen fertigen im Werk des deutschen Autozulieferers Dräxlmaier einen Fahrzeugkabelbaum.
(Foto: dpa)
Tunesiens Wirtschaft schwächelt seit den Umbrüchen im Jahr 2011. Mit einer großen Wirtschaftskonferenz will die Regierung jetzt Investoren ins Land locken. Für Deutschland ist Tunesien ein wichtiger Handelspartner - aber die Skepsis wächst.
Deutsche Luxushemden werden am südlichen Rand des Mittelmeeres zusammengenäht, nach deutschen Qualitätszertifikaten entstehen in Tunesien Schalter für Autos und auch der Steiff-Teddy hat neben dem berühmten goldenen Knopf die Rufe tunesischer Muezzins im Ohr. Tunesien ist für Deutschland nach Angaben der deutschen Außenhandelskammer der wichtigste Partner im Maghreb, ein "Tor zu Afrika mit dem Potenzial, sich als Hub für Afrika weiterzuentwickeln", wie Tunesiens AHK-Geschäftsführer Martin Henkelmann sagt.
Trotz schwächelnder Wirtschaft, Streiks und unsicherer Lage sind deutsche Unternehmen dem Ursprungsland des Arabischen Frühlings in den vergangenen Jahren treu geblieben. Mittlerweile blicken sie aber mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. "Wir müssen durchhalten", sagt Fadhel Belaiba, der tunesische Geschäftsführer des Verpackungsmaschinenbauers Harro Höfliger, und spricht negative Erfahrungen an, die immer mehr deutsche Unternehmen in Tunesien machen: Zollabwicklungen dauern lange, die Bürokratie bremst und ist aufwendig. Dennoch hat sich das Unternehmen vor zwei Jahren entschieden, eine neue Filiale in Tunesien zu gründen. "Die Pharmabranche im Nahen Osten und in Nordafrika boomt", sagt Belaiba. "Wir wollten näher an unseren Kunden sein." Hinzu kämen hervorragend ausgebildete junge Ingenieure. Viele Führungskräfte hätten in Deutschland studiert und sprächen daher auch ausgezeichnet deutsch.
Rund 250 deutsche Unternehmen gibt es derzeit nach Angaben der AHK in Tunesien. Sie beschäftigen rund 55.000 Mitarbeiter. Im Gegensatz zu Firmen aus anderen Ländern wie Italien oder Spanien verließen nur einzelne in den vergangenen Jahren das Land. Fast alle deutschen Firmen schätzen laut einer aktuellen Umfrage der AHK die geografische Nähe zu Europa. Hinzu kämen Steuervorteile und ein gutes Bildungsniveau. Allerdings kritisieren viele auch soziale und politische Unsicherheit und die ausufernde Bürokratie. Im vergangenen Jahr wurde das Land von drei schweren Anschlägen erschüttert. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo gestreikt wird.
Viele Unternehmer verlieren Optimismus
Dennoch könne man erfolgreich sein, wenn man sich den Gegebenheiten im Land anpasse, sagt der tunesische Geschäftsführer des Luxus-Textilherstellers Van Laack, Ghazi El Biche. "Nach der Revolution von 2011 mussten wir unsere Führungskräfte neu ausbilden." Heute sei der Umgangston nicht mehr so rau wie früher zu Zeiten des Diktators Ben Ali. Seit mehr als 40 Jahren produziert das Unternehmen aus Mönchengladbach in Tunesien und beschäftigt dort 850 Mitarbeiter. Gerade bei der hohen Zahl arbeitsloser Akademiker gebe es noch großes Potenzial - wenn die Unternehmen selbst in die Ausbildung der Fachkräfte investierten. Aber nicht alle deutschen Unternehmen sind optimistisch. Nur rund ein Drittel rechnet in diesem Jahr mit steigenden Umsätzen: Der niedrigste Wert seit 2009, wie die AHK feststellte. Gut die Hälfte der deutschen Firmen plant derzeit keine Investitionen in Tunesien.
Dabei will die tunesische Regierung genau das forcieren und lädt zur Investorenkonferenz "Tunesien 2020" ein. Internationale Investoren sollen ins Land gelockt werden, um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Denn das Wirtschaftswachstum betrug im vergangenen Jahr laut Weltbank nur 0,8 Prozent. Nach Regierungsangaben sollen bei der Konferenz Investitionsvorhaben in Höhe von rund 27 Milliarden Euro vorgestellt werden. Während Frankreichs Delegation von Premierminister Manuel Valls angeführt wird, schickt Deutschland Ex-Bundespräsident Christian Wulff.
Die Hoffnungen in das Ursprungsland des Arabischen Frühlings sind groß. Als einziges Land der Umbrüche hat Tunesien den Weg zu einer Demokratie geschafft, ohne in Chaos oder Bürgerkrieg zu versinken. Während der Revolutionsphase bewachten Mitarbeiter des Autozulieferers Marquardt freiwillig Tag und Nacht das Werk aus Sorge vor gewaltsamen Übergriffen. Tunesien galt nach der Revolution bei der Germany Trade and Invest, der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaft, als einer der Top-Exportmärkte. Diese Euphorie ist mittlerweile gedämpft.
"Tunesien steht wirtschaftlich vor großen Herausforderungen", sagt Tunesiens AHK-Geschäftsführer Henkelmann. "Reformen müssen angestoßen werden, um die Wirtschaft zu dynamisieren." Die Regierung habe dies erkannt und wichtige Reformen, wie etwa ein Gesetz zu erneuerbaren Energien oder ein neues Investitionsgesetz, bereits beschlossen. Wirtschaftsexperten und Beobachter fragen sich jedoch, ob das Land diese Reformen auch schnell genug umsetzen kann, denn die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Die Gewerkschaften drohen für Anfang Dezember schon wieder mit einem Generalstreik.
Quelle: ntv.de, Simon Kremer, dpa