Ist Hamstern wirklich sinnvoll? Die Mär vom knappen Pflanzenöl
16.03.2022, 11:19 Uhr
Ein Bild, das sich aktuell vielen Supermarktkunden bietet.
(Foto: picture alliance /)
Während die einen an den Tankstellen über die hohen Preise für Diesel und Benzin diskutieren, stehen die anderen in den Supermärkten vor einem weiteren Öl-Problem. Vielerorts ist Speiseöl jetzt ausverkauft. Doch wie knapp ist es wirklich und bringt Hamstern überhaupt etwas?
So manch einer hat in den letzten Tagen bereits mit einer Mischung aus Staunen und Frustration vor dem Supermarktregal mit dem Speiseöl gestanden. Dort, wo sich normalerweise Sonnenblumen-, Raps- und Olivenöl aneinanderreihen, herrscht nun oft nur noch gähnende Leere. Grund dafür ist die Annahme vieler Verbraucher, dass aufgrund des Kriegs in der Ukraine das goldfarbene Flüssiggut bald ausgehen könnte. Noch ist es allerdings nicht so weit. Und ist die Sorge überhaupt berechtigt?
Wird Speiseöl jetzt knapp?
Die Ukraine zählt tatsächlich zu den wichtigsten Exportländern für Sonnenblumenöl. "Das Land steht für 51 Prozent der auf dem Weltmarkt zur Verfügung stehenden Menge und gehört für Deutschland zu den wichtigsten Importländern", erklärt der Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 27 Prozent kommen zudem aus Russland. Insgesamt sind die beiden in den Krieg involvierten Länder also für gut 80 Prozent des Sonnenblumenöls auf dem Weltmarkt verantwortlich.
Aufgrund der aktuellen Lage vor Ort geht der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID) davon aus, dass der Vorrat nur noch für wenige Wochen reichen wird. Aktuell aber sind die Lager noch voll. "Ein Mangel ist auf breiter Fläche nicht spürbar", so der Geschäftsführer des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA), Antonin Finkelnburg, im RBB.
Bringt das Hamstern von Speiseöl etwas?
Es ist vor allem unsolidarisch und es setzt die Lieferketten unter Druck, so der BVLH weiter. Ein Phänomen, das man schon zu Anfang der Corona-Krise beim Toilettenpapier beobachten konnte. Die Regale sind jetzt nur leer, weil die Händler nicht mit der Lieferung nachkommen. "Es ist eine Logistikfrage, wenn plötzlich bestimmte Produkte verstärkt abgekauft werden", so Nils Busch-Petersen, Präsident des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, im Gespräch mit dem RBB. Es wäre also ratsam, sich seinen Mitmenschen gegenüber fair zu verhalten und Sonnenblumenöl nur in haushaltsüblichen Mengen einzukaufen.
Ist der Preis für Speiseöl bereits gestiegen?
In den Supermärkten, die derzeit überhaupt noch Speiseöl anbieten können, hat sich der Preis pro Liter bereits erhöht. Nach Recherchen des Onlinemagazins "Chip" kostet die Flasche derzeit mindestens 1,80 Euro. Noch im vergangenen Jahr war günstiges Öl schon für unter einem Euro zu bekommen. Ist Sonnenblumenöl irgendwann dann wirklich ausverkauft, könnten aufgrund der gesteigerten Nachfrage die Preise für andere Speiseöle natürlich ebenfalls angehoben werden.
Zudem hat sich inzwischen bereits ein Schwarzmarkt für Sonnenblumenöl entwickelt, auf dem noch mal ganz andere Preise aufgerufen werden. Wirft man einen Blick auf Verkaufsplattformen wie Ebay Kleinanzeigen, wird dort die Flasche bereits zu Preisen zwischen 3 und 30 Euro angeboten.
Wird Speiseöl jetzt rationiert?
Einige Unternehmen haben auf das Verhalten ihrer Kunden bereits reagiert und die Abgabemenge pro Person beschränkt. Bei Metro, Aldi Süd, Aldi Nord, Lidl, Rewe und Co. dürfen nur noch maximal zwei Flaschen Pflanzenöl in den Einkaufswagen wandern, eben die berühmte "haushaltsübliche Menge".
Welche Alternativen gibt es?
Betroffen von drohenden Engpässen ist Sonnenblumenöl. Keine Einschränkungen sind dagegen bei Raps- und Olivenöl zu erwarten, da diese eben nicht aus der Ukraine oder Russland kommen, sondern aus Ländern wie Kanada und Indien beziehungsweise aus dem Mittelmeerraum. Und so können Verbraucher einfach auf andere Speiseöle umsteigen, sagt auch OVID-Geschäftsführer Gerhard Brankatschk. Weitere Alternativen zum Kochen und Backen sind Butter- und Schweineschmalz oder die vegane Variante Kokosfett, die allesamt ebenfalls höhere Temperaturen vertragen. Zum Braten eignen sich hingegen dann eher Margarine und Butter.
Eignet sich Pflanzenöl zum Tanken?
Tapfer hält sich das Gerücht, dass nicht wenige Menschen derzeit im Supermarkt zum Pflanzenöl greifen, um aufgrund der hohen Spritpreise stattdessen damit ihren Wagen zu betanken. Keine gute Idee, findet der ADAC. Zwar ist das Öl aus dem Supermarkt pro Liter günstiger, doch eine Alternative zu Benzin oder Diesel ist es nicht. Stattdessen könnte es nicht nur zu unmittelbaren Startschwierigkeiten führen, auch langfristig ist es für den Motor sowie das Kraftstoffsystem eher schädlich. Was viele offenbar auch nicht wissen: Tankt man sein Auto mit Pflanzenöl und nutzt es somit als Kraftstoff, wird Energiesteuer fällig. Führt man diese nicht ab, ist das eine strafbare Handlung.
Was wird sonst noch gehamstert?
Wie schon zu Beginn der Pandemie werden neben Speiseöl jetzt auch wieder vermehrt Toilettenpapier, Mehl, Hefe und Weizenprodukte wie Nudeln und Brot auf Vorrat gekauft. Auch hier gilt: Dieses Verhalten ist vor allem den Mitmenschen gegenüber unsolidarisch. Dass die Regale leer sind, liegt derzeit schlicht daran, dass sie Filialen mit der Lieferung nicht schnell genug hinterherkommen, wenn ihre Kunden die Waren plötzlich palettenweise nach Hause tragen. Und so ist auch hier eine Abgabe nur in "haushaltsüblichen Mengen" die Folge.
Allerdings kommen tatsächlich auch bei Nudeln, Marmelade und Senf Grundrohstoffe zu deren Produktion - wie Weizen und Senfsaat - aus der Ukraine. Auch auf die Fleisch- und Milchproduktion in Europa könnte der Krieg Auswirkungen haben, denn mehr als zwei Drittel des in Europa erzeugten Sojas stammen aus Russland und der Ukraine, und das ist ein wichtiger Rohstoff für Futtermittelproduktion für deutsche Rinder, Schweine und Geflügel.
Warum hamstern wir überhaupt?
Der übermäßige Einkauf von Produkten, die knapp zu werden drohen, ist psychologisch betrachtet eine Art Übersprungshandlung. Mit Aktionismus versuchen wir, in einer Ausnahmesituation gegen die Ohnmacht gegenüber der Bedrohung anzukämpfen.
In der Sozialpsychologie und der Verhaltensökonomie ist das Phänomen als "Tragik der Allmende" bekannt. Dabei handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches und evolutionstheoretisches Modell, nach dem frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen nicht effizient genutzt werden und durch Übernutzung bedroht sind, was auch die Nutzer selbst bedroht.
Quelle: ntv.de, nan