"Go East" oder "Go Opel" Ford muss sich in Europa neu erfinden
26.02.2023, 12:00 Uhr Artikel anhören
Ford Focus ST: Sportlich, aber mit Verbrenner.
(Foto: Ford)
Ford ist in Köln eine Institution. Zig Millionen Motoren liefen dort bislang vom Band - Verbrenner wohlgemerkt. Doch die haben keine Zukunft mehr beim US-Konzern. Und so wird radikal gekürzt. Nicht das erste Mal. Erinnerungen an Opel Rüsselsheim werden wach, Managementfehler wiederholt.
Bei der deutschen Automobilindustrie schreitet die Transformation beim Antrieb rasch voran: raus mit Benziner und Diesel, rein in die Batterie-Elektromobilität. Manchmal sogar schneller, als die Kunden das wünschen. So oder so gilt aber: Der Verbrenner, ein Jahrhundert lang Herz- und Meisterstück deutscher Automobilbaukunst, ist ein Auslaufmodell. Ingenieure für die Entwicklung werden nicht mehr gebraucht, auch Beschäftigte für Bau und Wartung von Motoren, Getrieben oder Auspuffanlagen nicht mehr. Am 14. Februar hat das EU-Parlament das Verbrenner-Aus in Europa nochmals bekräftigt: Ab 2035 soll bei Neuwagen Schluss sein. Der Altbestand darf weiterfahren. Ford in Köln hat zufällig am gleichen Tag beim Ausstieg aus der bewährten Verbrenner-Technologie ein spektakuläres Zeichen gesetzt.
Wie von Experten lange vorhergesagt, aber von der Politik beharrlich ignoriert, führt der klimapolitisch gewollte, aber stark ideologisch eingefärbte Strukturwandel in der Mobilitätstechnologie zu einem deutlichen Verlust an Arbeitsplätzen in der deutschen Schlüsselindustrie. Hersteller wie Zulieferer haben sich darauf eingestellt und sind dabei, ihre Verbrennertechnologie-Kapazitäten rund um den Benziner und Diesel entweder in den Osten Europas oder nach China auszulagern - oder ganz aufzugeben.
Aufseiten namhafter Zulieferer wie Bosch oder Mahle fand zum Thema Verlagerung vor Kurzem eine Betriebsräte-Konferenz in Esslingen mit dem Titel "Go East?" statt. Und aufseiten der deutschen Hersteller hat Ford, zeitgleich mit dem Beschluss der EU-Parlamentarier, am 14. Februar mit einem Paukenschlag den Anfang gemacht.
Zeitenwende bei Ford
Seit mehr als 60 Jahren produziert Ford in Köln Verbrennungsmotoren. Über 28 Millionen liefen dort bisher vom Band - unter anderem auch der Motor für den legendären Aston Martin von James Bond. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Geschäftsführung gab bekannt, dass Ford auf dem Weg in die Elektromobilität in den kommenden Jahren 3800 Arbeitsplätze in Europa abbauen wird. Davon entfällt mit 2300 Stellen mehr als die Hälfte auf die Europazentrale in Köln und das Forschungszentrum in Aachen. Ford richte sich damit auf ein "kleineres, fokussierteres und zunehmend elektrisches Produktportfolio aus", wie Ford-Deutschland-Chef Martin Sander sagte.
Vom Abbau ist vor allem die Entwicklung betroffen. Anders als bei früheren Rationalisierungsrunden, wo es vor allem um Kostensenkung und die Arbeitsplätze in der Fertigung ging, sind diesmal neben der Verwaltung vor allem Jobs in den Entwicklungsabteilungen am Stammsitz Köln nebst dem kleinen Forschungszentrum in Aachen betroffen. Einschnitte in der Entwicklung sind neu. Damit beginnt bei dem Autobauer eine neue Zeitrechnung. Ford stellt sich in Europa substanziell neu auf, da bleibt in Köln "kein Ventil auf dem anderen".
Jahrzehntelang markenprägend für Generationen
Ausgerechnet in der Motor- und Produktentwicklung, generell bei jedem Autohersteller Keimzelle für Innovation und Garant für Wachstum sowie Ertrag, soll die Beschäftigungszahl halbiert werden. Von den derzeit noch 3600 Ingenieur-Stellen werden 1700 gestrichen. Die für das Europageschäft wichtige Produktentwicklung wird also etwa um die Hälfte schrumpfen. Dazu sagte Ford-Chef Sander: "Wir brauchen eine schlankere Kostenstruktur. Kein Kunde wird uns mehr bezahlen, nur weil wir keine effiziente Entwicklungsorganisation haben."
Für den US-Autokonzern Ford bedeutet dieser Schritt eine Zäsur. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise hatte sich der amerikanische Autobauer 1930 in Köln-Niehl angesiedelt und begann ein Jahr später dort Autos zu bauen. Ford hat - ähnlich wie der GM-Konzern mit der 1929 übernommen Tochter Opel - den Wiederaufbau von Nachkriegs-Deutschland entscheidend mitgeprägt. Ford Taunus, Capri und Fiesta wurden markenprägend für Generationen. Ford hat dabei stark auf deutsche Ingenieurskunst gesetzt und war Lernstätte für viele Generationen von Auto-Ingenieuren, die dann bei den restlichen deutschen Autoherstellern den Aufbau voranbrachten.
Ein Offenbarungseid
Mehr als 90 Jahre später gib Ford nun einschneidende Strukturveränderungen in seinem Europageschäft bekannt. Ein Offenbarungseid! Denn entgegen jeglicher amerikanischen Mentalität stellt sich der US-Autobauer in Europa dauerhaft auf Schrumpfung ein, als Folge des Ausstiegs aus der Verbrennertechnologie.
Der Schrumpfungsprozess ist bei Ford nicht neu, sondern setzte schon 2020 ein, als die Belegschaft in Köln von 17.000 auf 14.000 eingedampft wurde. Im Herbst 2021 folgte dann der nächste Streich, wurde die komplette Schließung des Werkes in Saarlouis bis zum Jahre 2025 bekannt gegeben. Dort wird gegenwärtig noch das Kompaktmodell Focus montiert.
Ford hat sich 1970 im strukturschwachen Saarland angesiedelt. In seinem Werk Saarlouis, das laut Werksangaben zu den effizientesten im ganzen Ford-Konzern gehörte, wurden seither über 15 Millionen Autos gebaut und von dort in 80 Länder exportiert. 2025 soll dort der letzte Focus vom Band laufen. Neubestellungen werden nicht mehr entgegengenommen. Ein Nachfolge-Modell für den Focus gibt es nicht.
Die Produktion von Elektroautos war als Ersatz im Gespräch, wurde aber von der Konzern-Mutter verworfen. E-Autos werden künftig im spanischen Valencia gebaut. Rund 5000 Beschäftigte bei Ford Saarlouis direkt und etwa 1500 in den umliegenden Zulieferunternehmen verlieren ihren Arbeitsplatz. Von der Werkschließung betroffen sind inklusive der Familien rund 20.000 Menschen. Für das kleine Saarland eine Arbeitsmarkt-Katastrophe.
Opel lässt grüßen
Ford schrumpft also nicht nur die eigene Belegschaft, sondern auch das Modellportfolio. Das bedeutet, man glaubt nicht mehr, aus eigener Kraft an künftiges Marktwachstum anschließen zu können. Erinnerungen an den Schrumpfungsprozess bei Opel Rüsselsheim werden wach. Auch hier ging dem Ende die Schließung des Opel-Werkes in Bochum voraus, davor und danach quälende Jahre der Kosten- und Lohnsenkung und Belegschaftsausdünnung. Alles ohne Wirkung. Am Ende dann der komplette Rückzug von GM aus Europa und der Verkauf von Opel 2017 an den späteren Stellantis-Konzern. Branchenkenner schließen nicht aus, dass Ford Köln ein ähnliches Schicksal droht.
Binnen weniger Jahre wird sich in Deutschland die Ford-Belegschaft von heute noch 19.000 mehr als halbiert haben. Spiegelt diese Entwicklung anfangs gravierende Managementfehler des US-Konzerns, so überwiegen jetzt die Einschnitte wegen des Übergangs zur Elektromobilität. Der Wandel erfordert erheblich weniger personelle Kapazitäten in Entwicklung und Fertigung. Der Bau von Elektroautos ist weniger komplex als der von Verbrennern, die Wertschöpfung beträgt nur noch 60 Prozent eines Verbrenners.
Hinzu kommt, dass Ford seine Gewinnziele 2022 weltweit erheblich verfehlt hat und sich auch in den USA einer Radikalkur unterzieht: Der Konzern kündigte "sehr aggressive" Maßnahmen an. Hohe staatliche Subventionen der Regierung Joe Biden für Investitionen in die Elektromobilität auf amerikanischem Boden sind dabei sicher hilfreich.
Quelle: ntv.de