Wirtschaft

Peking treibt - noch - die Kurse Ist China wichtiger für den DAX als Deutschland?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Chinas Konsumenten sind verunsichert und sparen. Das bekommen auch die DAX-Konzerne zu spüren.

Chinas Konsumenten sind verunsichert und sparen. Das bekommen auch die DAX-Konzerne zu spüren.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Von der deutschen Konjunktur kommen seit Längerem hauptsächlich schlechte bis katastrophale Nachrichten. Den Leitindex der hiesigen Börse beeinflusst das wenig. Jüngst waren es Meldungen über chinesische Konjunkturmaßnahmen, die den DAX auf ein neues Rekordhoch trieben. Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran vom Vermögensverwalter Flossbach von Storch erklärt im Interview mit ntv.de, warum China anders als Deutschland ein "Swingfaktor" für die Wirtschaft ist. Große Hoffnung in das jüngst von Peking verkündete Konjunkturpaket setzt der China-Kenner allerdings nicht.

ntv.de: In der Börsenberichterstattung hat man zuweilen den Eindruck, China ist als Volkswirtschaft nicht nur besonders wichtig für Deutschland. Die Nachrichten aus China, wie jüngst vom Konjunkturpaket der Volksrepublik, scheinen sogar einflussreicher als die deutsche Konjunkturentwicklung für Unternehmen im deutschen Leitindex DAX. Stimmt das so?

Philipp Vorndran: China ist der "Swingfaktor" für die Weltkonjunktur, nicht nur für die deutsche. Es wird in Deutschland aber stärker beäugt als anderswo, weil unsere Wirtschaft extrem exportabhängig ist. Viele deutsche Unternehmen, speziell die Auto- und Maschinenbauer, haben sich stark auf China als Absatzmarkt konzentriert. Es trifft sie also umso härter, wenn Chinas Wirtschaft schwächelt – und das nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Quartalen. China hat strukturelle Probleme: die Jugendarbeitslosigkeit, der Immobilienmarkt, die zunehmend planwirtschaftliche wirtschaftliche Organisation. All diese Themen, dazu die demografische Entwicklung, bremsen die Wachstumsdynamik. Trotz allem hatten bislang weder Regierung noch Notenbank die Wirtschaft stimuliert. Das jüngst verkündete Paket, obwohl recht klein, hat deshalb aufhorchen lassen: Aha, vielleicht denkt die Führung in Peking jetzt strategischer, makro-orientierter. Das ist sicher der Grund für den Hüpfer im DAX gewesen. Ob das langfristig helfen wird? Vermutlich nicht. Das Paket reicht hinten und vorne nicht aus, um die strukturellen Probleme des Landes zu lösen.

Die jüngsten Konjunkturmaßnahmen der deutschen Regierung schienen dagegen überhaupt keinen Einfluss auf den DAX zu haben. Deutschlands Konjunktur ist kein "Swingfaktor"?

Auch Deutschland hat Probleme, die man kurzfristig mit Geld kaum lösen kann. Selbst wenn wir jetzt 50 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte stecken wollten: Uns würden Arbeitskräfte und Firmen fehlen, die dann damit Eisenbahnlinien, Autobahnen und neue Brücken bauen. Deswegen sind Investoren zurückhaltend, was Effekte von Konjunkturmaßnahmen in Deutschland angeht.

Bei Konjunkturmaßnahmen in China ist das anders?

Das wäre anders, wenn man in China wieder mehr Schwung in den Binnenkonsum brächte. Aber die chinesischen Konsumenten haben im Moment nur ein Thema: Sparen! Weil sie sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen machen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat gigantische Ausmaße erreicht. Selbst von Beamten, deren Jobs immer als besonders sicher galten, fordert die Regierung Lohnsenkungen. Deswegen sitzen die Konsumenten auf ihrem Geld. Und das wiederum sehen wir in der Gewinnentwicklung von Louis Vuitton genauso wie an der von BMW.

Die Beachtung, die Chinas Konjunktur- und Wirtschaftspolitik hierzulande im Vergleich zu deutschen erfährt, beruht demnach nicht allein auf der Größe Chinas als Absatzmarkt, sondern auch darauf, dass dort mehr Bewegung, eine andere Dynamik möglich ist?

Wenn China in der Bevölkerung beim Konsum einen Stimmungswandel hinbekäme, wäre das für die Weltwirtschaft im Allgemeinen und für die deutsche Exportwirtschaft im Besonderen sehr, sehr positiv. Aber die konkreten Maßnahmen, die jetzt verkündet wurden, taugen dazu meiner Meinung nach nicht. Und ich sehe auch keine entsprechenden Konjunkturmaßnahmen kommen. Ich befürchte, wir können uns für die nächsten Jahre und Jahrzehnte von Wachstumsraten von sechs, sieben oder acht Prozent, die wir in China gewohnt waren, verabschieden. Perspektivisch wird es eher zwei bis drei Prozent Wachstum geben. Und das wird auch nicht aus dem Konsum, sondern primär aus dem Export kommen, vor allem von Autos. Speziell für die deutsche Industrie ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung: Einerseits verliert der so wichtige Markt in China an Dynamik, andererseits kommt dieses Exportwachstum aus Bereichen, die auch wir als unsere Exportfelder definiert haben: allen voran der Automobilbau. In den Gewinnwarnungen, die Mercedes und BMW in den letzten Wochen abgegeben haben, spiegelt sich genau das wider.

Angesichts der Bedeutung Chinas für diese Unternehmen und der von Ihnen beschriebenen Entwicklung dort: Sind diese Gewinnwarnungen ein Vorgeschmack, was DAX-Anleger mittelfristig zu erwarten haben?

Für die DAX-Unternehmen sieht es in der Tat nicht gut aus. Aber viel schlimmer ist es für den Mittelstand. DAX-Unternehmen sind in der Regel groß genug, um Produktionsstandorte zu diversifizieren. Mercedes, BMW, Volkswagen - die haben selbstverständlich Produktionsstätten in China, in Europa und auch in den USA. SAP profitiert genauso von Wachstum in Indien wie auf der Arabischen Halbinsel. Das können viele mittelständische deutsche Unternehmen nicht, die eben den Markt Deutschland haben, vielleicht noch Europa. Deswegen ist der DAX mit seinen global ausgerichteten Großunternehmen immer noch die Sonnenseite der deutschen Wirtschaft. Aber es ist logisch: Wenn China, der wichtigste Wachstumsmarkt der vergangenen vier Jahrzehnte, an Dynamik verliert, trifft das auch die DAX-Unternehmen.

Das heißt, die Zeiten, in denen der Wachstumsmarkt China deutschen Unternehmen Traumgewinne und dem DAX Rekorde ermöglichte - trotz Stagnation der heimischen Wirtschaft - die sind vorbei?

Definitiv! Das Leben deutscher Unternehmen in China wird schwieriger. Und es wird auch nicht einfacher durch die nächste US-Präsidentschaftswahl, egal wer gewählt wird: Beide Kandidaten suchen den Handelskonflikt mit China. Wir als Europäer werden uns mittelfristig wohl für die eine oder andere Seite entscheiden, das heißt, einen von beiden Absatzmärkten aufgeben müssen.

Dann wird die Bedeutung Chinas für deutsche Unternehmen ab- und die der USA noch einmal zunehmen?

Mehr zum Thema

Davon bin ich überzeugt. Hoffentlich schaffen wir es, unsere Lieferketten über die USA und China hinaus weiter zu diversifizieren, als wir das bisher getan haben. Das seit rund 20 Jahren auf dem Tisch liegende Handelsabkommen mit dem Wirtschaftsraum Mercosur in Südamerika wäre beispielsweise eine Möglichkeit dazu. Wir Europäer unterzeichnen das aber nicht, weil bei Themen wie Klimaschutz und Arbeitsrecht unsere Standards nicht garantiert werden. Das führt dazu, dass uns die Chinesen auch diesen Markt wegschnappen! Neue Absatzmärkte zu erschließen ist unmöglich, wenn wir nur nach unseren Regeln spielen möchten. Die Alternative wäre, nur noch für Deutschland zu produzieren. Dummerweise hat Deutschland nicht allzu viel Wachstum zu bieten. Unsere Volkswirtschaft hat immer schon vom internationalen Handel gelebt.

Mit Philipp Vorndran sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen