Verzerrung im Wahlkampf Lobbycontrol warnt vor "Warntag" der Arbeitgeber
29.01.2025, 16:44 Uhr Artikel anhören
Mit Kundgebungen in mehreren deutschen Städten haben Wirtschaftsverbände einen Politikwechsel gefordert.
(Foto: picture alliance/dpa)
Über hundert Unternehmen und Verbände fordern am "Wirtschaftswarntag" von der Politik, den Standort für Unternehmen attraktiver zu machen. Die Organisation Lobbycontrol schlägt Alarm: Lobbyakteure bringen sich mit viel Geld in Stellung, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen.
Die Organisation Lobbycontrol hat den von Lobbyverbänden ausgerufenen "Wirtschaftswarntag" heftig kritisiert. Was den Anschein einer Bürgerinitiative habe, sei eine PR-Aktion der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die lediglich ein Lobbyverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie sei, wie Christina Deckwirth von LobbyControl im Gespräch mit ntv sagte.
Dutzende Wirtschaftsverbände machten am heutigen Dienstag mit Kundgebungen in mehreren deutschen Großstädten und regionalen Aktionen auf die angespannte Wirtschaftssituation aufmerksam. Zu ihren zentralen Forderungen gehören eine geringere Steuerbelastung, gedeckelte Sozialabgaben und mehr Flexibilität im Arbeitsrecht.
Bedenklich sei, wie die Lobbycontrol-Aktivistin bei ntv hervorhob, dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft "sehr enge Verbindungen in die Politik hat", beispielsweise zu CDU-Chef Friedrich Merz, der die INSM mitgegründet hat. "Es fließen sehr viele Gelder an die Union. Die INSM hat den Parteitag mitfinanziert und die Arbeitgeberverbände, die hinter der INSM stehen, sind einer der größten Finanziers der deutschen Parteien, wovon vor allem die Unionsparteien profitieren."
"Wir erleben gerade einen erheblichen Einfluss über Parteispenden", so Deckwirth. Millionenbeträge von Superreichen, von finanzstarken Verbänden und von einzelnen Konzernen würden den Wahlkampf "erheblich verzerren". In Deutschland gebe es keinerlei Begrenzungen für Parteispenden. "Wir brauchen dringend einen Parteispendendeckel."
Das Bündnis repräsentiert laut Lobbycontrol keineswegs die Meinung der gesamten Wirtschaft. Vielmehr stünden bei den Forderungen des Bündnisses Einzelinteressen von Konzernen und Arbeitgebern im Vordergrund. Konkret gehe es den Organisatoren um Steuersenkungen und -geschenke für Vermögende, für Konzerne sowie für Superreiche, so die Ökonomin Denkwirth weiter.
"Es wird ein sehr rigides Sparprogramm gefordert, bei dem fraglich ist, wie wirksam es überhaupt ist", gab sie außerdem zu bedenken. Und es gebe erhebliche Zweifel, ob so ein Sparprogramm nicht eher "die fördert, die ohnehin schon gut aufgestellt sind." Auch die Forderung der INSM, die Klimaziele "zu schleifen", sei nicht zielführend, weil die Wirtschaft bereits unter den Folgen der Klimakrise leide. Scheinlösungen würden in der Krise nicht weiterhelfen, so Deckwirth weiter. Es bräuchte vielmehr eine breite demokratische Debatte, wie die Krise zu lösen sei.
DIW-Chef fordert mehr Verantwortung fürs eigene Handeln
DIW-Präsident Marcel Fratzscher äußerte sich ähnlich kritisch: Die Aktion sei "der Versuch einiger Unternehmenslobbys, ihren eigenen Interessen im Bundestagswahlkampf noch mehr Gewicht zu verleihen". Der Aufruf der Unternehmensverbände habe zahlreiche richtige Forderungen, aber auch zentrale Schwächen, so der Ökonom weiter. "Die Unternehmensverbände weigern sich, Verantwortung für das eigene Handeln und die eigenen Fehler zu übernehmen." An keiner Stelle des Aufrufs werde ein Umdenken angemahnt.
Der Ruf der Unternehmenslobbys nach mehr Geld vom Staat sei zwar verständlich. "Sie scheinen dies jedoch auf Kosten der Arbeitnehmer zu fordern." Dabei bräuchten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen und mittleren Einkommen eine finanzielle Entlastung. "Zur Wahrheit gehört auch, dass kein Staat in Europa in den vergangenen fünf Jahren Unternehmen mehr Hilfe zukommen ließ als Deutschland", sagte Fratzscher.
Quelle: ntv.de, ddi