Keine Entwarnung bei Gasmangel Müller: "Wir sind Russland momentan ausgeliefert"
21.07.2022, 12:55 Uhr
Die Gasspeicher müssen, wie hier in Bad Lauchstädt, weiter befüllt werden.
(Foto: dpa)
Seit dem Morgen fließt wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. Doch die Gefahr eines Gasnotstands ist laut Bundesnetzagentur-Chef Müller noch nicht gebannt. Russland könne die Lieferungen nach wie vor einfach drosseln. Auch die Energieversorger geben keine Entwarnung.
Trotz der Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 sieht der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, keine Entwarnung. Wenn in den nächsten Wochen etwa 40 Prozent der Kapazitäten der Pipeline ausgelastet werden, dann wären die schlimmsten Befürchtungen zwar nicht bestätigt, sagte Müller. "Es ist nicht das schlimmste Szenario eingetreten, aber von Entwarnung kann ich noch nicht reden."
Müller gab zu bedenken, dass Russlands Präsident Wladimir Putin unlängst Aussagen gemacht habe, die auf eine Drosselung auf 20 Prozent hindeuten könnten. "Wir sind Russland momentan ausgeliefert, weil sie darüber entscheiden, wie viel Gas Nord Stream 1 an uns weiterleitet." Umso wichtiger seien Einsparungen und der Bezug aus anderen Quellen.
Auch die Energieversorger in Deutschland sehen keinen Anlass zur Entwarnung. "Auf eine dauerhafte und verlässliche Belieferung aus Russland werden wir nicht mehr bauen können", sagte Kerstin Andrae, Vorsitzende des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Das aktuell wieder Gas fließe, könne höchstens zu "vorläufiger Beruhigung" beitragen.
Mit Blick auf den kommenden Winter und die nächsten Jahre müsse weiter alles für den Aufbau alternativer Gasimportstrukturen und den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien getan werden, sagte Andrae weiter. "Es ist gut, dass es eine breite Debatte über das Thema Energiesparen gibt." Gefragt seien hier aber nicht nur die privaten Verbraucher. "Auch in der Industrie sind Einsparpotenziale vorhanden, die gehoben werden können", erklärte Andrae. Wichtig sei außerdem ein europäischer Blick auf das Thema Versorgungssicherheit.
"Putin will Europa spalten"
Auch die Grünen halten einen vollständigen Lieferstopp durch Russland weiter für möglich. "Putin will Europa spalten, wir werden das verhindern", sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek, der "Rheinische Post". Dementsprechend bereite man sich auf alle Szenarien vor - auch auf einen vollständigen Gaslieferstopp.
Dabei habe die Einsparung von Gas in Industrie und Haushalten oberste Priorität. Ziel müsse sein, "die Gasspeicher für den kommenden Winter möglichst stark zu füllen und gleichzeitig die Nachfrage nach Gas kurzfristig um bis zu 20 Prozent zu senken". Um dies gewährleisten zu können, arbeite man mit den europäischen Partnern eng zusammen: "Norwegen und die Niederlande sind kurzfristig bereit, zusätzliches Gas zu liefern, um russisches Gas zu ersetzen", sagte Janecek.
Nach zehntägigen Wartungsarbeiten war der Fluss von russischem Gas am Donnerstagmorgen wieder gestartet worden. Allerdings wird noch längst nicht die komplette Kapazität genutzt, sondern nur etwa 40 Prozent davon. "Auch bei einem Niveau von 40 Prozent müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um gut über den ersten Winter zu kommen", sagte Behördenchef Müller. Zudem müsse man bei den Gasspeicher-Füllständen schon jetzt an den Winter 2023/24 denken.
Prognosen gehen von Durchschnittswinter aus
Bei ihren Prognoseberechnungen geht die Bundesnetzagentur von einem durchschnittlichen Winter 2022/23 aus und davon, dass die neuen Flüssiggas-Terminals an der Nordsee ab Januar 2023 einsatzbereit sind. Wenn aber der Winter kalt werde und die Terminals nicht schnell genug in Betrieb genommen werden, "müsste das durch zusätzliche Einsparungen kompensiert werden, um eine Gasmangellage zu vermeiden beziehungsweise zu niedrige Füllstände im Frühjahr zu vermeiden", so Müller.
Auch wegen des warmen Sommers komme man bei den Gaseinsparungen derzeit voran - Deutschland habe "signifikant Gas eingespart". Aber: "Das Harte ist der Herbst und der Winter", sagte der Behördenchef. "Dann geht es um die realen Verbräuche, dann müssen die Massen eingespart werden."
Quelle: ntv.de, jug/dpa