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EU-Partner sollen mit Gas helfen Wenn Berlin um Solidarität bittet, wird es unangenehm

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Polen importiert schon seit Jahren Flüssiggas, etwa über den Hafen in Świnoujście (Swinemünde).

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

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Schon vor Jahren hat die EU ein Instrument ersonnen, mit dem EU-Staaten einander im Fall eines Lieferausfalls von Energieträgern aushelfen sollen. Deutschland hat das als einer von wenigen EU-Staaten zum Teil umgesetzt. Doch dreht Russland den Gashahn zu, wird das kaum genügen.

Dieser Freitag könnte der Anfang einer Wirtschaftskrise in Europa sein. Bleibt dann der Gashahn der Pipeline Nord Stream 1 weiter geschlossen, wird es eng in Europa - eng mit der Gasversorgung im kommenden Herbst und Winter und noch enger im Jahr darauf, wenn mangels Zufluss über den Sommer 2023 keine Gasspeicher gefüllt werden können. Es ist ein großes Wenn, schließlich deutet einiges darauf, dass Russlands Präsident Wladimir Putin ab Freitag wieder Gas in reduziertem Umfang liefert und Europa dauerhaft im Unklaren lässt, ob und wann ein vollständiger Gaslieferstopp kommt. Vorbereiten darauf muss sich jedes Land der Europäischen Union. Doch als am Mittwoch die EU-Kommission ihren Plan für "erschwingliche, sichere und nachhaltige Energie für Europa" vorstellte, fehlte ein Element: die Solidarität der EU-Länder untereinander.

Im Jahr 2017 beschlossen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union, dass EU-Staaten im Fall eines Lieferausfalls füreinander einstehen sollten. 2018 veröffentlichte die EU-Kommission entsprechende Empfehlungen zur Umsetzung. Die Idee: Bevor in einem Land die Menschen zu frieren beginnen und die Grundversorgung gefährdet ist, soll ein Nachbarland Energie liefern - notfalls auch auf Kosten der eigenen Wirtschaft. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, mit ihren Nachbarn entsprechende Solidaritätsabkommen zu vereinbaren. Darin sollten Details über Bedingungen, Kosten und Lieferwege festgehalten werden, um im Fall der akuten Notlage nicht langwierig verhandeln oder umbauen zu müssen.

Nur sechs Abkommen geschlossen

Die EU hat mit dieser Idee also einen präventiven Ansatz gewählt und ein Instrument erdacht, das vor Eintreten einer Krise in den Werkzeugschrank gelangt. Das Problem: Die meisten EU-Staaten kennen das Werkzeug bisher nur aus dem Brüsseler Werbeprospekt, haben es aber innerhalb der fast fünf Jahre bis zum Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht erworben. Sechs Solidaritätsabkommen zählt die Website der EU-Kommission auf: Deutschland-Dänemark, Deutschland-Österreich, Estland-Lettland, Litauen-Lettland, Finnland-Estland und Italien-Slowenien. Am 11. Juni weilte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Tschechien, um ein weiteres Abkommen zu schließen.

Es ist kein Zufall, dass das besonders von russischem Gas abhängige Deutschland mit dann drei Solidaritätsverträgen weiter ist als andere: Die deutsche Wirtschaft ist besonders verletzlich, wenn Putins Gas einmal ganz wegbleibt. Aber die gefundenen Partner federn die Risiken kaum ab: Tschechien etwa ist fast komplett von russischen Gasimporten abhängig. "Wir helfen uns gegenseitig mit der Gasversorgung und werden das auch aus Deutschland für Tschechien tun", sagte Habeck in Prag über die Kooperation.

Probleme und Chancen in Österreich

In Österreich ist die Abhängigkeit von russischem Gas seit Beginn des Krieges sogar noch gestiegen: von 80 auf 87 Prozent. Der Gesamtfüllstand österreichischer Speicher lag vor einer Woche bei 49 Prozent. Schwerer wiegt noch, dass Österreichs Hauptversorger OMV langfristige, nahezu unabänderliche Lieferverträge mit russischen Gasversorgern geschlossen hat und Bemühungen um neue Lieferanten bisher überschaubar geblieben sind. Andererseits: Volle Speicher decken den gesamten Jahresbedarf des Landes ab.

Es bliebe also durchaus etwas übrig zum Teilen. Das nahegelegene Bayern mit seiner Industrie und den vergleichsweise wenigen erneuerbaren Energien schielt daher im Falle des Falles in den Süden. Zumal Österreich mit einem Anteil von 80 Prozent erneuerbaren Energien deutlich weniger abhängig ist von Gas, zumindest außerhalb der Kältesaison. Entsprechend engagiert sich auch Berlin in der Alpenrepublik. Die Bundesnetzagentur ist jetzt indirekt am Gasspeicher Haidach beteiligt: Gazprom Germania hielt Anteile an dem Speicher, doch die deutsche Gazprom-Tochter ist seit 20. Juni in treuhänderischer Verwaltung der Bundesnetzagentur.

Dänemark muss schon seit Juni ohne russisches Gas auskommen, weil das Land sich - anders als Deutschland - geweigert hat, bei der vom Kreml verfügten Umstellung der Gaszahlungen auf Rubel mitzugehen. Seither ist ein Notfallplan in Kraft, um den Gasbedarf Dänemarks deutlich abzusenken. Die Speicher des Landes waren im Juni mit rund 80 Prozent gut gefüllt. Ende des Jahres geht zudem eine Pipeline aus Norwegen ans Netz. So kommen die Dänen voraussichtlich auch ohne russisches Gas über die Runden, doch zusätzlich einen substanziellen Teil des deutschen Bedarfs abzudecken, wird dem vergleichsweise kleinen Land schwerfallen.

Polen könnte, aber ...

So bleibt ordentlich Druck im Kessel für Wirtschaftsminister Habeck, weitere Partner zu finden. Naheliegend wäre eine Partnerschaft mit Polen. Das Land hat in seiner - in Deutschland lange belächelten - Furcht vor neuen Kreml-Aggressionen seine Lieferketten diversifiziert und gut gefüllte Gasspeicher. Während Deutschland hofft, zum Jahreswechsel zwei erste Terminals für Flüssiggas (LNG) in Betrieb nehmen zu können, landet LNG schon jetzt regelmäßig an Polens Ostseeküste an. Allerdings ist es zwischen Berlin und Warschau so eine Sache: Die Beziehungen sind konstant schlecht.

Die regierende PiS-Partei nimmt den Handelnden in SPD und Union übel, wie sie über Jahre hinweg alle Warnungen vor den Folgen der Gasabhängigkeit von Russland in den Wind schlugen, zudem gehört ein gewisser Deutschen-Hass zur PiS-Folklore. Dennoch hatte der polnische Europaabgeordnete Joachim Brudzinski durchaus valide Argumente auf seiner Seite, als er im "Spiegel" fragte: "Wo waren die Energiesolidarität und die Energiesicherheit Europas, als die Deutschen gegen den Willen Polens und vieler anderer Nord Stream 1 gebaut haben?" Auch Polen, die Deutschland freundlicher gesinnt sind, haben wenig Verständnis für den energiepolitischen Kurs der Bundesrepublik. Dass Deutschland trotz drohender Energiekrise seine Atomkraftwerke herunterfahren will, die klimaschädlichere Kohle aber wieder hochfährt, kommentiert die liberale polnische Zeitung "Gazeta Wyborcza" an diesem Mittwoch mit "absurd".

Auch jenseits der Atomdebatte sind die Bemühungen um echte Einsparungen in Deutschland bislang überschaubar. Weder gibt es ein Tempolimit, das in Bezug auf Gas eher symbolischer Natur wäre, noch hat sich die Ampel auf Instrumente geeinigt, die Verbraucher und Industrie zum Gassparen animieren. Das regelt bislang allein der Markt, doch dessen gestiegene Preise werden erst deutlich verzögert beim Endkunden durchschlagen. Falls die Bundesregierung in den kommenden Wochen unter dem Stichwort Solidarität auf Betteltour durch Europa ziehen muss, wird sie womöglich Fragen danach beantworten müssen, was Deutschland sowohl in den vergangenen Jahren als auch in den zurückliegenden Wochen zur Reduktion seiner Abhängigkeit von russischem Gas unternommen hat, um sich diese Solidarität in der Not zu verdienen.

Quelle: ntv.de

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