Erst Hilfspaket, dann Reform Noch einmal volltanken!
02.06.2020, 13:05 Uhr
Oder lieber gleich den Motor wechseln?
(Foto: imago/Photoshot/Construction Photography)
Deutschlands Wirtschaft steht teilweise still. Um Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, muss sie sofort in Gang gebracht werden. Deshalb dürfen wir uns nicht in langfristig wichtigen, aber auf die Schnelle nicht hilfreichen Klima- und Nachhaltigkeitsdebatten verstricken.
Digitaler soll unsere Wirtschaft werden und natürlich klima- und umweltfreundlicher - sozialer sowieso! Das sind nicht nur berechtigte Forderungen, sondern unerlässliche Voraussetzungen, um Deutschland langfristig fit zu machen. Mit der Idee eines Konjunkturpakets, über das heute die Große Koalition streitet, hat das alles aber per Definition nichts zu tun.
Das Konzept von Konjunkturhilfen ist, nicht in die grundlegende Ausrichtung der Volkswirtschaft einzugreifen, sondern die Corona-bedingt stillstehende Wirtschaftstätigkeit möglichst schnell wieder anzuschieben - auf Grundlage der bestehenden Struktur.
Für eine tief greifende Reform dieser Wirtschaftsstruktur sind andere Mittel notwendig. Und vor allem viel Zeit. Unter Konjunktur verstehen Ökonomen die Auslastung einer Volkswirtschaft. Fährt sie unter Volllast? Schöpft sie ihr Potenzial vollständig aus? Oder könnte der viel zitierte "Konjunkturmotor" viel mehr, wenn jemand richtig aufs Gaspedal treten würde?
Ein Konjunkturpaket ergibt nur Sinn, wenn Letzteres der Fall ist. Viele Ökonomen gehen davon aus, dass die Strukturen der deutschen Wirtschaft trotz Krise intakt sind. Unternehmen, Lieferketten und Infrastruktur sind weitgehend unverändert, sie sind nur durch die zeitweise Schließung ganzer Wirtschaftszweige nicht ausgelastet. Der Wirtschaftskreislauf ist erlahmt, er kann und muss jedoch etwa durch gezielte Konsumhilfen etwa Kaufprämien, Mehrwertsteuererleichterungen oder Bonuszahlungen für Familien mit niedrigen Einkommen wieder in Schwung gebracht werden.
Auf Reformen zu warten, verzögert die Weiterfahrt
Wer allerdings der Meinung ist, die deutsche Wirtschaft war schon vor Corona nicht zeitgemäß und nachhaltig aufgestellt und müsse nun anlässlich der Krise ganz neu ausgerichtet werden, der muss zu dem Schluss kommen, dass ein Konjunkturpaket dabei nicht weiterhilft. Um das beliebte Bild vom "stotternden Konjunkturmotor" zu verwenden: Dem Verbrennungsmotor unseres Wirtschaftswagens ist der Sprit ausgegangen. Mit einem entsprechend großen Konjunkturpaket können wir volltanken und einfach wieder Gas geben. Wir könnten alternativ beschließen, dass Tanken mit fossilem Treibstoff nicht mehr zeitgemäß ist und sofort zu einer ganz anderen Antriebsart wechseln. Das wäre zwar nachhaltiger, würde die Weiterfahrt allerdings erheblich verzögern.
Der einzig realistische und verantwortungsbewusste Weg - für die Autometapher und die Wirtschaftspolitik - ist, beides zu tun: Angesichts drohender Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit dürfen wir nicht jahrelang warten, bis Infrastrukturinvestitionen in Datennetze und erneuerbare Energien ihre Wirkung entfalten oder sich die Konsumenten ökologisch und sozial ganz neu ausrichten. Wir müssen die Wirtschaft jetzt wie sie ist schnell wieder in Gang bringen, ohne langfristige Reformen aus dem Auge zu verlieren. Wir müssen noch einmal volltanken, gleichzeitig aber den Umstieg auf einen modernen Antrieb vorbereiten.
Quelle: ntv.de